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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz,
Hi. Madame Luzifer.
, (Schluß.)

romantische Schule zeigt in der ersten Hälfte ihrer Ent-
gleichsam in aufsteigender Linie, mehr Verivandt-
"^^^D?^ schaft mit der französischen Revolution, alö man gewöhnlich
^^^WM^Ü annimmt. Sie selbst war revolutionär, ihr Ziel war unbedingte
Aufrichtigkeit, schrankenlose Geltung des Einzelwesens, ucickte
Gegenständlichkeit. Alle Schönrednerei, aller Zwang der Nationalität war
ihr verhaßt, in der grenzenlosen Weite der Formen und Stoffe der ganzen
Welt sollte sich der Einzelne ausleben können, als Gegengewicht zu dieser Fülle
galt ihr einzig nud allein der scharfzngespitzte Gedanke und die untadlige Form.
Aber wie die französische Revolution, so verlor auch sie sich im Unbestimmten,
im Phantastischen und in eigenmächtiger Willkür. Mit der Kirche und dem
Hofe hatte sie noch kein Bündnis geschlossen. So waren die beiden Schlegel,
Tieck, Novalis und die Philosophen Fichte und Schelling. Ein inniger Freund-
schaftsbund verband diese Neuerer, und mitten in demselben stand Karoline
als Bannerträgerin. Sie war dieselbe geblieben, die sie in Mainz gewesen
war, nur daß sie den Freiheitsbaum aus dem politischen Boden herausgezogen
und in die Literatur verpflanzt hatte.

Zunächst warf sie sich mit allem Eifer ans die Schriftstellern. Nicht daß
sie selbst zusammenhängende Werke geschrieben hätte, sie machte sich nur bei der
literarischen Familienindnstrie der Brüder Schlegel unentbehrlich; die Schlegel
suchten damals noch in friedlichem Verkehr mit aller Welt zu bleibe", um sich
die Spalten der Zeitschriften für ihre Arbeiten offen zu halten. Diese waren
so ziemlich alle kritischer Natur. Friedrich, der sich damals erst in Dresden,
dann in Berlin aufhielt, schöpfte mit Vorliebe aus der Geschichte und Literatur
der Grieche" und Römer, Wilhelm rczensirte. Schillers Hören, Reinharts
Deutschland, Schützers Jeuaische Literaturzeitung waren die Kanäle, durch welche
ihre Ansichten und Grundsätze in das lesende und denkende Publikum hinaus¬
fließen sollten. 1798 gab Friedrich Schlegel eine eigne Zeitschrift, das Athe¬
näum, heraus. Karoline mußte alles lese", alles prüfen, die schwachen Stellen
anstreichen oder selbst verbessern. Manche von Wilhelms besten Arbeiten, wie


Dichterfreundinnen.
von Franz Pfalz,
Hi. Madame Luzifer.
, (Schluß.)

romantische Schule zeigt in der ersten Hälfte ihrer Ent-
gleichsam in aufsteigender Linie, mehr Verivandt-
»^^^D?^ schaft mit der französischen Revolution, alö man gewöhnlich
^^^WM^Ü annimmt. Sie selbst war revolutionär, ihr Ziel war unbedingte
Aufrichtigkeit, schrankenlose Geltung des Einzelwesens, ucickte
Gegenständlichkeit. Alle Schönrednerei, aller Zwang der Nationalität war
ihr verhaßt, in der grenzenlosen Weite der Formen und Stoffe der ganzen
Welt sollte sich der Einzelne ausleben können, als Gegengewicht zu dieser Fülle
galt ihr einzig nud allein der scharfzngespitzte Gedanke und die untadlige Form.
Aber wie die französische Revolution, so verlor auch sie sich im Unbestimmten,
im Phantastischen und in eigenmächtiger Willkür. Mit der Kirche und dem
Hofe hatte sie noch kein Bündnis geschlossen. So waren die beiden Schlegel,
Tieck, Novalis und die Philosophen Fichte und Schelling. Ein inniger Freund-
schaftsbund verband diese Neuerer, und mitten in demselben stand Karoline
als Bannerträgerin. Sie war dieselbe geblieben, die sie in Mainz gewesen
war, nur daß sie den Freiheitsbaum aus dem politischen Boden herausgezogen
und in die Literatur verpflanzt hatte.

