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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alchemie.

unsers Jahrhunderts fast alle, die bis dahin noch als Rosenkreuzer thätig gewesen
waren, ratsam, jede Erinnerung an die frühere Verirrung zu vermeiden. Den
nunmehrigen völligen Verfall der Alchemie konnte nichts mehr aufhalten.

Von lediglich theoretischem Interesse ist es, wenn wissenschaftliche Chemiker
der neuesten Zeit (Lewinstein 1870, Sasse 1875) zwar nicht die Möglichkeit
der Metallverwandlnug geradezu behauptet, so doch betont haben, daß die Un¬
möglichkeit einer Lösung des alchemistischen Problems durch die Chemie keines¬
wegs erwiesen sei. Lewinstein meint, wenn das Gold sich nach Analogie andrer
Substanzen bei weiteren Forschungen als ein zusammengesetzter Körper heraus¬
stellen sollte, was ja nicht undenkbar sei, so ließe sich vielleicht auch ein syn¬
thetisches Verfahren finden, das Gold aus seinen Elementen aufzubauen.
Sasse sagt: Je mehr sich die Überzeugung Bahn brach, daß die verschiedenen
Eigenschaften der Körper nur auf verschiedenen Bewegungen ihrer kleinsten Teile
beruhen, umso weniger konnten sich die Forscher verhehlen, daß die alten
Alchemisten wohl zu schnell verurteilt worden wären. Die Aufgabe der Alchemie
tritt jetzt nicht mehr in geheimnisvoller Weise, sondern klar und bestimmt als
einfaches mechanisches Problem an die Wissenschaft und Industrie heran. Er
fragt sich: Ist es möglich, Atvmverbindungen zu bilden und zu lösen, während
die Chemie bis jetzt nur Molekülverbindnngen zu bilden und zu lösen vermag?
Ist es möglich, die Atvmbewegungen zu ändern?

Dem stellt Kopp mit Recht folgendes gegenüber: Die Chemie ist ihrer
Grundlage nach eine Erfahrungswissenschaft, und nur thatsächlich Erwieseues zu
deuten ist die Aufgabe der ihr zugehörigen Theorien, deren Berechtigung sich
allerdings auch und ganz wesentlich darin erweisen kann, daß sie neue That¬
sachen voraussehen lassen, welche dann als wirklich statthabend befunden werden.
So lange keine sichere Erfahrung vorliegt, daß ein edles Metall oder ein Metall
überhaupt künstlich hervorgebracht werden kann, und keine auf unzweifelhafte
Ergebnisse der Erfahrung gestützte Theorie zu einer die Möglichkeit dieser
Hervorbringung anzeigenden Schlußfolgerung führt, so lange hat die Chemie die
Erwartungen der Alchemisten nach allem, was sich praktisch ergeben hat
und theoretisch urteilen läßt, als unbegründet zu betrachte", und hat sie keinen
Grund, seine Möglichkeit zuzugestehen.

Ein Anhang längerer Anmerkungen und ein umfangreicher Veitrag zur
Bibliographie der Alchemie bilden den Schluß des Koppschen Werkes. Für
diejenigen, welche demi Werke nicht die nötige Zeit und das nötige Interesse zu
widmen imstande sind, haben wir eine kurze Zusammenfassung des wesentlichen
Inhaltes zum Teil mit des Verfassers eignen Worten gegeben. Allen denen
aber, welche sich mit dem Studium der Alchemie eingehender beschäftigen wollen,
wird das Werk selbst ein schätzbares und unentbehrliches Hilfsmittel sein.




Die Alchemie.

unsers Jahrhunderts fast alle, die bis dahin noch als Rosenkreuzer thätig gewesen
waren, ratsam, jede Erinnerung an die frühere Verirrung zu vermeiden. Den
nunmehrigen völligen Verfall der Alchemie konnte nichts mehr aufhalten.

Von lediglich theoretischem Interesse ist es, wenn wissenschaftliche Chemiker
der neuesten Zeit (Lewinstein 1870, Sasse 1875) zwar nicht die Möglichkeit
der Metallverwandlnug geradezu behauptet, so doch betont haben, daß die Un¬
möglichkeit einer Lösung des alchemistischen Problems durch die Chemie keines¬
wegs erwiesen sei. Lewinstein meint, wenn das Gold sich nach Analogie andrer
Substanzen bei weiteren Forschungen als ein zusammengesetzter Körper heraus¬
stellen sollte, was ja nicht undenkbar sei, so ließe sich vielleicht auch ein syn¬
thetisches Verfahren finden, das Gold aus seinen Elementen aufzubauen.
Sasse sagt: Je mehr sich die Überzeugung Bahn brach, daß die verschiedenen
Eigenschaften der Körper nur auf verschiedenen Bewegungen ihrer kleinsten Teile
beruhen, umso weniger konnten sich die Forscher verhehlen, daß die alten
Alchemisten wohl zu schnell verurteilt worden wären. Die Aufgabe der Alchemie
tritt jetzt nicht mehr in geheimnisvoller Weise, sondern klar und bestimmt als
einfaches mechanisches Problem an die Wissenschaft und Industrie heran. Er
fragt sich: Ist es möglich, Atvmverbindungen zu bilden und zu lösen, während
die Chemie bis jetzt nur Molekülverbindnngen zu bilden und zu lösen vermag?
Ist es möglich, die Atvmbewegungen zu ändern?

Dem stellt Kopp mit Recht folgendes gegenüber: Die Chemie ist ihrer
Grundlage nach eine Erfahrungswissenschaft, und nur thatsächlich Erwieseues zu
deuten ist die Aufgabe der ihr zugehörigen Theorien, deren Berechtigung sich
allerdings auch und ganz wesentlich darin erweisen kann, daß sie neue That¬
sachen voraussehen lassen, welche dann als wirklich statthabend befunden werden.
So lange keine sichere Erfahrung vorliegt, daß ein edles Metall oder ein Metall
überhaupt künstlich hervorgebracht werden kann, und keine auf unzweifelhafte
Ergebnisse der Erfahrung gestützte Theorie zu einer die Möglichkeit dieser
Hervorbringung anzeigenden Schlußfolgerung führt, so lange hat die Chemie die
Erwartungen der Alchemisten nach allem, was sich praktisch ergeben hat
und theoretisch urteilen läßt, als unbegründet zu betrachte», und hat sie keinen
Grund, seine Möglichkeit zuzugestehen.

Ein Anhang längerer Anmerkungen und ein umfangreicher Veitrag zur
Bibliographie der Alchemie bilden den Schluß des Koppschen Werkes. Für
diejenigen, welche demi Werke nicht die nötige Zeit und das nötige Interesse zu
widmen imstande sind, haben wir eine kurze Zusammenfassung des wesentlichen
Inhaltes zum Teil mit des Verfassers eignen Worten gegeben. Allen denen
aber, welche sich mit dem Studium der Alchemie eingehender beschäftigen wollen,
wird das Werk selbst ein schätzbares und unentbehrliches Hilfsmittel sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/230>, abgerufen am 22.05.2024.