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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Hiddensee.

er Pflegen, aber auch keine verbieten. Jakobi erzählt (nach einem Buche Ni-
rg-olss c!"z ^vers v^ruf as I^ouräss S. 85), "daß eine Anzahl von Studenten,
welche vor einem Examen die Vorsicht angewandt hatten, ihre Feder in die
Wunderquelle von Lourdes zu tauchen, alle im Examen bestanden, verschiedne
mit besondrer Auszeichnung und gerade wegen der Arbeiten, die sie mit solchen
Federn geschrieben hatten." Sollte unser preußischer Staat eine Wissenschaft
oder ein Schulwesen pflegen, das in solcher Weise die Kultur der Abiturienten
fälschte? Er wird es schwerlich thun. Ein andres ist es, ob er es duldet,
daß andre sich so einrichten. Wenn ein Vater seine Familie im Geiste von
Liebknecht-Bebel erzieht, so mag der Staat ihm die Verantwortlichkeit über-
lassen, eine Kirche kaun innerhalb ihrer Wände nicht wohl gehindert werden,
die Moral Gurys ihren Seminaristen einzuprägen. Familie und Kirche sind
eben Vereine, die ihre Rechte haben. Aber die Schule ist kein Verein, sondern
eine Einrichtung, die, wenn sie öffentlich heraustritt, der Staatsordnung an¬
heimfällt nach der Natur des Staates und nach geltendem Rechte, wie wir ge¬
sehen haben.

Es wird ein lehrreicher Kampf sein, den Dr. Windthorst und die Seinen,
Herren und Damen, gegen die Schule des Staates vorhaben. Wir haben ge¬
zeigt, daß eine eigentliche Staatsschule, im Gegenwirken gegen die Kirchen und
mit Ausschluß derselben, bei uns nicht besteht, es ist ein den lebendigen Be¬
dürfnissen der Gesellschaft angepaßtes gemischtes System unter Leitung und
Verwaltung des Staates und Mitwirkung der Kirchen. Wir haben ferner ge¬
zeigt, daß nur nach katholischem Staatsbegriff dem Staate zur Leitung der
Schulen die Befugnis und Befähigung abgesprochen werden kann, und haben
nicht verhehlt, daß dieser katholische Begriff vom Staate nach unsrer Meinung
heute wenig Aussicht hat, allgemeine Geltung zu erringen. Wir wollen daher
nicht den Fall schon jetzt ernstlich erwägen, daß die Nachtwächteridee des Staates
im Sinne Dr. Windthorsts siegt, das Schulwesen den Bischöfen anheimfällt
und der Justizminister auch den Kultus und die Schule unbesorgt. Das kann
uns später noch immer beschäftigen, wenn es der Mühe wert ist.




hiddensee"

on der zahllosen Schar der Reisenden, die alljährlich Rügen auf¬
suchen, machen verhältnismäßig wenige bei dem merkwürdigen Ei¬
lande Halt, welches, durch einen schmalen Sund von der Haupt¬
insel getrennt, in langer Ausdehnung von Norden nach Süden
sich hinzieht und nur mühsam den Kampf mit deu Meereswogen
besteht: bei Hiddensee. Wer der Sommerfrische oder des Bades wegen sich


Hiddensee.

er Pflegen, aber auch keine verbieten. Jakobi erzählt (nach einem Buche Ni-
rg-olss c!«z ^vers v^ruf as I^ouräss S. 85), „daß eine Anzahl von Studenten,
welche vor einem Examen die Vorsicht angewandt hatten, ihre Feder in die
Wunderquelle von Lourdes zu tauchen, alle im Examen bestanden, verschiedne
mit besondrer Auszeichnung und gerade wegen der Arbeiten, die sie mit solchen
Federn geschrieben hatten." Sollte unser preußischer Staat eine Wissenschaft
oder ein Schulwesen pflegen, das in solcher Weise die Kultur der Abiturienten
fälschte? Er wird es schwerlich thun. Ein andres ist es, ob er es duldet,
daß andre sich so einrichten. Wenn ein Vater seine Familie im Geiste von
Liebknecht-Bebel erzieht, so mag der Staat ihm die Verantwortlichkeit über-
lassen, eine Kirche kaun innerhalb ihrer Wände nicht wohl gehindert werden,
die Moral Gurys ihren Seminaristen einzuprägen. Familie und Kirche sind
eben Vereine, die ihre Rechte haben. Aber die Schule ist kein Verein, sondern
eine Einrichtung, die, wenn sie öffentlich heraustritt, der Staatsordnung an¬
heimfällt nach der Natur des Staates und nach geltendem Rechte, wie wir ge¬
sehen haben.

