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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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mit jedem inneren Raume vertraut ist, das Ziel jeder Treppe und die Richtung
jedes Fensters kennt, wird er sich in dem Labyrinth zurechtfinden."

Diese hier so meisterhaft geschilderte Schwierigkeit, das englische Recht
kennen zu lerne", hat fast bis in die letzten Menschenalter dahin geführt, daß
man sich in Deutschlnud damit begnügte, aus zweiter Quelle zu schöpfen, und
lange Zeit dasjenige als englisches Recht betrachtete, was von den Franzosen
als solches geschildert wurde. Einer der vorzüglichsten Vermittler dieser Kenntnis
war Montesquieu, und es ist bekannt, welches Unheil nicht nur in seinem eignen
Vaterlande, sondern auch bei uns die von ihm in England angeblich vorgefundene
Dreiteilung der Gewalten und die in den Wahlen begründete Volkssouve-
ränität angerichtet hat. Erst im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts stieg die
deutsche Wissenschaft zu den englischen Quellen selbst hinab, und die Unter¬
suchungen von Mittermeier und Glaser über den englischen Strafprozeß, von
Gneist über das englische Staats- und Verwaltungsrecht haben in Deutschland
auf diesen Gebieten zu völligen Umwälzungen in Theorie und Gesetzgebung ge¬
führt. Die späteste Bearbeitung hat der Zivilprozeß erfahren; seitdem der
Schweizer Nüttimmm im Jahre 1851 eine nicht umfangreiche Skizze vou dem
englischen Zivilprozeß gegeben hat, ist dieser Teil des Rechtes in Deutschland
nicht weiter beachtet worden. Noch unbekannter wurde das englische Verfahren
seit den großen Gerichtsrefvrmcn, die vom Jahre 1873 eine völlige Neuorgani¬
sation der Gerichtsverfassung herbeigeführt haben.

In neuester Zeit war es zwar üblich geworden, daß einige vermögende junge
Juristen nach Ablegung ihrer letzten Prüfung und im Hinblick ans ihre Ent¬
behrlichkeit im Staatsdienste sich nach England begaben und bei Erlernung der
englischen Sprache mehr oder minder aus eigner Anschauung, mehr noch aus
englischen Büchern, insbesondre aus den Blaubüchern und andern Parlaments¬
berichten, eine Darstellung von einzelnen Zweigen der englischen Verwaltung
und Rechtspflege gaben. Neue Aufschlüsse sind aber in ihren Büchern meistens
nicht zu finden; sie bewegen sich auf Gebieten, die vor ihnen schon Mittermeier,
Glaser und Gneist als erste Pioniere aufgeschlossen haben. An den englischen
Zivilprozeß, an das Genvssenschasts- und Aktienwesen hat sich noch niemand
von den Herren gewagt.

Mit ganz besondrer Freude muß deshalb von den beteiligten Kreisen das
vorliegende Buch begrüßt werden, welches im Anschluß an deutsche Begriffe, in
klarer Übersicht, in einfacher und verständlicher Sprache eine gründliche und
lichtvolle Darstellung der bürgerlichen Rechtspflege in England giebt. Das
Buch umfaßt die Gerichtsverfassung, das Verfahren in streitigen und nicht
streitigen Angelegenheiten und das Konkursverfahren. Der Verfasser giebt bei
den einschlagenden Materien eine kurze geschichtliche Bemerkung und enthält sich mit
Recht des betastenden Hinweises auf die zahlreiche Literatur, indem er nur das
Hauptsächlichste anführt; dagegen unterläßt er nicht, die für das geltende Recht


mit jedem inneren Raume vertraut ist, das Ziel jeder Treppe und die Richtung
jedes Fensters kennt, wird er sich in dem Labyrinth zurechtfinden."

Diese hier so meisterhaft geschilderte Schwierigkeit, das englische Recht
kennen zu lerne», hat fast bis in die letzten Menschenalter dahin geführt, daß
man sich in Deutschlnud damit begnügte, aus zweiter Quelle zu schöpfen, und
lange Zeit dasjenige als englisches Recht betrachtete, was von den Franzosen
als solches geschildert wurde. Einer der vorzüglichsten Vermittler dieser Kenntnis
war Montesquieu, und es ist bekannt, welches Unheil nicht nur in seinem eignen
Vaterlande, sondern auch bei uns die von ihm in England angeblich vorgefundene
Dreiteilung der Gewalten und die in den Wahlen begründete Volkssouve-
ränität angerichtet hat. Erst im zweiten Drittel dieses Jahrhunderts stieg die
deutsche Wissenschaft zu den englischen Quellen selbst hinab, und die Unter¬
suchungen von Mittermeier und Glaser über den englischen Strafprozeß, von
Gneist über das englische Staats- und Verwaltungsrecht haben in Deutschland
auf diesen Gebieten zu völligen Umwälzungen in Theorie und Gesetzgebung ge¬
führt. Die späteste Bearbeitung hat der Zivilprozeß erfahren; seitdem der
Schweizer Nüttimmm im Jahre 1851 eine nicht umfangreiche Skizze vou dem
englischen Zivilprozeß gegeben hat, ist dieser Teil des Rechtes in Deutschland
nicht weiter beachtet worden. Noch unbekannter wurde das englische Verfahren
seit den großen Gerichtsrefvrmcn, die vom Jahre 1873 eine völlige Neuorgani¬
sation der Gerichtsverfassung herbeigeführt haben.

In neuester Zeit war es zwar üblich geworden, daß einige vermögende junge
Juristen nach Ablegung ihrer letzten Prüfung und im Hinblick ans ihre Ent¬
behrlichkeit im Staatsdienste sich nach England begaben und bei Erlernung der
englischen Sprache mehr oder minder aus eigner Anschauung, mehr noch aus
englischen Büchern, insbesondre aus den Blaubüchern und andern Parlaments¬
berichten, eine Darstellung von einzelnen Zweigen der englischen Verwaltung
und Rechtspflege gaben. Neue Aufschlüsse sind aber in ihren Büchern meistens
nicht zu finden; sie bewegen sich auf Gebieten, die vor ihnen schon Mittermeier,
Glaser und Gneist als erste Pioniere aufgeschlossen haben. An den englischen
Zivilprozeß, an das Genvssenschasts- und Aktienwesen hat sich noch niemand
von den Herren gewagt.

Mit ganz besondrer Freude muß deshalb von den beteiligten Kreisen das
vorliegende Buch begrüßt werden, welches im Anschluß an deutsche Begriffe, in
klarer Übersicht, in einfacher und verständlicher Sprache eine gründliche und
lichtvolle Darstellung der bürgerlichen Rechtspflege in England giebt. Das
Buch umfaßt die Gerichtsverfassung, das Verfahren in streitigen und nicht
streitigen Angelegenheiten und das Konkursverfahren. Der Verfasser giebt bei
den einschlagenden Materien eine kurze geschichtliche Bemerkung und enthält sich mit
Recht des betastenden Hinweises auf die zahlreiche Literatur, indem er nur das
Hauptsächlichste anführt; dagegen unterläßt er nicht, die für das geltende Recht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/10>, abgerufen am 14.05.2024.