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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Sonutagsphilosoxhen.

bemüht war. Man muß es freilich gesehen habe", um diese Auffassung nicht
etwa mystisch zu finden im schlimmen Sinne dieses Wortes, sondern als einzig
beruhigenden Bescheid ans die Frage, die der Vorgang so dringlich auswirft,
gelten zu lassen, wenigstens als Bescheid ans die Hauptfrage. Denn es laufen
noch manche andre Fragen daneben her oder hängen sich daran, die aber an
der Hauptsache nichts ändern können.

Nur eine kurze Betrachtung noch, die der Sache ein gewisses weiteres Licht
geben kann. In dem fraglichen Gesichtsausdrucke ist neben der eigenartigen
Schönheit eine tiefe Ruhe der hervorstechende Zug, gepaart mit Milde und
Güte, das alles zusammen fließend in dem Gesamteindrucke befriedigter Bedürf¬
nislosigkeit, ein Eindruck nicht von dieser Welt, wie man das nennt, aber noch
mit den Mitteln dieser Welt hergestellt. Nun aber, Ruhe, Milde, Güte oder
Wohlwollen sind ja die Charakterzüge, die schon im Leben sich einstellen mit
den zunehmenden Jahren, wo mir die Entwicklung in gesunder, ungestörter
Weise vor sich geht. Die Ruhe wächst, gerade dem eignen Sterben entgegen,
mit dem wachsenden Einblick und Weitblick in den großen Zusammenhang der
Weltdinge, in dem die einzelnen Störungen sich doch auflösen, wie die Dis¬
harmonien der Musik in der Harmonie des Ganzen. Milde und Güte den
Irrungen der Menschen gegenüber wachsen mit der zunehmenden Kunst, hinter
die Erscheinung auf das Wesen zu sehen, über dem einzelnen Äußern des Augen¬
blicks das Ganze nicht zu vergessen, es stellt sich ein allgemeines Wohlwollen
gegen alles Lebendige ein, dessen Werden man tiefer und weiter fassen und auch
lenken lernt. Solche Ruhe, Milde und nachsichtige Güte als Grundzug des
Verhaltens im Leben findet sich bei Alten in allen Ständen, von der soge¬
nannten Bildung ganz unabhängig, auch bei solchen, die von Haus aus und in
der Jugend heftige, Hitzige Naturen waren; das Leben selbst von anßen und
innen erzieht sie aus jugendlicher Hitze heraus zu dieser überhöhenden Ruhe
über die Welt und sich selber; mau darf diese Erscheinung von so hohem,
höchstem sittlichen Werte zugleich als Wirkung eines Naturgesetzes in Anspruch
nehmen. Wie verschieden behandeln z. B. in der Familie die Unarten der
Kinder Mütter und Großmütter, und es geht im große" Leben nicht anders,
immer vorausgesetzt freilich eine im ganzen ungestörte gesunde Entwicklung.
Nun und diese Ruhe, Milde und Güte kommen im Antlitz des Verscheidenden
endlich zu ihrem vollkommenen Ausdrucke, in dem sich jene im Leben erworbenen
Eigenschaften wie in künstlerischem Abschluß zusammenfassen, der im Leben doch
meist noch irgendwie gehemmt war, zu voller Reinheit zu kommen. Und da
sich die Ruhe, Milde und Güte von innen auch im Leben schon in den Mienen
und Muskeln ausdrücken lernten und diese an den entsprechenden Ausdruck ge¬
wöhnten, so begreift sich leichter, wie sie auch im letzten Augenblicke diesen Aus¬
druck so vollkommen plötzlich wieder annehmen können, indem sie dem vom Leben
erzogenen Innern, das da zuletzt in vollster Kraft in sich gesammelt auftritt,


Tagebuchblätter eines Sonutagsphilosoxhen.

bemüht war. Man muß es freilich gesehen habe», um diese Auffassung nicht
etwa mystisch zu finden im schlimmen Sinne dieses Wortes, sondern als einzig
beruhigenden Bescheid ans die Frage, die der Vorgang so dringlich auswirft,
gelten zu lassen, wenigstens als Bescheid ans die Hauptfrage. Denn es laufen
noch manche andre Fragen daneben her oder hängen sich daran, die aber an
der Hauptsache nichts ändern können.

Nur eine kurze Betrachtung noch, die der Sache ein gewisses weiteres Licht
geben kann. In dem fraglichen Gesichtsausdrucke ist neben der eigenartigen
Schönheit eine tiefe Ruhe der hervorstechende Zug, gepaart mit Milde und
Güte, das alles zusammen fließend in dem Gesamteindrucke befriedigter Bedürf¬
nislosigkeit, ein Eindruck nicht von dieser Welt, wie man das nennt, aber noch
mit den Mitteln dieser Welt hergestellt. Nun aber, