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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.
von Adolf Stern.

jäh Erscheinen der Weimarer Gesamtausgabe von Goethes
Werken hat in die stille, aber rege Thätigkeit, nach und nach
alle Zeugnisse für das Leben und die Beziehungen des Dichters
zu sammeln, einen neuen Zug gebracht, hat viel Verborgenes und
darunter Wichtiges ans Licht gefördert, manches längst Bekannte
in neue Beleuchtung gerückt, das Material für die künftige Goethebiographie
beträchtlich vermehrt. Es ist kaum nötig zu sagen, daß die wahre Bedeutung
dieses Materials in allen Fällen nicht sogleich abgeschätzt werden kann, und daß
einzelne Mitglieder der Goethegemeinde den Wert zufälliger Funde und unter¬
geordneter Veröffentlichungen bei weitem zu hoch anschlagen. Anderseits wird
niemand einen dauernden, bestimmten Zwecken geltenden Briefwechsel, den Goethe
(zunächst gleichviel mit wem) geführt hat, als unwesentlich und nichtig ansehen
können; denn von jeder über Jahre hinweg erhaltenen brieflichen Verbindung des
Dichters gilt das Wort Herman Grimms: "Man meint, Goethe habe nichts zu
thun gehabt, als fortwährend Briefe zu empfangen und zu beantworten, welche
sämtliche Interessen betrafen, die innerhalb einer Epoche in Umlauf sind. Mit einer
Gewissenhaftigkeit, Feinheit, Sicherheit, Behendigkeit und zugleich mit einem
onem Behagen, welches ihn niemals als belästigt, sondern stets als in der
besten Laune erscheinen läßt, hält er alle diese Fäden in seinen Händen und
nennt unablässig neue hinzu, eine Leistung, die ihn nach dieser Richtung allein
!chon als mit übermenschlicher Kraft ausgerüstet erscheinen läßt." Hat dies schon
bei Briefwechseln, die nur über einen beschränkten Zeitraum hinweg reichen, volle
Wahrheit, um wie viel mehr trifft es auf eine Beziehung zu, wie sie eben wieder
durch Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz, herausgegeben von
Woldemar Freiherrn von Biedermann (Leipzig, F. W. von Biedermann),
unsrer Erinnerung näher gebracht wird. Die Veröffentlichung ist zwar nur
"ach einer Seite eine völlig neue, insofern bei diesem Anlaß die Briefe, die
Friedrich Rochlitz an den Groß- und Altmeister gerichtet hat, zum ersten male
gedruckt werden, während die Briefe Goethes teils aus dem vou Otto Jahr (1849)
herausgegebenen Buche "Goethes Briefe an Leipziger Freunde," teils aus Nach¬
trägen bekannt waren und nur um weniges vervollständigt worden sind. Die
Bereinigung und Gegenüberstellung der beiderseitigen Briefe ergiebt jedoch erst
ein klares und, setzen wir gleich hinzu, wahrhaft erfreuliches Bild des ganzen
Verhältnisses zwischen Goethe und dem liebenswürdige" Leipziger Schriftsteller,


Grenzboten IV. 1887. 64
Goethe und Rochlitz.
von Adolf Stern.

jäh Erscheinen der Weimarer Gesamtausgabe von Goethes
Werken hat in die stille, aber rege Thätigkeit, nach und nach
alle Zeugnisse für das Leben und die Beziehungen des Dichters
zu sammeln, einen neuen Zug gebracht, hat viel Verborgenes und
darunter Wichtiges ans Licht gefördert, manches längst Bekannte
in neue Beleuchtung gerückt, das Material für die künftige Goethebiographie
beträchtlich vermehrt. Es ist kaum nötig zu sagen, daß die wahre Bedeutung
dieses Materials in allen Fällen nicht sogleich abgeschätzt werden kann, und daß
einzelne Mitglieder der Goethegemeinde den Wert zufälliger Funde und unter¬
geordneter Veröffentlichungen bei weitem zu hoch anschlagen. Anderseits wird
niemand einen dauernden, bestimmten Zwecken geltenden Briefwechsel, den Goethe
(zunächst gleichviel mit wem) geführt hat, als unwesentlich und nichtig ansehen
können; denn von jeder über Jahre hinweg erhaltenen brieflichen Verbindung des
Dichters gilt das Wort Herman Grimms: „Man meint, Goethe habe nichts zu
thun gehabt, als fortwährend Briefe zu empfangen und zu beantworten, welche
sämtliche Interessen betrafen, die innerhalb einer Epoche in Umlauf sind. Mit einer
Gewissenhaftigkeit, Feinheit, Sicherheit, Behendigkeit und zugleich mit einem
onem Behagen, welches ihn niemals als belästigt, sondern stets als in der
besten Laune erscheinen läßt, hält er alle diese Fäden in seinen Händen und
nennt unablässig neue hinzu, eine Leistung, die ihn nach dieser Richtung allein
!chon als mit übermenschlicher Kraft ausgerüstet erscheinen läßt." Hat dies schon
bei Briefwechseln, die nur über einen beschränkten Zeitraum hinweg reichen, volle
Wahrheit, um wie viel mehr trifft es auf eine Beziehung zu, wie sie eben wieder
durch Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz, herausgegeben von
Woldemar Freiherrn von Biedermann (Leipzig, F. W. von Biedermann),
unsrer Erinnerung näher gebracht wird. Die Veröffentlichung ist zwar nur
"ach einer Seite eine völlig neue, insofern bei diesem Anlaß die Briefe, die
Friedrich Rochlitz an den Groß- und Altmeister gerichtet hat, zum ersten male
gedruckt werden, während die Briefe Goethes teils aus dem vou Otto Jahr (1849)
herausgegebenen Buche „Goethes Briefe an Leipziger Freunde," teils aus Nach¬
trägen bekannt waren und nur um weniges vervollständigt worden sind. Die
Bereinigung und Gegenüberstellung der beiderseitigen Briefe ergiebt jedoch erst
ein klares und, setzen wir gleich hinzu, wahrhaft erfreuliches Bild des ganzen
Verhältnisses zwischen Goethe und dem liebenswürdige» Leipziger Schriftsteller,


Grenzboten IV. 1887. 64
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[0433] Goethe und Rochlitz. von Adolf Stern. jäh Erscheinen der Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken hat in die stille, aber rege Thätigkeit, nach und nach alle Zeugnisse für das Leben und die Beziehungen des Dichters zu sammeln, einen neuen Zug gebracht, hat viel Verborgenes und darunter Wichtiges ans Licht gefördert, manches längst Bekannte in neue Beleuchtung gerückt, das Material für die künftige Goethebiographie beträchtlich vermehrt. Es ist kaum nötig zu sagen, daß die wahre Bedeutung dieses Materials in allen Fällen nicht sogleich abgeschätzt werden kann, und daß einzelne Mitglieder der Goethegemeinde den Wert zufälliger Funde und unter¬ geordneter Veröffentlichungen bei weitem zu hoch anschlagen. Anderseits wird niemand einen dauernden, bestimmten Zwecken geltenden Briefwechsel, den Goethe (zunächst gleichviel mit wem) geführt hat, als unwesentlich und nichtig ansehen können; denn von jeder über Jahre hinweg erhaltenen brieflichen Verbindung des Dichters gilt das Wort Herman Grimms: „Man meint, Goethe habe nichts zu thun gehabt, als fortwährend Briefe zu empfangen und zu beantworten, welche sämtliche Interessen betrafen, die innerhalb einer Epoche in Umlauf sind. Mit einer Gewissenhaftigkeit, Feinheit, Sicherheit, Behendigkeit und zugleich mit einem onem Behagen, welches ihn niemals als belästigt, sondern stets als in der besten Laune erscheinen läßt, hält er alle diese Fäden in seinen Händen und nennt unablässig neue hinzu, eine Leistung, die ihn nach dieser Richtung allein !chon als mit übermenschlicher Kraft ausgerüstet erscheinen läßt." Hat dies schon bei Briefwechseln, die nur über einen beschränkten Zeitraum hinweg reichen, volle Wahrheit, um wie viel mehr trifft es auf eine Beziehung zu, wie sie eben wieder durch Goethes Briefwechsel mit Friedrich Rochlitz, herausgegeben von Woldemar Freiherrn von Biedermann (Leipzig, F. W. von Biedermann), unsrer Erinnerung näher gebracht wird. Die Veröffentlichung ist zwar nur "ach einer Seite eine völlig neue, insofern bei diesem Anlaß die Briefe, die Friedrich Rochlitz an den Groß- und Altmeister gerichtet hat, zum ersten male gedruckt werden, während die Briefe Goethes teils aus dem vou Otto Jahr (1849) herausgegebenen Buche „Goethes Briefe an Leipziger Freunde," teils aus Nach¬ trägen bekannt waren und nur um weniges vervollständigt worden sind. Die Bereinigung und Gegenüberstellung der beiderseitigen Briefe ergiebt jedoch erst ein klares und, setzen wir gleich hinzu, wahrhaft erfreuliches Bild des ganzen Verhältnisses zwischen Goethe und dem liebenswürdige» Leipziger Schriftsteller, Grenzboten IV. 1887. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/433>, abgerufen am 01.05.2024.