Es wird ein lehrreicher Kampf sein, den Dr. Windthorst und die Seinen,
Herren und Damen, gegen die Schule des Staates vorhaben. Wir haben ge¬
zeigt, daß eine eigentliche Staatsschule, im Gegenwirken gegen die Kirchen und
mit Ausschluß derselben, bei uns nicht besteht, es ist ein den lebendigen Be¬
dürfnissen der Gesellschaft angepaßtes gemischtes System unter Leitung und
Verwaltung des Staates und Mitwirkung der Kirchen. Wir haben ferner ge¬
zeigt, daß nur nach katholischem Staatsbegriff dem Staate zur Leitung der
Schulen die Befugnis und Befähigung abgesprochen werden kann, und haben
nicht verhehlt, daß dieser katholische Begriff vom Staate nach unsrer Meinung
heute wenig Aussicht hat, allgemeine Geltung zu erringen. Wir wollen daher
nicht den Fall schon jetzt ernstlich erwägen, daß die Nachtwächteridee des Staates
im Sinne Dr. Windthorsts siegt, das Schulwesen den Bischöfen anheimfällt
und der Justizminister auch den Kultus und die Schule unbesorgt. Das kann
uns später noch immer beschäftigen, wenn es der Mühe wert ist.




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on der zahllosen Schar der Reisenden, die alljährlich Rügen auf¬
suchen, machen verhältnismäßig wenige bei dem merkwürdigen Ei¬
lande Halt, welches, durch einen schmalen Sund von der Haupt¬
insel getrennt, in langer Ausdehnung von Norden nach Süden
sich hinzieht und nur mühsam den Kampf mit deu Meereswogen
besteht: bei Hiddensee. Wer der Sommerfrische oder des Bades wegen sich


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[0622] Hiddensee. er Pflegen, aber auch keine verbieten. Jakobi erzählt (nach einem Buche Ni- rg-olss c!«z ^vers v^ruf as I^ouräss S. 85), „daß eine Anzahl von Studenten, welche vor einem Examen die Vorsicht angewandt hatten, ihre Feder in die Wunderquelle von Lourdes zu tauchen, alle im Examen bestanden, verschiedne mit besondrer Auszeichnung und gerade wegen der Arbeiten, die sie mit solchen Federn geschrieben hatten." Sollte unser preußischer Staat eine Wissenschaft oder ein Schulwesen pflegen, das in solcher Weise die Kultur der Abiturienten fälschte? Er wird es schwerlich thun. Ein andres ist es, ob er es duldet, daß andre sich so einrichten. Wenn ein Vater seine Familie im Geiste von Liebknecht-Bebel erzieht, so mag der Staat ihm die Verantwortlichkeit über- lassen, eine Kirche kaun innerhalb ihrer Wände nicht wohl gehindert werden, die Moral Gurys ihren Seminaristen einzuprägen. Familie und Kirche sind eben Vereine, die ihre Rechte haben. Aber die Schule ist kein Verein, sondern eine Einrichtung, die, wenn sie öffentlich heraustritt, der Staatsordnung an¬ heimfällt nach der Natur des Staates und nach geltendem Rechte, wie wir ge¬ sehen haben. Es wird ein lehrreicher Kampf sein, den Dr. Windthorst und die Seinen, Herren und Damen, gegen die Schule des Staates vorhaben. Wir haben ge¬ zeigt, daß eine eigentliche Staatsschule, im Gegenwirken gegen die Kirchen und mit Ausschluß derselben, bei uns nicht besteht, es ist ein den lebendigen Be¬ dürfnissen der Gesellschaft angepaßtes gemischtes System unter Leitung und Verwaltung des Staates und Mitwirkung der Kirchen. Wir haben ferner ge¬ zeigt, daß nur nach katholischem Staatsbegriff dem Staate zur Leitung der Schulen die Befugnis und Befähigung abgesprochen werden kann, und haben nicht verhehlt, daß dieser katholische Begriff vom Staate nach unsrer Meinung heute wenig Aussicht hat, allgemeine Geltung zu erringen. Wir wollen daher nicht den Fall schon jetzt ernstlich erwägen, daß die Nachtwächteridee des Staates im Sinne Dr. Windthorsts siegt, das Schulwesen den Bischöfen anheimfällt und der Justizminister auch den Kultus und die Schule unbesorgt. Das kann uns später noch immer beschäftigen, wenn es der Mühe wert ist. hiddensee» on der zahllosen Schar der Reisenden, die alljährlich Rügen auf¬ suchen, machen verhältnismäßig wenige bei dem merkwürdigen Ei¬ lande Halt, welches, durch einen schmalen Sund von der Haupt¬ insel getrennt, in langer Ausdehnung von Norden nach Süden sich hinzieht und nur mühsam den Kampf mit deu Meereswogen besteht: bei Hiddensee. Wer der Sommerfrische oder des Bades wegen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/622>, abgerufen am 28.04.2024.