Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Eine jährt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
2. Auf der Donau bis Rustschuk.

s nahm geraume Zeit in Anspruch, ehe wir uns aus dem Ge¬
wirre herausfinden und bei voller Nacht unser Lager aufsuchen
konnten. Ach, ganz anders, als die Wirklichkeit war, hatte ich
mir in meinem Kopfe die Fahrt auf dem Schiffe ausge¬
malt! Dieses Schiff, welches zwölfhundert Mann fassen soll,
macht ganz den Eindruck eines Seefahrers, ohne jedoch mit dem Komfort ver¬
sehen zu sein, deu ein Aufenthalt von vier Nächten und drei Tagen erfordert. Ab¬
gesehen von nur wenigen Kabinen, welche schon viele Tage vorher bestellt werden
und den Fahrpreis der ersten Klasse nahezu verdoppeln, giebt es in dem untersten
Raume nur zwei große Schlafräume, die nach den Geschlechtern getrennt sind.
Jeder Raum bietet den Anblick einer Kasernenstube, zwei sogenannte Betten
unten und zwei darüber. Ein solcher Aufenthalt hebt jede Individualität auf
und erzeugt eine Atmosphäre, welche auch den bescheidensten Anforderungen nicht
genügt. Bedenkt man ferner, daß diese Dampfer die bedeutendste Verbindung der
Balkanländer mit der zivilisirten Welt bilden, daß sie infolgedessen immer dicht
besetzt sind und daß der überwiegende Teil aus Frucht- und Viehhändlern und
andern Handelsleuten von Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien besteht, daß
sich zu diesen noch im Laufe der Fahrt Türken, bulgarische Offiziere, griechische
Popen u. s. w. gesellen, so wird man es glaublich finden, daß für diese inter¬
nationale Gesellschaft nur ein gemeinschaftlicher Grundsatz gilt, welcher unter
Anwendung eines lateinisches Sprichwortes alles Thun für gestattet hält.
In dieser Luft und bei fortwährender Unruhe, wie sie ein Zusammensein
von etwa vierzig Menschen erzeugt, wurde die erste Nacht auf der Donau




Eine jährt in den Grient.
von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.)
2. Auf der Donau bis Rustschuk.

s nahm geraume Zeit in Anspruch, ehe wir uns aus dem Ge¬
wirre herausfinden und bei voller Nacht unser Lager aufsuchen
konnten. Ach, ganz anders, als die Wirklichkeit war, hatte ich
mir in meinem Kopfe die Fahrt auf dem Schiffe ausge¬
malt! Dieses Schiff, welches zwölfhundert Mann fassen soll,
macht ganz den Eindruck eines Seefahrers, ohne jedoch mit dem Komfort ver¬
sehen zu sein, deu ein Aufenthalt von vier Nächten und drei Tagen erfordert. Ab¬
gesehen von nur wenigen Kabinen, welche schon viele Tage vorher bestellt werden
und den Fahrpreis der ersten Klasse nahezu verdoppeln, giebt es in dem untersten
Raume nur zwei große Schlafräume, die nach den Geschlechtern getrennt sind.
Jeder Raum bietet den Anblick einer Kasernenstube, zwei sogenannte Betten
unten und zwei darüber. Ein solcher Aufenthalt hebt jede Individualität auf
und erzeugt eine Atmosphäre, welche auch den bescheidensten Anforderungen nicht
genügt. Bedenkt man ferner, daß diese Dampfer die bedeutendste Verbindung der
Balkanländer mit der zivilisirten Welt bilden, daß sie infolgedessen immer dicht
besetzt sind und daß der überwiegende Teil aus Frucht- und Viehhändlern und
andern Handelsleuten von Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien besteht, daß
sich zu diesen noch im Laufe der Fahrt Türken, bulgarische Offiziere, griechische
Popen u. s. w. gesellen, so wird man es glaublich finden, daß für diese inter¬
nationale Gesellschaft nur ein gemeinschaftlicher Grundsatz gilt, welcher unter
Anwendung eines lateinisches Sprichwortes alles Thun für gestattet hält.
In dieser Luft und bei fortwährender Unruhe, wie sie ein Zusammensein
von etwa vierzig Menschen erzeugt, wurde die erste Nacht auf der Donau


