Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gine Berliner Faustanfführung.

Gestell, auf altem Meeresgrunde entgegentritt, eine ganze Kette von Vorstellungen
verdichtet. Einen Ausblick auf weite Vergangenheit, auf Sage und Mythos
gewährt uns ein Wort, das lange im Dunkel ruhte, bis es durch die Reise¬
bücher und neuerdings durch den sogenannten Hiddenseer Goldschmuck auch in
weiteren Kreisen bekannt wurde.

Ob es sich ewig erhalten wird? Kommen wird einst die Zeit, mag sie
auch vorläufig noch unabsehbar sein, wo der langgestreckte südliche Teil der
Insel von der Macht der Sturmfluten zerrissen und ganz oder teilweise von
den Meereswogen verschlungen wird. Dann wird das nördliche Berghaupt
einsam aus der Tiefe hervorragen und nur wenigen Menschen Raum zur
Ansiedelung bieten. Möglich, daß dann auch der Name der Insel aus dem
Gedächtnis schwinden und der von Westen her steuernde Schiffer mir noch den
Dornbusch als Wahrzeichen des nahenden Landes grüßen wird.


F. Auntze.


Eine Berliner Faustaufführung.

ause von Goethe (Goethe mit ve, bitte zu beachten!). Der Tra¬
gödie erster Teil -- so lautet, zwar als Titel falsch, aber "literar¬
historisch" und -- vielversprechend eine Überschrift, die gegen¬
wärtig als eine nationale That breitspurig und mit einem endlosen
Schwanz kritischer Spalten durch die Berliner Zeitungen rauscht.
Sie geht wirklich von einem richtigen Theater (wohlgemerkt keiner Vorstadtbühne)
aus -- man denke! -- und zwar von dem Theater in der Schumannstraße,
welches -- seht seine "Deutschheit," ihr, die ihr immer an seinem Namen
mäkelt! -- den "Faust von Goethe. Der Tragödie ersten Teil" seinem Repertoire
trotz Blumenthal, Schönthan und Kadelburg nunmehr hinzugefügt hat. Dank,
Dank, Dank! Der neue Psalmist des Berliner Tageblattes singt ein neues
Lied von der Gnade des Herrn L'Arronge, die geistreichsten Feuilletons und
Börsianer üben sich in Faustwitzen, und die Frau Kvmmerzienrcitin, die "grund¬
sätzlich nur in Premieren geht," kann endlich Vergleiche anstellen zwischen
Gounods und Goethes -- Sichel.

Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, in welcher Beziehung dieser
Tragödie erster Teil mit dem zweiten und dritten Teile einer andern Tragödie
steht, die sich zwischen der Deutschen Theaterdirektion und ihrem Hausdichter
abgespielt hat, und die mit einer allerdings nicht Sophokleischen Thrcmnie
begann und in dem schrecklichen Konkurrenz-Zirkus am Kronprinzenufer endigte.


Gine Berliner Faustanfführung.

Gestell, auf altem Meeresgrunde entgegentritt, eine ganze Kette von Vorstellungen
verdichtet. Einen Ausblick auf weite Vergangenheit, auf Sage und Mythos
gewährt uns ein Wort, das lange im Dunkel ruhte, bis es durch die Reise¬
bücher und neuerdings durch den sogenannten Hiddenseer Goldschmuck auch in
weiteren Kreisen bekannt wurde.

Ob es sich ewig erhalten wird? Kommen wird einst die Zeit, mag sie
auch vorläufig noch unabsehbar sein, wo der langgestreckte südliche Teil der
Insel von der Macht der Sturmfluten zerrissen und ganz oder teilweise von
den Meereswogen verschlungen wird. Dann wird das nördliche Berghaupt
einsam aus der Tiefe hervorragen und nur wenigen Menschen Raum zur
Ansiedelung bieten. Möglich, daß dann auch der Name der Insel aus dem
Gedächtnis schwinden und der von Westen her steuernde Schiffer mir noch den
Dornbusch als Wahrzeichen des nahenden Landes grüßen wird.


