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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Grient.

unser braver Dragoman den vor dem Kriegsministerium (Seraskierat) befind¬
lichen und nach diesem genannten Turm in einer Höhe von 182 steilen Stufen
hinaufklettern. Von hier aus zeigt sich der Bosporus, das Marmammeer und
das goldne Horn, Skutari bis weit in die asiatischen Berge, Galata und Pera,
sowie unmittelbar zu unsern Füßen Stambul. Für uns Deutsche ist dieser
Turm, auf welchem sich jetzt nur der Feuerwächter befindet, eine Stätte der
Erinnerung an unsern großen Strategen. Von hier aus entwarf der damals
in türkischen Diensten befindliche Hauptmann von Moltke den Plan von Kon¬
stantinopel, der noch heute die Grundlage aller Karten Konstantinopels bildet.
Wenn man erwägt, daß Stambul keine Straßennamen hat und daß es geradezu
eines strategischen Talents bedarf, sich aus diesen vielen engen Straßen heraus¬
zufinden, so wird man begreifen, daß jenes Werk des großen Feldherrn auch
für uns von nicht zu unterschätzenden Werte war.

Die Sonne war ihrem Sinken nahe, als wir uns auf den Heimweg machten.
Wir gingen noch durch die Gewürzlager, wo neben den duftigen Kräutern,
welche die fruchtbaren Gefilde Asiens erzengen, auch Medikamente und Gifte
aller Art feilgeboten werden, und hielten nur noch vor einem Laden gegenüber
der neuen Moschee, um uus einen Fez zu kaufen und mit diesem bekleidet
unsre Freunde zu überraschen. Während wir vor der Thür des Magazins
lagerten, trat ein Araber aus Algier auf uns zu und suchte mit wenigen fran¬
zösischen Brocken unser Vaterland auszuforschen. Es war schwer, sich dem
Manne verständlich zu machen, bis der Name "Bismarck" ihm die volle Auf¬
klärung verschaffte und er uns seine hohe Verehrung für diesen und den ein-
xsrsur HmUiwms ausdrückte.

Der Weg führte uus über die große Völkerbrücke zwischen Stambul und
Galata. Hier glaubt man in der That sich bei einem Maskenbälle zu befinden,
zu welchem sich die Völker der Erde Rendezvous geben. Ein Gewühl von
Reitern und Trachten jeder Art; griechische Priester wechseln mit Imaus, Frcm-
ziskanermvuche mit Derwischen, die eleganteste, nach Pariser Mode gekleidete
Levcmtinerin mit der verhüllten Türkin, Europäer neben dunkeln Arabern oder
Negern, Perser in ihren langen Kaftans neben Offizieren aller Gattungen; Tscher-
kessen auf feurigen Rossen und Tscherbecks, welche in ihrem Gürtel ein ganzes
Arsenal von Waffen tragen, Wagen, in denen verschleierte Frauen von Paschas
sitzen, deren schwarze Eunuchen zu Pferde folgen; Glanz und Elend hart neben¬
einander, den würdevoll in langsamem Schritt einherstolzirenden Effendi begleiten
heulend halbnackte Bettclkinder, Krüppel von schrecklichster Mißgestaltung lenken
durch monotone Gesänge die Angen der Vorübergehenden auf sich -- hier ist
Occident und Orient bunt durcheinander gewürfelt.

Es würde schwer sein, eine einzige Tracht herauszugreifen und sie zu
beschreiben, denn der Orientale liebt nicht nur das Bunte, sondern auch den
Wechsel. Wo sich bei uus die immer seltener werdende" Volkstrachten erhalten


Line Fahrt in den Grient.

unser braver Dragoman den vor dem Kriegsministerium (Seraskierat) befind¬
lichen und nach diesem genannten Turm in einer Höhe von 182 steilen Stufen
hinaufklettern. Von hier aus zeigt sich der Bosporus, das Marmammeer und
das goldne Horn, Skutari bis weit in die asiatischen Berge, Galata und Pera,
sowie unmittelbar zu unsern Füßen Stambul. Für uns Deutsche ist dieser
Turm, auf welchem sich jetzt nur der Feuerwächter befindet, eine Stätte der
Erinnerung an unsern großen Strategen. Von hier aus entwarf der damals
in türkischen Diensten befindliche Hauptmann von Moltke den Plan von Kon¬
stantinopel, der noch heute die Grundlage aller Karten Konstantinopels bildet.
Wenn man erwägt, daß Stambul keine Straßennamen hat und daß es geradezu
eines strategischen Talents bedarf, sich aus diesen vielen engen Straßen heraus¬
zufinden, so wird man begreifen, daß jenes Werk des großen Feldherrn auch
für uns von nicht zu unterschätzenden Werte war.

Die Sonne war ihrem Sinken nahe, als wir uns auf den Heimweg machten.
Wir gingen noch durch die Gewürzlager, wo neben den duftigen Kräutern,
welche die fruchtbaren Gefilde Asiens erzengen, auch Medikamente und Gifte
aller Art feilgeboten werden, und hielten nur noch vor einem Laden gegenüber
der neuen Moschee, um uus einen Fez zu kaufen und mit diesem bekleidet
unsre Freunde zu überraschen. Während wir vor der Thür des Magazins
lagerten, trat ein Araber aus Algier auf uns zu und suchte mit wenigen fran¬
zösischen Brocken unser Vaterland auszuforschen. Es war schwer, sich dem
Manne verständlich zu machen, bis der Name „Bismarck" ihm die volle Auf¬
klärung verschaffte und er uns seine hohe Verehrung für diesen und den ein-
xsrsur HmUiwms ausdrückte.

