Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die akademische Kunstausstellung in Berlin.
von Adolf Rosenberg. 2.

eben dein Bestreben unsrer Künstler, ihre Stoffe mehr als zuvor
aus der Gegenwart, aus dem sie umgebenden Leben zu schöpfen,
geht der Versuch her, neue Darstellungsmittel und Darstellnngs-
formen zu finden, die geeigneter sind, der Natur, der Wirklichkeit
nahe zu kommen, als die von den alten Meistern und den mo¬
dernen Ateliers überlieferten. Während man noch vor fünf oder sechs Jahren
in der Nachahmung von Koloristen wie Tizian, Rubens, Rembrandt, Murillo,
Vclasquez und van Dyck eine Grundbedingung malerischer Erfolge sah, führt
jetzt eine sich täglich mehrende Schar von Revolutionären einen heftigen Kampf
gegen die Überlieferung, der zwar nicht zu einem Sturm auf die Gemälde¬
galerien ausartet, aber doch unter der Parole geführt wird, daß jene großen
Koloristen und ihre Gefolgschaft die Natur falsch gesehen oder doch nach sub¬
jektiver Willkür umgestaltet haben. Sie liefern den allerdings schlagenden Be¬
weis, daß die Natur eine ungleich größere Lichtfülle enthält, als sie auf den
Bilder" der alten Meister zur Erscheinung gelangt, und fordern, daß man an
die Stelle der Konvention endlich einmal die Wahrheit und zwar gleich nichts
andres als die reine Wahrheit treten lasse.

Diese neue Weisheit, wenn es wirklich eine ist, ist zuerst in Frankreich zu
einem System gestaltet und von deutschen Malern sehr schnell angenommen
worden. Wie manches andre, was uns aus Frankreich gekommen ist -- wir
erinnern nur an den gotischen Stil und das Rokoko --, ist auch diese neue
Theorie in Deutschland viel gründlicher durchgearbeitet und nach allen Rich¬
tungen hin erprobt worden. Wenn man diese "neue Kunst" nach dem Vor¬
gänge der Franzosen kurzweg Lu-plÄn-g-ir-Malerei oder Hellmalerei nennt, so
ist mit dieser Bezeichnung bei weitem uicht alles erschöpft, was darunter zu
verstehen ist. Das Wesen der neuen Malerei liegt nicht allein darin, daß man,
statt im Dunkel des Ateliers, in freier Luft malt und die Bilder auch im
Freien fertig malt, sondern auch in der Wahl der Stoffe und des äußeren
Maßstabes der Darstellung. Die neue Malerei verlangt, daß der Maler nur
das malt, was er mit eignen Augen gesehen hat oder doch sehen kann, und
darin deckt sie sich mit dem Glaubensbekenntnis des Naturalismus, mit welchem
sie anch insofern verwandt ist, als sie in weiterer Verfolgung ihres Grundsatzes,


Die akademische Kunstausstellung in Berlin.
von Adolf Rosenberg. 2.

eben dein Bestreben unsrer Künstler, ihre Stoffe mehr als zuvor
aus der Gegenwart, aus dem sie umgebenden Leben zu schöpfen,
geht der Versuch her, neue Darstellungsmittel und Darstellnngs-
formen zu finden, die geeigneter sind, der Natur, der Wirklichkeit
nahe zu kommen, als die von den alten Meistern und den mo¬
dernen Ateliers überlieferten. Während man noch vor fünf oder sechs Jahren
in der Nachahmung von Koloristen wie Tizian, Rubens, Rembrandt, Murillo,
Vclasquez und van Dyck eine Grundbedingung malerischer Erfolge sah, führt
jetzt eine sich täglich mehrende Schar von Revolutionären einen heftigen Kampf
gegen die Überlieferung, der zwar nicht zu einem Sturm auf die Gemälde¬
galerien ausartet, aber doch unter der Parole geführt wird, daß jene großen
Koloristen und ihre Gefolgschaft die Natur falsch gesehen oder doch nach sub¬
jektiver Willkür umgestaltet haben. Sie liefern den allerdings schlagenden Be¬
weis, daß die Natur eine ungleich größere Lichtfülle enthält, als sie auf den
Bilder» der alten Meister zur Erscheinung gelangt, und fordern, daß man an
die Stelle der Konvention endlich einmal die Wahrheit und zwar gleich nichts
andres als die reine Wahrheit treten lasse.

