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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die bürgerliche Rechtspflege in England.

le Kenntnis des öffentlichen und privaten Rechtes von England
ist auf dem Festlande erst in dem letzten Menschenalter größer
geworden. Die Ursache hiervon zu ermitteln würde zu weit führen,
befremdend bleibt es immer, daß das Recht dieser mächtige", durch
Jahrhunderte den Handel und die Welt beherrschenden Nation
selbst für ihre germanischen Vettern ein Buch mit sieben Siegeln war. Nicht
wenig hat zu dieser Unkenntnis beigetragen, daß das englische Recht sich am
meisten frei von dem römischen und kanonischen Vorbilde gehalten hat und von
seinen uralten germanischen Grundlagen aus nach einer Verbindung mit der
fränkischen mittelalterlichen Feudalität seinen eignen, dem dritten Beobachter nicht
leicht verfolgbaren Weg gegangen ist. Ernst Schuster, der Verfasser eines so¬
eben über die bürgerliche Rechtspflege in England erschienenen Buchest)
giebt in der Einleitung desselben von dem englischen Rechte eine sehr treffende
Charakteristik: "Es ist nicht systematisch nach einem übersichtlichen Grundriß
aufgebaut; es gleicht vielmehr einem jener Häuser, wie man sie überall, aber in
England besonders, an vielen Orten sieht, bei welchen an ein unscheinbares
Hauptgebäude Flügel und Ausbau, Stockwerk und Turm angefügt wurden,
wie es gerade die Laune, der Geschmack oder die Bequemlichkeit des jeweiligen
Bewohners gebot. Der Engländer liebt die Kontinuität der ihn umgebenden
Verhältnisse zu sehr, um das Haus niederzureißen; er ist zu thätig, um sich
mit dem alten Zustande zufrieden zu geben. Jemand, der ein solches Haus von
außen anschaut, bleibt über seine innern Einrichtungen vollkommen im Dunkeln,
selbst das Studium der Baupläne würde ihn wenig aufklären. Erst wenn er



Berlin, Franz Wahlen, 1387. W1 Seiten.
Grenzboten III. 1887.1


Die bürgerliche Rechtspflege in England.

le Kenntnis des öffentlichen und privaten Rechtes von England
ist auf dem Festlande erst in dem letzten Menschenalter größer
geworden. Die Ursache hiervon zu ermitteln würde zu weit führen,
befremdend bleibt es immer, daß das Recht dieser mächtige«, durch
Jahrhunderte den Handel und die Welt beherrschenden Nation
selbst für ihre germanischen Vettern ein Buch mit sieben Siegeln war. Nicht
wenig hat zu dieser Unkenntnis beigetragen, daß das englische Recht sich am
meisten frei von dem römischen und kanonischen Vorbilde gehalten hat und von
seinen uralten germanischen Grundlagen aus nach einer Verbindung mit der
fränkischen mittelalterlichen Feudalität seinen eignen, dem dritten Beobachter nicht
leicht verfolgbaren Weg gegangen ist. Ernst Schuster, der Verfasser eines so¬
eben über die bürgerliche Rechtspflege in England erschienenen Buchest)
giebt in der Einleitung desselben von dem englischen Rechte eine sehr treffende
Charakteristik: „Es ist nicht systematisch nach einem übersichtlichen Grundriß
aufgebaut; es gleicht vielmehr einem jener Häuser, wie man sie überall, aber in
England besonders, an vielen Orten sieht, bei welchen an ein unscheinbares
Hauptgebäude Flügel und Ausbau, Stockwerk und Turm angefügt wurden,
wie es gerade die Laune, der Geschmack oder die Bequemlichkeit des jeweiligen
Bewohners gebot. Der Engländer liebt die Kontinuität der ihn umgebenden
Verhältnisse zu sehr, um das Haus niederzureißen; er ist zu thätig, um sich
mit dem alten Zustande zufrieden zu geben. Jemand, der ein solches Haus von
außen anschaut, bleibt über seine innern Einrichtungen vollkommen im Dunkeln,
selbst das Studium der Baupläne würde ihn wenig aufklären. Erst wenn er



Berlin, Franz Wahlen, 1387. W1 Seiten.
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[0009] [Abbildung] Die bürgerliche Rechtspflege in England. le Kenntnis des öffentlichen und privaten Rechtes von England ist auf dem Festlande erst in dem letzten Menschenalter größer geworden. Die Ursache hiervon zu ermitteln würde zu weit führen, befremdend bleibt es immer, daß das Recht dieser mächtige«, durch Jahrhunderte den Handel und die Welt beherrschenden Nation selbst für ihre germanischen Vettern ein Buch mit sieben Siegeln war. Nicht wenig hat zu dieser Unkenntnis beigetragen, daß das englische Recht sich am meisten frei von dem römischen und kanonischen Vorbilde gehalten hat und von seinen uralten germanischen Grundlagen aus nach einer Verbindung mit der fränkischen mittelalterlichen Feudalität seinen eignen, dem dritten Beobachter nicht leicht verfolgbaren Weg gegangen ist. Ernst Schuster, der Verfasser eines so¬ eben über die bürgerliche Rechtspflege in England erschienenen Buchest) giebt in der Einleitung desselben von dem englischen Rechte eine sehr treffende Charakteristik: „Es ist nicht systematisch nach einem übersichtlichen Grundriß aufgebaut; es gleicht vielmehr einem jener Häuser, wie man sie überall, aber in England besonders, an vielen Orten sieht, bei welchen an ein unscheinbares Hauptgebäude Flügel und Ausbau, Stockwerk und Turm angefügt wurden, wie es gerade die Laune, der Geschmack oder die Bequemlichkeit des jeweiligen Bewohners gebot. Der Engländer liebt die Kontinuität der ihn umgebenden Verhältnisse zu sehr, um das Haus niederzureißen; er ist zu thätig, um sich mit dem alten Zustande zufrieden zu geben. Jemand, der ein solches Haus von außen anschaut, bleibt über seine innern Einrichtungen vollkommen im Dunkeln, selbst das Studium der Baupläne würde ihn wenig aufklären. Erst wenn er Berlin, Franz Wahlen, 1387. W1 Seiten. Grenzboten III. 1887.1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/9>, abgerufen am 28.04.2024.