F. Auntze.


Eine Berliner Faustaufführung.

ause von Goethe (Goethe mit ve, bitte zu beachten!). Der Tra¬
gödie erster Teil — so lautet, zwar als Titel falsch, aber „literar¬
historisch" und — vielversprechend eine Überschrift, die gegen¬
wärtig als eine nationale That breitspurig und mit einem endlosen
Schwanz kritischer Spalten durch die Berliner Zeitungen rauscht.
Sie geht wirklich von einem richtigen Theater (wohlgemerkt keiner Vorstadtbühne)
aus — man denke! — und zwar von dem Theater in der Schumannstraße,
welches — seht seine „Deutschheit," ihr, die ihr immer an seinem Namen
mäkelt! — den „Faust von Goethe. Der Tragödie ersten Teil" seinem Repertoire
trotz Blumenthal, Schönthan und Kadelburg nunmehr hinzugefügt hat. Dank,
Dank, Dank! Der neue Psalmist des Berliner Tageblattes singt ein neues
Lied von der Gnade des Herrn L'Arronge, die geistreichsten Feuilletons und
Börsianer üben sich in Faustwitzen, und die Frau Kvmmerzienrcitin, die „grund¬
sätzlich nur in Premieren geht," kann endlich Vergleiche anstellen zwischen
Gounods und Goethes — Sichel.

Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, in welcher Beziehung dieser
Tragödie erster Teil mit dem zweiten und dritten Teile einer andern Tragödie
steht, die sich zwischen der Deutschen Theaterdirektion und ihrem Hausdichter
abgespielt hat, und die mit einer allerdings nicht Sophokleischen Thrcmnie
begann und in dem schrecklichen Konkurrenz-Zirkus am Kronprinzenufer endigte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0628" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201407"/>
          <fw type="header" place="top"> Gine Berliner Faustanfführung.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2047" prev="#ID_2046"> Gestell, auf altem Meeresgrunde entgegentritt, eine ganze Kette von Vorstellungen<lb/>
verdichtet. Einen Ausblick auf weite Vergangenheit, auf Sage und Mythos<lb/>
gewährt uns ein Wort, das lange im Dunkel ruhte, bis es durch die Reise¬<lb/>
bücher und neuerdings durch den sogenannten Hiddenseer Goldschmuck auch in<lb/>
weiteren Kreisen bekannt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2048"> Ob es sich ewig erhalten wird? Kommen wird einst die Zeit, mag sie<lb/>
auch vorläufig noch unabsehbar sein, wo der langgestreckte südliche Teil der<lb/>
Insel von der Macht der Sturmfluten zerrissen und ganz oder teilweise von<lb/>
den Meereswogen verschlungen wird. Dann wird das nördliche Berghaupt<lb/>
einsam aus der Tiefe hervorragen und nur wenigen Menschen Raum zur<lb/>
Ansiedelung bieten. Möglich, daß dann auch der Name der Insel aus dem<lb/>
Gedächtnis schwinden und der von Westen her steuernde Schiffer mir noch den<lb/>
Dornbusch als Wahrzeichen des nahenden Landes grüßen wird.</p><lb/>
          <note type="byline"> F. Auntze.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Eine Berliner Faustaufführung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2049"> ause von Goethe (Goethe mit ve, bitte zu beachten!). Der Tra¬<lb/>
gödie erster Teil &#x2014; so lautet, zwar als Titel falsch, aber &#x201E;literar¬<lb/>
historisch" und &#x2014; vielversprechend eine Überschrift, die gegen¬<lb/>
wärtig als eine nationale That breitspurig und mit einem endlosen<lb/>
Schwanz kritischer Spalten durch die Berliner Zeitungen rauscht.<lb/>
Sie geht wirklich von einem richtigen Theater (wohlgemerkt keiner Vorstadtbühne)<lb/>
aus &#x2014; man denke! &#x2014; und zwar von dem Theater in der Schumannstraße,<lb/>
welches &#x2014; seht seine &#x201E;Deutschheit," ihr, die ihr immer an seinem Namen<lb/>
mäkelt! &#x2014; den &#x201E;Faust von Goethe. Der Tragödie ersten Teil" seinem Repertoire<lb/>
trotz Blumenthal, Schönthan und Kadelburg nunmehr hinzugefügt hat. Dank,<lb/>
Dank, Dank! Der neue Psalmist des Berliner Tageblattes singt ein neues<lb/>
Lied von der Gnade des Herrn L'Arronge, die geistreichsten Feuilletons und<lb/>
Börsianer üben sich in Faustwitzen, und die Frau Kvmmerzienrcitin, die &#x201E;grund¬<lb/>
sätzlich nur in Premieren geht," kann endlich Vergleiche anstellen zwischen<lb/>
Gounods und Goethes &#x2014; Sichel.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2050" next="#ID_2051"> Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, in welcher Beziehung dieser<lb/>
Tragödie erster Teil mit dem zweiten und dritten Teile einer andern Tragödie<lb/>
steht, die sich zwischen der Deutschen Theaterdirektion und ihrem Hausdichter<lb/>
abgespielt hat, und die mit einer allerdings nicht Sophokleischen Thrcmnie<lb/>
begann und in dem schrecklichen Konkurrenz-Zirkus am Kronprinzenufer endigte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0628] Gine Berliner Faustanfführung. Gestell, auf altem Meeresgrunde entgegentritt, eine ganze Kette von Vorstellungen verdichtet. Einen Ausblick auf weite Vergangenheit, auf Sage und Mythos gewährt uns ein Wort, das lange im Dunkel ruhte, bis es durch die Reise¬ bücher und neuerdings durch den sogenannten Hiddenseer Goldschmuck auch in weiteren Kreisen bekannt wurde. Ob es sich ewig erhalten wird? Kommen wird einst die Zeit, mag sie auch vorläufig noch unabsehbar sein, wo der langgestreckte südliche Teil der Insel von der Macht der Sturmfluten zerrissen und ganz oder teilweise von den Meereswogen verschlungen wird. Dann wird das nördliche Berghaupt einsam aus der Tiefe hervorragen und nur wenigen Menschen Raum zur Ansiedelung bieten. Möglich, daß dann auch der Name der Insel aus dem Gedächtnis schwinden und der von Westen her steuernde Schiffer mir noch den Dornbusch als Wahrzeichen des nahenden Landes grüßen wird. F. Auntze. Eine Berliner Faustaufführung. ause von Goethe (Goethe mit ve, bitte zu beachten!). Der Tra¬ gödie erster Teil — so lautet, zwar als Titel falsch, aber „literar¬ historisch" und — vielversprechend eine Überschrift, die gegen¬ wärtig als eine nationale That breitspurig und mit einem endlosen Schwanz kritischer Spalten durch die Berliner Zeitungen rauscht. Sie geht wirklich von einem richtigen Theater (wohlgemerkt keiner Vorstadtbühne) aus — man denke! — und zwar von dem Theater in der Schumannstraße, welches — seht seine „Deutschheit," ihr, die ihr immer an seinem Namen mäkelt! — den „Faust von Goethe. Der Tragödie ersten Teil" seinem Repertoire trotz Blumenthal, Schönthan und Kadelburg nunmehr hinzugefügt hat. Dank, Dank, Dank! Der neue Psalmist des Berliner Tageblattes singt ein neues Lied von der Gnade des Herrn L'Arronge, die geistreichsten Feuilletons und Börsianer üben sich in Faustwitzen, und die Frau Kvmmerzienrcitin, die „grund¬ sätzlich nur in Premieren geht," kann endlich Vergleiche anstellen zwischen Gounods und Goethes — Sichel. Wir wollen hier nicht weiter untersuchen, in welcher Beziehung dieser Tragödie erster Teil mit dem zweiten und dritten Teile einer andern Tragödie steht, die sich zwischen der Deutschen Theaterdirektion und ihrem Hausdichter abgespielt hat, und die mit einer allerdings nicht Sophokleischen Thrcmnie begann und in dem schrecklichen Konkurrenz-Zirkus am Kronprinzenufer endigte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/628
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/628>, abgerufen am 28.04.2024.