Diese neue Weisheit, wenn es wirklich eine ist, ist zuerst in Frankreich zu
einem System gestaltet und von deutschen Malern sehr schnell angenommen
worden. Wie manches andre, was uns aus Frankreich gekommen ist — wir
erinnern nur an den gotischen Stil und das Rokoko —, ist auch diese neue
Theorie in Deutschland viel gründlicher durchgearbeitet und nach allen Rich¬
tungen hin erprobt worden. Wenn man diese „neue Kunst" nach dem Vor¬
gänge der Franzosen kurzweg Lu-plÄn-g-ir-Malerei oder Hellmalerei nennt, so
ist mit dieser Bezeichnung bei weitem uicht alles erschöpft, was darunter zu
verstehen ist. Das Wesen der neuen Malerei liegt nicht allein darin, daß man,
statt im Dunkel des Ateliers, in freier Luft malt und die Bilder auch im
Freien fertig malt, sondern auch in der Wahl der Stoffe und des äußeren
Maßstabes der Darstellung. Die neue Malerei verlangt, daß der Maler nur
das malt, was er mit eignen Augen gesehen hat oder doch sehen kann, und
darin deckt sie sich mit dem Glaubensbekenntnis des Naturalismus, mit welchem
sie anch insofern verwandt ist, als sie in weiterer Verfolgung ihres Grundsatzes,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0586" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201365"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die akademische Kunstausstellung in Berlin.<lb/><note type="byline"> von Adolf Rosenberg.</note> 2.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1937"> eben dein Bestreben unsrer Künstler, ihre Stoffe mehr als zuvor<lb/>
aus der Gegenwart, aus dem sie umgebenden Leben zu schöpfen,<lb/>
geht der Versuch her, neue Darstellungsmittel und Darstellnngs-<lb/>
formen zu finden, die geeigneter sind, der Natur, der Wirklichkeit<lb/>
nahe zu kommen, als die von den alten Meistern und den mo¬<lb/>
dernen Ateliers überlieferten. Während man noch vor fünf oder sechs Jahren<lb/>
in der Nachahmung von Koloristen wie Tizian, Rubens, Rembrandt, Murillo,<lb/>
Vclasquez und van Dyck eine Grundbedingung malerischer Erfolge sah, führt<lb/>
jetzt eine sich täglich mehrende Schar von Revolutionären einen heftigen Kampf<lb/>
gegen die Überlieferung, der zwar nicht zu einem Sturm auf die Gemälde¬<lb/>
galerien ausartet, aber doch unter der Parole geführt wird, daß jene großen<lb/>
Koloristen und ihre Gefolgschaft die Natur falsch gesehen oder doch nach sub¬<lb/>
jektiver Willkür umgestaltet haben. Sie liefern den allerdings schlagenden Be¬<lb/>
weis, daß die Natur eine ungleich größere Lichtfülle enthält, als sie auf den<lb/>
Bilder» der alten Meister zur Erscheinung gelangt, und fordern, daß man an<lb/>
die Stelle der Konvention endlich einmal die Wahrheit und zwar gleich nichts<lb/>
andres als die reine Wahrheit treten lasse.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1938" next="#ID_1939"> Diese neue Weisheit, wenn es wirklich eine ist, ist zuerst in Frankreich zu<lb/>
einem System gestaltet und von deutschen Malern sehr schnell angenommen<lb/>
worden. Wie manches andre, was uns aus Frankreich gekommen ist &#x2014; wir<lb/>
erinnern nur an den gotischen Stil und das Rokoko &#x2014;, ist auch diese neue<lb/>
Theorie in Deutschland viel gründlicher durchgearbeitet und nach allen Rich¬<lb/>
tungen hin erprobt worden. Wenn man diese &#x201E;neue Kunst" nach dem Vor¬<lb/>
gänge der Franzosen kurzweg Lu-plÄn-g-ir-Malerei oder Hellmalerei nennt, so<lb/>
ist mit dieser Bezeichnung bei weitem uicht alles erschöpft, was darunter zu<lb/>
verstehen ist. Das Wesen der neuen Malerei liegt nicht allein darin, daß man,<lb/>
statt im Dunkel des Ateliers, in freier Luft malt und die Bilder auch im<lb/>
Freien fertig malt, sondern auch in der Wahl der Stoffe und des äußeren<lb/>
Maßstabes der Darstellung. Die neue Malerei verlangt, daß der Maler nur<lb/>
das malt, was er mit eignen Augen gesehen hat oder doch sehen kann, und<lb/>
darin deckt sie sich mit dem Glaubensbekenntnis des Naturalismus, mit welchem<lb/>
sie anch insofern verwandt ist, als sie in weiterer Verfolgung ihres Grundsatzes,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0586] Die akademische Kunstausstellung in Berlin. von Adolf Rosenberg. 2. eben dein Bestreben unsrer Künstler, ihre Stoffe mehr als zuvor aus der Gegenwart, aus dem sie umgebenden Leben zu schöpfen, geht der Versuch her, neue Darstellungsmittel und Darstellnngs- formen zu finden, die geeigneter sind, der Natur, der Wirklichkeit nahe zu kommen, als die von den alten Meistern und den mo¬ dernen Ateliers überlieferten. Während man noch vor fünf oder sechs Jahren in der Nachahmung von Koloristen wie Tizian, Rubens, Rembrandt, Murillo, Vclasquez und van Dyck eine Grundbedingung malerischer Erfolge sah, führt jetzt eine sich täglich mehrende Schar von Revolutionären einen heftigen Kampf gegen die Überlieferung, der zwar nicht zu einem Sturm auf die Gemälde¬ galerien ausartet, aber doch unter der Parole geführt wird, daß jene großen Koloristen und ihre Gefolgschaft die Natur falsch gesehen oder doch nach sub¬ jektiver Willkür umgestaltet haben. Sie liefern den allerdings schlagenden Be¬ weis, daß die Natur eine ungleich größere Lichtfülle enthält, als sie auf den Bilder» der alten Meister zur Erscheinung gelangt, und fordern, daß man an die Stelle der Konvention endlich einmal die Wahrheit und zwar gleich nichts andres als die reine Wahrheit treten lasse. Diese neue Weisheit, wenn es wirklich eine ist, ist zuerst in Frankreich zu einem System gestaltet und von deutschen Malern sehr schnell angenommen worden. Wie manches andre, was uns aus Frankreich gekommen ist — wir erinnern nur an den gotischen Stil und das Rokoko —, ist auch diese neue Theorie in Deutschland viel gründlicher durchgearbeitet und nach allen Rich¬ tungen hin erprobt worden. Wenn man diese „neue Kunst" nach dem Vor¬ gänge der Franzosen kurzweg Lu-plÄn-g-ir-Malerei oder Hellmalerei nennt, so ist mit dieser Bezeichnung bei weitem uicht alles erschöpft, was darunter zu verstehen ist. Das Wesen der neuen Malerei liegt nicht allein darin, daß man, statt im Dunkel des Ateliers, in freier Luft malt und die Bilder auch im Freien fertig malt, sondern auch in der Wahl der Stoffe und des äußeren Maßstabes der Darstellung. Die neue Malerei verlangt, daß der Maler nur das malt, was er mit eignen Augen gesehen hat oder doch sehen kann, und darin deckt sie sich mit dem Glaubensbekenntnis des Naturalismus, mit welchem sie anch insofern verwandt ist, als sie in weiterer Verfolgung ihres Grundsatzes,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/586
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/586>, abgerufen am 28.04.2024.