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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Literatur.

haben, sind sie alle eintönig; in Tirol und in Italien ist in bestimmter Gegend
ein Bauer wie der andre gekleidet. Hier aber wechseln die Farben der Hosen
und des Kittels, des Gurts und des Mantels in allen Spielarten. Der Kopf¬
bedeckungen sind aber so viele, daß ich auf diesem Gange von dem einen Ende
der Brücke zum andern deren mehr als fünfzig zählte. Der Fez ist verschieden,
je nachdem er von Zivil oder Militär, von Türken, Griechen oder Serben ge¬
tragen wird; die untern Volksklassen winden um den Fez noch ein Tuch zu
einem Turban, meist weiß, oft aber auch bunt, und grün, wenn der Träger das
Glück hatte, eine Pilgerfahrt nach Mekka mitzumachen.

Als wir abends in Pera mit unsern in türkischen Diensten stehenden
Landsleuten zusammen im Bierhaus saßen, gleich als ob wir uns auf der Pots¬
damerstraße im Wirtshaus zum Kurfürsten befänden, so trat uns der Gegensatz
von Abend- und Morgenland auch geistig näher.

Damit laßt mich heute schließen. Draußen ist schon tiefe Nacht; brennt
anch in meiner stillen Zelle die Lampe freundlich, so erinnert mich doch das
Klopfen des Wächters und das Gebell der Hunde, daß ich fern von euch in
einer neuen Welt bin. Morgen aber soll es noch tiefer hineingehen. Die tür¬
kische Post ist besorgt, das Reisebttndel geschnürt, um ans einige Tage Konstan-
tinopel zu verlassen und nach Asien zu reisen. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Vorlesungen über das Zeitalter der Freiheitskriege. Von Joh. Gust. Droys er.
Zweite Auflage. Zwei Bände. Gotha, F. A, Perthes, 1886.

Es ist nicht nötig, dieses vor vierzig Jahren erschienene vorzügliche Werk bei
seinem zweiten Erscheinen weitläufig zu besprechen. Wer es noch nicht kennt, könnte
den Gegenstand dieser einst zu Kiel gehaltenen Vorlesungen nach dem Titel "Zeit¬
alter der Freiheitskriege" leicht zu eng begrenzen. Was wir unsern Befreiungs¬
krieg gegenüber Napoleon nennen, bildet nur den Schluß des letzten Bandes und
umfaßt noch nicht hundert Seiten, während das ganze Buch 861 Seiten hat. Der
Gegenstand ist eben ein weit umfassenderer. In großen Zügen erzählt der Ver¬
fasser die Umwälzungen, welche seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bis
1815 die Kulturstaaten erleiden. Insbesondre wie sich der Staatsbegriff dabei
entwickelt, wird vom Verfasser mit stetem Interesse gezeigt.

Droysens Art, die geschichtlichen Zustände und Ereignisse zu beleben durch
patriotische und religiöse Motive, ohne die Rhetorik des bloßen Verstandes, mußte
sich gerade in der Form von Vorlesungen günstig ausprägen. So ist denn die
Lektüre dieses Werkes erfreulich und genußreich um der vielseitigen, man kann
sagen künstlerischen Darstellung willen, der man uirgeuds mehr die mühsame Herbei¬
schaffung des Materials anmerkt. Darum kann man es nur mit Freude begrüßen,
daß das Werk dem Buchhandel wiedergegeben worden ist. Nach dem Vorwort


Literatur.

haben, sind sie alle eintönig; in Tirol und in Italien ist in bestimmter Gegend
ein Bauer wie der andre gekleidet. Hier aber wechseln die Farben der Hosen
und des Kittels, des Gurts und des Mantels in allen Spielarten. Der Kopf¬
bedeckungen sind aber so viele, daß ich auf diesem Gange von dem einen Ende
der Brücke zum andern deren mehr als fünfzig zählte. Der Fez ist verschieden,
je nachdem er von Zivil oder Militär, von Türken, Griechen oder Serben ge¬
tragen wird; die untern Volksklassen winden um den Fez noch ein Tuch zu
einem Turban, meist weiß, oft aber auch bunt, und grün, wenn der Träger das
Glück hatte, eine Pilgerfahrt nach Mekka mitzumachen.

Als wir abends in Pera mit unsern in türkischen Diensten stehenden
Landsleuten zusammen im Bierhaus saßen, gleich als ob wir uns auf der Pots¬
damerstraße im Wirtshaus zum Kurfürsten befänden, so trat uns der Gegensatz
von Abend- und Morgenland auch geistig näher.

Damit laßt mich heute schließen. Draußen ist schon tiefe Nacht; brennt
anch in meiner stillen Zelle die Lampe freundlich, so erinnert mich doch das
Klopfen des Wächters und das Gebell der Hunde, daß ich fern von euch in
einer neuen Welt bin. Morgen aber soll es noch tiefer hineingehen. Die tür¬
kische Post ist besorgt, das Reisebttndel geschnürt, um ans einige Tage Konstan-
tinopel zu verlassen und nach Asien zu reisen. (Fortsetzung folgt.)