Zunächst warf sie sich mit allem Eifer ans die Schriftstellern. Nicht daß
sie selbst zusammenhängende Werke geschrieben hätte, sie machte sich nur bei der
literarischen Familienindnstrie der Brüder Schlegel unentbehrlich; die Schlegel
suchten damals noch in friedlichem Verkehr mit aller Welt zu bleibe», um sich
die Spalten der Zeitschriften für ihre Arbeiten offen zu halten. Diese waren
so ziemlich alle kritischer Natur. Friedrich, der sich damals erst in Dresden,
dann in Berlin aufhielt, schöpfte mit Vorliebe aus der Geschichte und Literatur
der Grieche» und Römer, Wilhelm rczensirte. Schillers Hören, Reinharts
Deutschland, Schützers Jeuaische Literaturzeitung waren die Kanäle, durch welche
ihre Ansichten und Grundsätze in das lesende und denkende Publikum hinaus¬
fließen sollten. 1798 gab Friedrich Schlegel eine eigne Zeitschrift, das Athe¬
näum, heraus. Karoline mußte alles lese», alles prüfen, die schwachen Stellen
anstreichen oder selbst verbessern. Manche von Wilhelms besten Arbeiten, wie


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[0231] Dichterfreundinnen. von Franz Pfalz, Hi. Madame Luzifer. , (Schluß.) romantische Schule zeigt in der ersten Hälfte ihrer Ent- gleichsam in aufsteigender Linie, mehr Verivandt- »^^^D?^ schaft mit der französischen Revolution, alö man gewöhnlich ^^^WM^Ü annimmt. Sie selbst war revolutionär, ihr Ziel war unbedingte Aufrichtigkeit, schrankenlose Geltung des Einzelwesens, ucickte Gegenständlichkeit. Alle Schönrednerei, aller Zwang der Nationalität war ihr verhaßt, in der grenzenlosen Weite der Formen und Stoffe der ganzen Welt sollte sich der Einzelne ausleben können, als Gegengewicht zu dieser Fülle galt ihr einzig nud allein der scharfzngespitzte Gedanke und die untadlige Form. Aber wie die französische Revolution, so verlor auch sie sich im Unbestimmten, im Phantastischen und in eigenmächtiger Willkür. Mit der Kirche und dem Hofe hatte sie noch kein Bündnis geschlossen. So waren die beiden Schlegel, Tieck, Novalis und die Philosophen Fichte und Schelling. Ein inniger Freund- schaftsbund verband diese Neuerer, und mitten in demselben stand Karoline als Bannerträgerin. Sie war dieselbe geblieben, die sie in Mainz gewesen war, nur daß sie den Freiheitsbaum aus dem politischen Boden herausgezogen und in die Literatur verpflanzt hatte. Zunächst warf sie sich mit allem Eifer ans die Schriftstellern. Nicht daß sie selbst zusammenhängende Werke geschrieben hätte, sie machte sich nur bei der literarischen Familienindnstrie der Brüder Schlegel unentbehrlich; die Schlegel suchten damals noch in friedlichem Verkehr mit aller Welt zu bleibe», um sich die Spalten der Zeitschriften für ihre Arbeiten offen zu halten. Diese waren so ziemlich alle kritischer Natur. Friedrich, der sich damals erst in Dresden, dann in Berlin aufhielt, schöpfte mit Vorliebe aus der Geschichte und Literatur der Grieche» und Römer, Wilhelm rczensirte. Schillers Hören, Reinharts Deutschland, Schützers Jeuaische Literaturzeitung waren die Kanäle, durch welche ihre Ansichten und Grundsätze in das lesende und denkende Publikum hinaus¬ fließen sollten. 1798 gab Friedrich Schlegel eine eigne Zeitschrift, das Athe¬ näum, heraus. Karoline mußte alles lese», alles prüfen, die schwachen Stellen anstreichen oder selbst verbessern. Manche von Wilhelms besten Arbeiten, wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/231>, abgerufen am 01.05.2024.