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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

Widdin, in den vielen Türkenkriegcn und so auch in dem letzten eine Rolle gespielt
haben. Damit waren wir nach Neurußlaud gelangt, wie man das neue Fürsten¬
tum Bulgarien nicht mit Unrecht bezeichnet. Es scheint nur ein russisches Feld¬
lager zu sein und die ganzen Kräfte des armen Landes auf Militärzwecke zu
verwenden. An der Landesteile von Widdin entwickelte sich eine lebhafte Szene;
bulgarische Milizen wurden in die Heimat entlassen, und in ihrer Begeisterung
trugen sie ihren bisherigen Hauptmann auf ihren Schultern bis an das Schiff.
Es waren kleine, aber kräftige Gestalten mit sehr primitiven Uniformen, die nur
aus weißen Hosen und ebensolchen Kittel mit einem bunten Achselstück bestanden.
Große Wasserstiefel, die an allen Seiten mit groben Flicken besetzt waren,
eröffneten wenigstens die erfreuliche Aussicht, daß die glücklichen Besitzer nicht
von Hühneraugen gequält wurden. Auf der schwarzen Pelzmütze trugen die
christlichen Soldaten das bulgarische Kreuz, während die mohamedanischen gar
kein Abzeichen hatten. So waren wir also bereits in ein Stück Turkmenen
hineingelange; es bestiegen auch schon dicht verschleierte türkische Frauen das
Schiff, ans dessen Deck jetzt eine bunte Gesellschaft lagerte. Aus den Städten
erhoben sich neben den Kirchtürmen die schlanken Minarets der Moscheen, aber
man sah es ihnen an, daß die Bewohner nicht mit einander, sondern jetzt nur
neben einander leben, bis sie ein neu entfachter Funken wieder gegen einander
hetzt. Ein Bild dieser äußerlichen Toleranz bot namentlich die im Grünen
liegende Stadt Lom Palanka, und unser dichterischer Freund, der sich nur zu
sehr von den äußern Eindrücken beherrschen läßt, konnte nicht genug dieses fried¬
liche Nebeneinander der beiden großen Religionen preisen, bis ihn wüst stehende
Häuser und türkische Auswanderer eines Bessern belehrten.

Wir gerieten in eine melancholische Stimmung, bis uns der Untergang der
Sonne zeigte, daß der Vater aller auch trotz der Greuelthaten der Menschen
in seiner herrlichen Natur der Unvergängliche geblieben war. Die Sonne
teilte sich zuerst in einzelne goldglänzende Teile, wie ein Maler mit dem Pinsel
dicke Goldtöne auf eine weiße Fläche wirft. Dann zerteilten sich wieder diese
Flecke und wurden safrangelb, während sich ein roter Untergrund bildete. Im
Hintergrunde ballten sich die Wolken zu dichten Bergen zusammen und gaben
täuschend die Gestaltungen einer hohen Alpenwelt wieder. Man glaubte Berg¬
riesen aus der Donau aufsteigen zu sehen, und das Leuchten, welches von einer
Wolke zur andern sprang, ließ die Bildungen noch gespenstischer erscheinen.
Der Vollmond war im Glänze aufgegangen, sanft kochte die Luft. Es war
ein stimmungsvoller, genußreicher Abend, den uns als letztes Geschenk der Flu߬
gott des Ister verehrte.

Aus Abend und Morgen war der vierte Tag geworden. Als wir aus
der greulichen Luft des Schlafsaals befreit wurden, ging unser Dampfer schon
tapfer auf Giurgcwo zu, von dort brachte er uns nach Nustschuk und endlich
an die Bahn. Beim Besteigen des Landes wurde zwar nicht nach dem Paß


Eine Fahrt in den Grient.

Widdin, in den vielen Türkenkriegcn und so auch in dem letzten eine Rolle gespielt
haben. Damit waren wir nach Neurußlaud gelangt, wie man das neue Fürsten¬
tum Bulgarien nicht mit Unrecht bezeichnet. Es scheint nur ein russisches Feld¬
lager zu sein und die ganzen Kräfte des armen Landes auf Militärzwecke zu
verwenden. An der Landesteile von Widdin entwickelte sich eine lebhafte Szene;
bulgarische Milizen wurden in die Heimat entlassen, und in ihrer Begeisterung
trugen sie ihren bisherigen Hauptmann auf ihren Schultern bis an das Schiff.
Es waren kleine, aber kräftige Gestalten mit sehr primitiven Uniformen, die nur
aus weißen Hosen und ebensolchen Kittel mit einem bunten Achselstück bestanden.
Große Wasserstiefel, die an allen Seiten mit groben Flicken besetzt waren,
eröffneten wenigstens die erfreuliche Aussicht, daß die glücklichen Besitzer nicht
von Hühneraugen gequält wurden. Auf der schwarzen Pelzmütze trugen die
christlichen Soldaten das bulgarische Kreuz, während die mohamedanischen gar
kein Abzeichen hatten. So waren wir also bereits in ein Stück Turkmenen
hineingelange; es bestiegen auch schon dicht verschleierte türkische Frauen das
Schiff, ans dessen Deck jetzt eine bunte Gesellschaft lagerte. Aus den Städten
erhoben sich neben den Kirchtürmen die schlanken Minarets der Moscheen, aber
man sah es ihnen an, daß die Bewohner nicht mit einander, sondern jetzt nur
neben einander leben, bis sie ein neu entfachter Funken wieder gegen einander
hetzt. Ein Bild dieser äußerlichen Toleranz bot namentlich die im Grünen
liegende Stadt Lom Palanka, und unser dichterischer Freund, der sich nur zu
sehr von den äußern Eindrücken beherrschen läßt, konnte nicht genug dieses fried¬
liche Nebeneinander der beiden großen Religionen preisen, bis ihn wüst stehende
Häuser und türkische Auswanderer eines Bessern belehrten.