Der Weg führte uus über die große Völkerbrücke zwischen Stambul und
Galata. Hier glaubt man in der That sich bei einem Maskenbälle zu befinden,
zu welchem sich die Völker der Erde Rendezvous geben. Ein Gewühl von
Reitern und Trachten jeder Art; griechische Priester wechseln mit Imaus, Frcm-
ziskanermvuche mit Derwischen, die eleganteste, nach Pariser Mode gekleidete
Levcmtinerin mit der verhüllten Türkin, Europäer neben dunkeln Arabern oder
Negern, Perser in ihren langen Kaftans neben Offizieren aller Gattungen; Tscher-
kessen auf feurigen Rossen und Tscherbecks, welche in ihrem Gürtel ein ganzes
Arsenal von Waffen tragen, Wagen, in denen verschleierte Frauen von Paschas
sitzen, deren schwarze Eunuchen zu Pferde folgen; Glanz und Elend hart neben¬
einander, den würdevoll in langsamem Schritt einherstolzirenden Effendi begleiten
heulend halbnackte Bettclkinder, Krüppel von schrecklichster Mißgestaltung lenken
durch monotone Gesänge die Angen der Vorübergehenden auf sich — hier ist
Occident und Orient bunt durcheinander gewürfelt.

Es würde schwer sein, eine einzige Tracht herauszugreifen und sie zu
beschreiben, denn der Orientale liebt nicht nur das Bunte, sondern auch den
Wechsel. Wo sich bei uus die immer seltener werdende« Volkstrachten erhalten


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[0204] Line Fahrt in den Grient. unser braver Dragoman den vor dem Kriegsministerium (Seraskierat) befind¬ lichen und nach diesem genannten Turm in einer Höhe von 182 steilen Stufen hinaufklettern. Von hier aus zeigt sich der Bosporus, das Marmammeer und das goldne Horn, Skutari bis weit in die asiatischen Berge, Galata und Pera, sowie unmittelbar zu unsern Füßen Stambul. Für uns Deutsche ist dieser Turm, auf welchem sich jetzt nur der Feuerwächter befindet, eine Stätte der Erinnerung an unsern großen Strategen. Von hier aus entwarf der damals in türkischen Diensten befindliche Hauptmann von Moltke den Plan von Kon¬ stantinopel, der noch heute die Grundlage aller Karten Konstantinopels bildet. Wenn man erwägt, daß Stambul keine Straßennamen hat und daß es geradezu eines strategischen Talents bedarf, sich aus diesen vielen engen Straßen heraus¬ zufinden, so wird man begreifen, daß jenes Werk des großen Feldherrn auch für uns von nicht zu unterschätzenden Werte war. Die Sonne war ihrem Sinken nahe, als wir uns auf den Heimweg machten. Wir gingen noch durch die Gewürzlager, wo neben den duftigen Kräutern, welche die fruchtbaren Gefilde Asiens erzengen, auch Medikamente und Gifte aller Art feilgeboten werden, und hielten nur noch vor einem Laden gegenüber der neuen Moschee, um uus einen Fez zu kaufen und mit diesem bekleidet unsre Freunde zu überraschen. Während wir vor der Thür des Magazins lagerten, trat ein Araber aus Algier auf uns zu und suchte mit wenigen fran¬ zösischen Brocken unser Vaterland auszuforschen. Es war schwer, sich dem Manne verständlich zu machen, bis der Name „Bismarck" ihm die volle Auf¬ klärung verschaffte und er uns seine hohe Verehrung für diesen und den ein- xsrsur HmUiwms ausdrückte. Der Weg führte uus über die große Völkerbrücke zwischen Stambul und Galata. Hier glaubt man in der That sich bei einem Maskenbälle zu befinden, zu welchem sich die Völker der Erde Rendezvous geben. Ein Gewühl von Reitern und Trachten jeder Art; griechische Priester wechseln mit Imaus, Frcm- ziskanermvuche mit Derwischen, die eleganteste, nach Pariser Mode gekleidete Levcmtinerin mit der verhüllten Türkin, Europäer neben dunkeln Arabern oder Negern, Perser in ihren langen Kaftans neben Offizieren aller Gattungen; Tscher- kessen auf feurigen Rossen und Tscherbecks, welche in ihrem Gürtel ein ganzes Arsenal von Waffen tragen, Wagen, in denen verschleierte Frauen von Paschas sitzen, deren schwarze Eunuchen zu Pferde folgen; Glanz und Elend hart neben¬ einander, den würdevoll in langsamem Schritt einherstolzirenden Effendi begleiten heulend halbnackte Bettclkinder, Krüppel von schrecklichster Mißgestaltung lenken durch monotone Gesänge die Angen der Vorübergehenden auf sich — hier ist Occident und Orient bunt durcheinander gewürfelt. Es würde schwer sein, eine einzige Tracht herauszugreifen und sie zu beschreiben, denn der Orientale liebt nicht nur das Bunte, sondern auch den Wechsel. Wo sich bei uus die immer seltener werdende« Volkstrachten erhalten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/204>, abgerufen am 15.05.2024.