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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Karl Friedrich Bahrdt.
Waldemar Aawerciu. Gin litvrarischcs Lharakkerlnld von

in Mai 1779 kehlte im "Kronprinzen" zu Halle ein Reisender
ein, der mit Weib und Kindern und geringem Gepäck von Dürk-
heim an der Haardt kam. Er war ein Manu von achtunddreißig
Jahren, ein Doktor der Theologie, dessen Name allenthalben so
bekannt wie berüchtigt war, "Auch in Halle hatte es sich rasch
wie ein Lauffeuer verbreitet, der Doktor Bahrdt sei angekommen, und wo sich
dieser auf der Straße sehen ließ, dn zeigten die Leute mit Fingern auf ihn
oder gingen ihm scheu aus dem Wege.

Er war nicht zum ersten male in der allen Musenstadt an der Saale;
schon im Jahre 1768 hatte der junge Leipziger Magister, der wegen eines höchst
unsauberen Handels Elternhaus und Amt hatte verlassen müssen, ein paar
Wochen bei seinem Freunde, dem Professor Klotz, zugebracht, durch dessen Be¬
günstigung ihm dann eine Professur in Erfurt zugefallen war. Nun war er
nach elf Jahren, schiffbrüchig, hierher zurückgekehrt, wie "ein Bettler, ohne Amt,
ohne Aussicht," nur im Vertrauen ans den duldsamer Philosophen ans dem
preußischen Königsthrone, von dem der innerlich und äußerlich gebrochene Mann
eine letzte Zuflucht hoffte.

Ein wirres und abenteuerliches, durch eigne Schuld verwüstetes Leben lag
hinter ihm. Er stammte gleich dem drei Jahre älteren Klotz aus Bischofswerda
in der Oberlausitz, wo er am 25. August 1741 geboren war. Wenige Jahre
nach seiner Geburt war sein Vater, der sich einst als junger Kandidat durch
eine iuiprvvisirte Strohkrauzrede die Gunst des Grafen von Hohendorf, des
Präsidenten des Dresdner Oberkvusistvriums, erwürben hatte, als Prediger und
Professor nanu Leipzig versetzt worden, und hier hatte sein Sohn, der von den
Leipzigern als eine Art Wunderkind angestaunt wurde, bereits mit fünfzehn
Jahren die Universität bezogen, mar rasch nach einander Doktor der Philosophie
und Magister geworden, trug schon als Neunzehnjähriger Dogmcitik vor und
predigte nnter großen Beifall i" der Pctercckirche, an der ihm eine der viel-
begchrteu Katechetenstellen zu Teil geworden war. Er war damals durchaus
rechtgläubig, orthodox schlechtweg; er hielt rechtgläubige Predigten, betete fleißig
und hütete sich ängstlich vor jedem Luftzuge der Kritik, sodaß gar der Haupt-
Pastor Goeze in Hamburg ihn mit Wohlgefallen betrachtete und zu einer Wahl¬
predigt einlud. Aber wenn etwas, so beweist gerade die Schilderung, die wir
von ihm selbst über sein damaliges Leben und Treiben und über das seiner


Karl Friedrich Bahrdt.
Waldemar Aawerciu. Gin litvrarischcs Lharakkerlnld von

in Mai 1779 kehlte im „Kronprinzen" zu Halle ein Reisender
ein, der mit Weib und Kindern und geringem Gepäck von Dürk-
heim an der Haardt kam. Er war ein Manu von achtunddreißig
Jahren, ein Doktor der Theologie, dessen Name allenthalben so
bekannt wie berüchtigt war, "Auch in Halle hatte es sich rasch
wie ein Lauffeuer verbreitet, der Doktor Bahrdt sei angekommen, und wo sich
dieser auf der Straße sehen ließ, dn zeigten die Leute mit Fingern auf ihn
oder gingen ihm scheu aus dem Wege.

Er war nicht zum ersten male in der allen Musenstadt an der Saale;
schon im Jahre 1768 hatte der junge Leipziger Magister, der wegen eines höchst
unsauberen Handels Elternhaus und Amt hatte verlassen müssen, ein paar
Wochen bei seinem Freunde, dem Professor Klotz, zugebracht, durch dessen Be¬
günstigung ihm dann eine Professur in Erfurt zugefallen war. Nun war er
nach elf Jahren, schiffbrüchig, hierher zurückgekehrt, wie „ein Bettler, ohne Amt,
ohne Aussicht," nur im Vertrauen ans den duldsamer Philosophen ans dem
preußischen Königsthrone, von dem der innerlich und äußerlich gebrochene Mann
eine letzte Zuflucht hoffte.

Ein wirres und abenteuerliches, durch eigne Schuld verwüstetes Leben lag
hinter ihm. Er stammte gleich dem drei Jahre älteren Klotz aus Bischofswerda
in der Oberlausitz, wo er am 25. August 1741 geboren war. Wenige Jahre
nach seiner Geburt war sein Vater, der sich einst als junger Kandidat durch
eine iuiprvvisirte Strohkrauzrede die Gunst des Grafen von Hohendorf, des
Präsidenten des Dresdner Oberkvusistvriums, erwürben hatte, als Prediger und
Professor nanu Leipzig versetzt worden, und hier hatte sein Sohn, der von den
Leipzigern als eine Art Wunderkind angestaunt wurde, bereits mit fünfzehn
Jahren die Universität bezogen, mar rasch nach einander Doktor der Philosophie
und Magister geworden, trug schon als Neunzehnjähriger Dogmcitik vor und
predigte nnter großen Beifall i» der Pctercckirche, an der ihm eine der viel-
begchrteu Katechetenstellen zu Teil geworden war. Er war damals durchaus
rechtgläubig, orthodox schlechtweg; er hielt rechtgläubige Predigten, betete fleißig
und hütete sich ängstlich vor jedem Luftzuge der Kritik, sodaß gar der Haupt-
Pastor Goeze in Hamburg ihn mit Wohlgefallen betrachtete und zu einer Wahl¬
predigt einlud. Aber wenn etwas, so beweist gerade die Schilderung, die wir
von ihm selbst über sein damaliges Leben und Treiben und über das seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/23>, abgerufen am 01.05.2024.