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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

noch einmal so ganz zu Willen sind, daß jener hehre Schein dicht hinter der
Finsternis des Todes aus ihnen schimmern kann, der Zeugnis giebt, daß unser
Leben damit nicht abgeschlossen ist, sondern eine Bewcgungslinie darstellt, auf
der eine Kraft auch da nach oben strebt, in der Richtung, die sie schon hier
begonnen hat. Das alte Wort, daß der Tod mit seinen Wehen eine neue
Geburt sei, stimmt genau zu dem, was man an einem Sterbelager zu sehen
bekommt, wenn man nicht von vorgefaßten Meinungen und Theorien in Be¬
schlag genommen ist, die doch da von dem übergewaltigen Eindrucke des Vor¬
ganges leicht weggeblasen werden.


3. Goethe und das Sterben.

Wenn man sich nun in der gebildeten Welt immer mehr gewöhnt, bei
Fragen über Menschliches an Goethe zu denken und bei ihm nachzufragen wegen
seiner Meinung und Erfahrung, so ist das an sich ganz gut und begreiflich,
obwohl mir ein gewisser Vorbehalt eigner Freiheit dabei nützlich scheint. Man
fühlt sich bei ihm so sicher, daß da der Erfahrung, dem unmittelbarsten Erleben
sein ganzes Recht gegeben wird, ungefärbt von Theorien und Systemen, die
doch so leicht in ein Zurechtbiegen der Wirklichkeit hineingeraten. Was nun
in seinen Äußerungen über das Sterben zu finden ist und welche Erfahrungen
für ihn daran hängen, das ergäbe Wohl ein ganzes Kapitel für sich. Daraus
hier nur etwas, das in den eingehaltenen Gedankengang einschlüge und ihm
auch zu einem Abschluß verhelfen kann. Man weiß, wie sehr er an sich den
Gedanken an den Tod abgeneigt war, während Ahnungen und Gefühle eignen
frühen Todes ihn von der Leipziger Zeit her lange, z. B. noch in Italien, be¬
gleitet haben. Aber Leben war ihm das Stichwort, um das sich seine ganze Welt
aufbaute, er war auch darin ein rechter Stimmführer der neuen Zeitströmung.
Noch spät, einmal in den Sprüchen in Prosa Ur. 479, die von der Todesstrafe
und ihrer Abschaffung spricht, meint er: "Wenn man den Tod abschaffen könnte,
dagegen hätten wir nichts," wobei freilich nicht eigentlich an das Leben, wie
es ist, sondern an das Leben im biblischen Paradiese ohne Tod gedacht ist,
vielleicht ein Nachklang aus Klopstocks Messias im ersten Gesänge. Auch Lcwater
hat ihm einmal vorgehalten, daß er bei seinem Treiben des Sterbens oder
der Fortsetzung im Jenseits vergäße, wie man aus dein Briefe an jenen vom
24. Juli 1780 erfährt: "Du hast recht, ich treibe die Sachen, als wenn wir
ewig auf Erden leben sollten." Aber im neuen Jahrhundert, besonders vielleicht
seit Schillers Tode, gewöhnt er sich doch, auch an das eigne Sterben zu denken
und sich damit abzufinden. Erklingt doch da das bittere Wort in den Sprüchen
in Prosa Ur. 607: "Was ist das für eine Zeit, wo man die Begrabenen be¬
neiden muß!" Dagegen wie von heiterer überlegener Höhe, die offenbar aus
eineni öfter forschenden Denken darüber gewonnen war, ebenda Ur. 341:


Tagebuchblätter eines Sonntagsphilosoxhen.

noch einmal so ganz zu Willen sind, daß jener hehre Schein dicht hinter der
Finsternis des Todes aus ihnen schimmern kann, der Zeugnis giebt, daß unser
Leben damit nicht abgeschlossen ist, sondern eine Bewcgungslinie darstellt, auf
der eine Kraft auch da nach oben strebt, in der Richtung, die sie schon hier
begonnen hat. Das alte Wort, daß der Tod mit seinen Wehen eine neue
Geburt sei, stimmt genau zu dem, was man an einem Sterbelager zu sehen
bekommt, wenn man nicht von vorgefaßten Meinungen und Theorien in Be¬
schlag genommen ist, die doch da von dem übergewaltigen Eindrucke des Vor¬
ganges leicht weggeblasen werden.


3. Goethe und das Sterben.

Wenn man sich nun in der gebildeten Welt immer mehr gewöhnt, bei
Fragen über Menschliches an Goethe zu denken und bei ihm nachzufragen wegen
seiner Meinung und Erfahrung, so ist das an sich ganz gut und begreiflich,
obwohl mir ein gewisser Vorbehalt eigner Freiheit dabei nützlich scheint. Man
fühlt sich bei ihm so sicher, daß da der Erfahrung, dem unmittelbarsten Erleben
sein ganzes Recht gegeben wird, ungefärbt von Theorien und Systemen, die
doch so leicht in ein Zurechtbiegen der Wirklichkeit hineingeraten. Was nun
in seinen Äußerungen über das Sterben zu finden ist und welche Erfahrungen
für ihn daran hängen, das ergäbe Wohl ein ganzes Kapitel für sich. Daraus
hier nur etwas, das in den eingehaltenen Gedankengang einschlüge und ihm
auch zu einem Abschluß verhelfen kann. Man weiß, wie sehr er an sich den
Gedanken an den Tod abgeneigt war, während Ahnungen und Gefühle eignen
frühen Todes ihn von der Leipziger Zeit her lange, z. B. noch in Italien, be¬
gleitet haben. Aber Leben war ihm das Stichwort, um das sich seine ganze Welt
aufbaute, er war auch darin ein rechter Stimmführer der neuen Zeitströmung.
Noch spät, einmal in den Sprüchen in Prosa Ur. 479, die von der Todesstrafe
und ihrer Abschaffung spricht, meint er: „Wenn man den Tod abschaffen könnte,
dagegen hätten wir nichts," wobei freilich nicht eigentlich an das Leben, wie
es ist, sondern an das Leben im biblischen Paradiese ohne Tod gedacht ist,
vielleicht ein Nachklang aus Klopstocks Messias im ersten Gesänge. Auch Lcwater
hat ihm einmal vorgehalten, daß er bei seinem Treiben des Sterbens oder
der Fortsetzung im Jenseits vergäße, wie man aus dein Briefe an jenen vom
24. Juli 1780 erfährt: „Du hast recht, ich treibe die Sachen, als wenn wir
ewig auf Erden leben sollten." Aber im neuen Jahrhundert, besonders vielleicht
seit Schillers Tode, gewöhnt er sich doch, auch an das eigne Sterben zu denken
und sich damit abzufinden. Erklingt doch da das bittere Wort in den Sprüchen
in Prosa Ur. 607: „Was ist das für eine Zeit, wo man die Begrabenen be¬
neiden muß!" Dagegen wie von heiterer überlegener Höhe, die offenbar aus
eineni öfter forschenden Denken darüber gewonnen war, ebenda Ur. 341:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/54>, abgerufen am 01.05.2024.