Literatur.
Vorlesungen über das Zeitalter der Freiheitskriege. Von Joh. Gust. Droys er.
Zweite Auflage. Zwei Bände. Gotha, F. A, Perthes, 1886.

Es ist nicht nötig, dieses vor vierzig Jahren erschienene vorzügliche Werk bei
seinem zweiten Erscheinen weitläufig zu besprechen. Wer es noch nicht kennt, könnte
den Gegenstand dieser einst zu Kiel gehaltenen Vorlesungen nach dem Titel „Zeit¬
alter der Freiheitskriege" leicht zu eng begrenzen. Was wir unsern Befreiungs¬
krieg gegenüber Napoleon nennen, bildet nur den Schluß des letzten Bandes und
umfaßt noch nicht hundert Seiten, während das ganze Buch 861 Seiten hat. Der
Gegenstand ist eben ein weit umfassenderer. In großen Zügen erzählt der Ver¬
fasser die Umwälzungen, welche seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bis
1815 die Kulturstaaten erleiden. Insbesondre wie sich der Staatsbegriff dabei
entwickelt, wird vom Verfasser mit stetem Interesse gezeigt.

Droysens Art, die geschichtlichen Zustände und Ereignisse zu beleben durch
patriotische und religiöse Motive, ohne die Rhetorik des bloßen Verstandes, mußte
sich gerade in der Form von Vorlesungen günstig ausprägen. So ist denn die
Lektüre dieses Werkes erfreulich und genußreich um der vielseitigen, man kann
sagen künstlerischen Darstellung willen, der man uirgeuds mehr die mühsame Herbei¬
schaffung des Materials anmerkt. Darum kann man es nur mit Freude begrüßen,
daß das Werk dem Buchhandel wiedergegeben worden ist. Nach dem Vorwort


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[0205] Literatur. haben, sind sie alle eintönig; in Tirol und in Italien ist in bestimmter Gegend ein Bauer wie der andre gekleidet. Hier aber wechseln die Farben der Hosen und des Kittels, des Gurts und des Mantels in allen Spielarten. Der Kopf¬ bedeckungen sind aber so viele, daß ich auf diesem Gange von dem einen Ende der Brücke zum andern deren mehr als fünfzig zählte. Der Fez ist verschieden, je nachdem er von Zivil oder Militär, von Türken, Griechen oder Serben ge¬ tragen wird; die untern Volksklassen winden um den Fez noch ein Tuch zu einem Turban, meist weiß, oft aber auch bunt, und grün, wenn der Träger das Glück hatte, eine Pilgerfahrt nach Mekka mitzumachen. Als wir abends in Pera mit unsern in türkischen Diensten stehenden Landsleuten zusammen im Bierhaus saßen, gleich als ob wir uns auf der Pots¬ damerstraße im Wirtshaus zum Kurfürsten befänden, so trat uns der Gegensatz von Abend- und Morgenland auch geistig näher. Damit laßt mich heute schließen. Draußen ist schon tiefe Nacht; brennt anch in meiner stillen Zelle die Lampe freundlich, so erinnert mich doch das Klopfen des Wächters und das Gebell der Hunde, daß ich fern von euch in einer neuen Welt bin. Morgen aber soll es noch tiefer hineingehen. Die tür¬ kische Post ist besorgt, das Reisebttndel geschnürt, um ans einige Tage Konstan- tinopel zu verlassen und nach Asien zu reisen. (Fortsetzung folgt.) Literatur. Vorlesungen über das Zeitalter der Freiheitskriege. Von Joh. Gust. Droys er. Zweite Auflage. Zwei Bände. Gotha, F. A, Perthes, 1886. Es ist nicht nötig, dieses vor vierzig Jahren erschienene vorzügliche Werk bei seinem zweiten Erscheinen weitläufig zu besprechen. Wer es noch nicht kennt, könnte den Gegenstand dieser einst zu Kiel gehaltenen Vorlesungen nach dem Titel „Zeit¬ alter der Freiheitskriege" leicht zu eng begrenzen. Was wir unsern Befreiungs¬ krieg gegenüber Napoleon nennen, bildet nur den Schluß des letzten Bandes und umfaßt noch nicht hundert Seiten, während das ganze Buch 861 Seiten hat. Der Gegenstand ist eben ein weit umfassenderer. In großen Zügen erzählt der Ver¬ fasser die Umwälzungen, welche seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts bis 1815 die Kulturstaaten erleiden. Insbesondre wie sich der Staatsbegriff dabei entwickelt, wird vom Verfasser mit stetem Interesse gezeigt. Droysens Art, die geschichtlichen Zustände und Ereignisse zu beleben durch patriotische und religiöse Motive, ohne die Rhetorik des bloßen Verstandes, mußte sich gerade in der Form von Vorlesungen günstig ausprägen. So ist denn die Lektüre dieses Werkes erfreulich und genußreich um der vielseitigen, man kann sagen künstlerischen Darstellung willen, der man uirgeuds mehr die mühsame Herbei¬ schaffung des Materials anmerkt. Darum kann man es nur mit Freude begrüßen, daß das Werk dem Buchhandel wiedergegeben worden ist. Nach dem Vorwort

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/205>, abgerufen am 01.05.2024.