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0101" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201530"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341845_201428/figures/grenzboten_341845_201428_201530_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Eine jährt in den Grient.<lb/><note type="byline"> von Adam von Festenberg.</note> (Fortsetzung.) </head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 2. Auf der Donau bis Rustschuk.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_228" next="#ID_229"> s nahm geraume Zeit in Anspruch, ehe wir uns aus dem Ge¬<lb/>
wirre herausfinden und bei voller Nacht unser Lager aufsuchen<lb/>
konnten. Ach, ganz anders, als die Wirklichkeit war, hatte ich<lb/>
mir in meinem Kopfe die Fahrt auf dem Schiffe ausge¬<lb/>
malt! Dieses Schiff, welches zwölfhundert Mann fassen soll,<lb/>
macht ganz den Eindruck eines Seefahrers, ohne jedoch mit dem Komfort ver¬<lb/>
sehen zu sein, deu ein Aufenthalt von vier Nächten und drei Tagen erfordert. Ab¬<lb/>
gesehen von nur wenigen Kabinen, welche schon viele Tage vorher bestellt werden<lb/>
und den Fahrpreis der ersten Klasse nahezu verdoppeln, giebt es in dem untersten<lb/>
Raume nur zwei große Schlafräume, die nach den Geschlechtern getrennt sind.<lb/>
Jeder Raum bietet den Anblick einer Kasernenstube, zwei sogenannte Betten<lb/>
unten und zwei darüber. Ein solcher Aufenthalt hebt jede Individualität auf<lb/>
und erzeugt eine Atmosphäre, welche auch den bescheidensten Anforderungen nicht<lb/>
genügt. Bedenkt man ferner, daß diese Dampfer die bedeutendste Verbindung der<lb/>
Balkanländer mit der zivilisirten Welt bilden, daß sie infolgedessen immer dicht<lb/>
besetzt sind und daß der überwiegende Teil aus Frucht- und Viehhändlern und<lb/>
andern Handelsleuten von Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien besteht, daß<lb/>
sich zu diesen noch im Laufe der Fahrt Türken, bulgarische Offiziere, griechische<lb/>
Popen u. s. w. gesellen, so wird man es glaublich finden, daß für diese inter¬<lb/>
nationale Gesellschaft nur ein gemeinschaftlicher Grundsatz gilt, welcher unter<lb/>
Anwendung eines lateinisches Sprichwortes alles Thun für gestattet hält.<lb/>
In dieser Luft und bei fortwährender Unruhe, wie sie ein Zusammensein<lb/>
von etwa vierzig Menschen erzeugt, wurde die erste Nacht auf der Donau</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0101] [Abbildung] Eine jährt in den Grient. von Adam von Festenberg. (Fortsetzung.) 2. Auf der Donau bis Rustschuk. s nahm geraume Zeit in Anspruch, ehe wir uns aus dem Ge¬ wirre herausfinden und bei voller Nacht unser Lager aufsuchen konnten. Ach, ganz anders, als die Wirklichkeit war, hatte ich mir in meinem Kopfe die Fahrt auf dem Schiffe ausge¬ malt! Dieses Schiff, welches zwölfhundert Mann fassen soll, macht ganz den Eindruck eines Seefahrers, ohne jedoch mit dem Komfort ver¬ sehen zu sein, deu ein Aufenthalt von vier Nächten und drei Tagen erfordert. Ab¬ gesehen von nur wenigen Kabinen, welche schon viele Tage vorher bestellt werden und den Fahrpreis der ersten Klasse nahezu verdoppeln, giebt es in dem untersten Raume nur zwei große Schlafräume, die nach den Geschlechtern getrennt sind. Jeder Raum bietet den Anblick einer Kasernenstube, zwei sogenannte Betten unten und zwei darüber. Ein solcher Aufenthalt hebt jede Individualität auf und erzeugt eine Atmosphäre, welche auch den bescheidensten Anforderungen nicht genügt. Bedenkt man ferner, daß diese Dampfer die bedeutendste Verbindung der Balkanländer mit der zivilisirten Welt bilden, daß sie infolgedessen immer dicht besetzt sind und daß der überwiegende Teil aus Frucht- und Viehhändlern und andern Handelsleuten von Ungarn, Rumänien, Serbien, Bulgarien besteht, daß sich zu diesen noch im Laufe der Fahrt Türken, bulgarische Offiziere, griechische Popen u. s. w. gesellen, so wird man es glaublich finden, daß für diese inter¬ nationale Gesellschaft nur ein gemeinschaftlicher Grundsatz gilt, welcher unter Anwendung eines lateinisches Sprichwortes alles Thun für gestattet hält. In dieser Luft und bei fortwährender Unruhe, wie sie ein Zusammensein von etwa vierzig Menschen erzeugt, wurde die erste Nacht auf der Donau

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/101
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/101>, abgerufen am 01.05.2024.