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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

gefragt, aber ein zerlumpter Mensch, an welchem mit Mühe ein grüner Fetzen
auf den Achseln zu erkennen war, geberdete sich als Zollaufseher und bestand
aus dem Öffnen unsers Koffers. Einige bulgarische Kupfermünzen -- das
Silber wird noch aus Nußland entlehnt -- befreiten uns von dieser unbequemen
Maßregel, und so hatten wir Zeit, bis zum Abgang des Zuges uns in einem
unsern herabgestimmten Ansprüchen genügenden Hotel einer lange entbehrten
gründlichen Reinigung zu unterwerfen.


3. Über Varna durch das Schwarze Meer in den Bosporus.

Trotz der Eisenbahn giebt es nur zweimal in dieser Woche Personenzüge
bis Varna und von dort Anschluß an Konstantinopel. Daher kommt es auch,
daß man es mit der Abfahrtsstnnde nicht so genau nimmt, sondern mit aller
Muße Waaren und Menschen verladet. Denn diese Eisenbahn, welche einst
Baron Hirsch aus Wien a, 1a, lNÄniörs as Ltronsbsrss baute, hat keineswegs
den Zweck, den Interessen Bulgariens zu dienen, sie ist lediglich zur Verbindung
mit Konstantinopel bestimmt und geradezu mit Verachtung des Landes gebaut,
durch welches sie geht. Sie bekümmert sich nicht um die bulgarischen Städte,
sie läßt sämtliche Ortschaften und selbst Schnmlci, die bedeutendste unter ihnen,
weitab vom Wege liegen. So bietet sie auch dem Reisenden nur einen Ein¬
blick in die ganze Öde des Landes; Kultur und Anbau stehen auf niedriger
Stufe, auf ganzen Strecken hat allein die Natur den freiesten Spielraum zu
schaffen, was ihr beliebt; es fehlt a" Menschen, die ihre Kraft verwerten könnten.
Das Land ist hügelig, die ersten Vorläufer des Balkans zeigen sich und rings-
her herrscht tiefe Stille, nur von den Sumpfvögeln unterbrochen, die, von dem
Bahnzug aufgescheucht, aus dem dichten Röhricht auffliegen. Bei solcher Öoe
bedarf es auch keiner Bahnwärter, und es giebt daher hier auch keine Unfälle,
welche durch die Fahrlässigkeit der Weichensteller verursacht werden können, weil
es an solchen fehlt. Andre Unfälle werden durch den Kismeth verhütet,
auf dessen gütigem Walten die ganze Staatskunst und Verwaltung im Orient
gebaut ist. Wir fuhren zwar auch über Brücken, aber ich habe keine Geländer
an ihnen gesehen, wir kamen anch an Stationen vorbei, aber die Bahnhöfe be¬
standen nur aus Baracken, und von Uhren war keine Rede, da die Zc'it keine
Bedeutung hat. Die einzigen Spuren der Zivilisation sind zahlreiche Grab¬
hügel, das einzig Bleibende, was die Türkenherrschaft und die in deren Gefolge
gewesenen Kriege hinterlassen haben. Doch ist es unnötig, wenn in den Reise-
büchern die Mitnahme von Proviant empfohlen wird, um nicht Hunger zu
leiden. Bei der Station Nasgrad -- von der Stadt mit zehntausend Ein¬
wohnern war natürlich nichts sichtbar -- giebt es eine Restauration, deren
Speisen nicht schlecht sind und deren Preise von der Einschätzung des Wirtes
abhängen. Meine englische Reisemütze erhöhte meine Zeche gegenüber dem
deutschen Schlapphute meines Begleiters um fünfzig Prozent -- ein Beweis,


Eine Fahrt in den Grient.

gefragt, aber ein zerlumpter Mensch, an welchem mit Mühe ein grüner Fetzen
auf den Achseln zu erkennen war, geberdete sich als Zollaufseher und bestand
aus dem Öffnen unsers Koffers. Einige bulgarische Kupfermünzen — das
Silber wird noch aus Nußland entlehnt — befreiten uns von dieser unbequemen
Maßregel, und so hatten wir Zeit, bis zum Abgang des Zuges uns in einem
unsern herabgestimmten Ansprüchen genügenden Hotel einer lange entbehrten
gründlichen Reinigung zu unterwerfen.


3. Über Varna durch das Schwarze Meer in den Bosporus.

Trotz der Eisenbahn giebt es nur zweimal in dieser Woche Personenzüge
bis Varna und von dort Anschluß an Konstantinopel. Daher kommt es auch,
daß man es mit der Abfahrtsstnnde nicht so genau nimmt, sondern mit aller
Muße Waaren und Menschen verladet. Denn diese Eisenbahn, welche einst
Baron Hirsch aus Wien a, 1a, lNÄniörs as Ltronsbsrss baute, hat keineswegs
den Zweck, den Interessen Bulgariens zu dienen, sie ist lediglich zur Verbindung
mit Konstantinopel bestimmt und geradezu mit Verachtung des Landes gebaut,
durch welches sie geht. Sie bekümmert sich nicht um die bulgarischen Städte,
sie läßt sämtliche Ortschaften und selbst Schnmlci, die bedeutendste unter ihnen,
weitab vom Wege liegen. So bietet sie auch dem Reisenden nur einen Ein¬
blick in die ganze Öde des Landes; Kultur und Anbau stehen auf niedriger
Stufe, auf ganzen Strecken hat allein die Natur den freiesten Spielraum zu
schaffen, was ihr beliebt; es fehlt a» Menschen, die ihre Kraft verwerten könnten.
Das Land ist hügelig, die ersten Vorläufer des Balkans zeigen sich und rings-
her herrscht tiefe Stille, nur von den Sumpfvögeln unterbrochen, die, von dem
Bahnzug aufgescheucht, aus dem dichten Röhricht auffliegen. Bei solcher Öoe
bedarf es auch keiner Bahnwärter, und es giebt daher hier auch keine Unfälle,
welche durch die Fahrlässigkeit der Weichensteller verursacht werden können, weil
es an solchen fehlt. Andre Unfälle werden durch den Kismeth verhütet,
auf dessen gütigem Walten die ganze Staatskunst und Verwaltung im Orient
gebaut ist. Wir fuhren zwar auch über Brücken, aber ich habe keine Geländer
an ihnen gesehen, wir kamen anch an Stationen vorbei, aber die Bahnhöfe be¬
standen nur aus Baracken, und von Uhren war keine Rede, da die Zc'it keine
Bedeutung hat. Die einzigen Spuren der Zivilisation sind zahlreiche Grab¬
hügel, das einzig Bleibende, was die Türkenherrschaft und die in deren Gefolge
gewesenen Kriege hinterlassen haben. Doch ist es unnötig, wenn in den Reise-
büchern die Mitnahme von Proviant empfohlen wird, um nicht Hunger zu
leiden. Bei der Station Nasgrad — von der Stadt mit zehntausend Ein¬
wohnern war natürlich nichts sichtbar — giebt es eine Restauration, deren
Speisen nicht schlecht sind und deren Preise von der Einschätzung des Wirtes
abhängen. Meine englische Reisemütze erhöhte meine Zeche gegenüber dem
deutschen Schlapphute meines Begleiters um fünfzig Prozent — ein Beweis,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/107>, abgerufen am 01.05.2024.