Wir gerieten in eine melancholische Stimmung, bis uns der Untergang der
Sonne zeigte, daß der Vater aller auch trotz der Greuelthaten der Menschen
in seiner herrlichen Natur der Unvergängliche geblieben war. Die Sonne
teilte sich zuerst in einzelne goldglänzende Teile, wie ein Maler mit dem Pinsel
dicke Goldtöne auf eine weiße Fläche wirft. Dann zerteilten sich wieder diese
Flecke und wurden safrangelb, während sich ein roter Untergrund bildete. Im
Hintergrunde ballten sich die Wolken zu dichten Bergen zusammen und gaben
täuschend die Gestaltungen einer hohen Alpenwelt wieder. Man glaubte Berg¬
riesen aus der Donau aufsteigen zu sehen, und das Leuchten, welches von einer
Wolke zur andern sprang, ließ die Bildungen noch gespenstischer erscheinen.
Der Vollmond war im Glänze aufgegangen, sanft kochte die Luft. Es war
ein stimmungsvoller, genußreicher Abend, den uns als letztes Geschenk der Flu߬
gott des Ister verehrte.

Aus Abend und Morgen war der vierte Tag geworden. Als wir aus
der greulichen Luft des Schlafsaals befreit wurden, ging unser Dampfer schon
tapfer auf Giurgcwo zu, von dort brachte er uns nach Nustschuk und endlich
an die Bahn. Beim Besteigen des Landes wurde zwar nicht nach dem Paß


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[0106] Eine Fahrt in den Grient. Widdin, in den vielen Türkenkriegcn und so auch in dem letzten eine Rolle gespielt haben. Damit waren wir nach Neurußlaud gelangt, wie man das neue Fürsten¬ tum Bulgarien nicht mit Unrecht bezeichnet. Es scheint nur ein russisches Feld¬ lager zu sein und die ganzen Kräfte des armen Landes auf Militärzwecke zu verwenden. An der Landesteile von Widdin entwickelte sich eine lebhafte Szene; bulgarische Milizen wurden in die Heimat entlassen, und in ihrer Begeisterung trugen sie ihren bisherigen Hauptmann auf ihren Schultern bis an das Schiff. Es waren kleine, aber kräftige Gestalten mit sehr primitiven Uniformen, die nur aus weißen Hosen und ebensolchen Kittel mit einem bunten Achselstück bestanden. Große Wasserstiefel, die an allen Seiten mit groben Flicken besetzt waren, eröffneten wenigstens die erfreuliche Aussicht, daß die glücklichen Besitzer nicht von Hühneraugen gequält wurden. Auf der schwarzen Pelzmütze trugen die christlichen Soldaten das bulgarische Kreuz, während die mohamedanischen gar kein Abzeichen hatten. So waren wir also bereits in ein Stück Turkmenen hineingelange; es bestiegen auch schon dicht verschleierte türkische Frauen das Schiff, ans dessen Deck jetzt eine bunte Gesellschaft lagerte. Aus den Städten erhoben sich neben den Kirchtürmen die schlanken Minarets der Moscheen, aber man sah es ihnen an, daß die Bewohner nicht mit einander, sondern jetzt nur neben einander leben, bis sie ein neu entfachter Funken wieder gegen einander hetzt. Ein Bild dieser äußerlichen Toleranz bot namentlich die im Grünen liegende Stadt Lom Palanka, und unser dichterischer Freund, der sich nur zu sehr von den äußern Eindrücken beherrschen läßt, konnte nicht genug dieses fried¬ liche Nebeneinander der beiden großen Religionen preisen, bis ihn wüst stehende Häuser und türkische Auswanderer eines Bessern belehrten. Wir gerieten in eine melancholische Stimmung, bis uns der Untergang der Sonne zeigte, daß der Vater aller auch trotz der Greuelthaten der Menschen in seiner herrlichen Natur der Unvergängliche geblieben war. Die Sonne teilte sich zuerst in einzelne goldglänzende Teile, wie ein Maler mit dem Pinsel dicke Goldtöne auf eine weiße Fläche wirft. Dann zerteilten sich wieder diese Flecke und wurden safrangelb, während sich ein roter Untergrund bildete. Im Hintergrunde ballten sich die Wolken zu dichten Bergen zusammen und gaben täuschend die Gestaltungen einer hohen Alpenwelt wieder. Man glaubte Berg¬ riesen aus der Donau aufsteigen zu sehen, und das Leuchten, welches von einer Wolke zur andern sprang, ließ die Bildungen noch gespenstischer erscheinen. Der Vollmond war im Glänze aufgegangen, sanft kochte die Luft. Es war ein stimmungsvoller, genußreicher Abend, den uns als letztes Geschenk der Flu߬ gott des Ister verehrte. Aus Abend und Morgen war der vierte Tag geworden. Als wir aus der greulichen Luft des Schlafsaals befreit wurden, ging unser Dampfer schon tapfer auf Giurgcwo zu, von dort brachte er uns nach Nustschuk und endlich an die Bahn. Beim Besteigen des Landes wurde zwar nicht nach dem Paß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/106>, abgerufen am 22.05.2024.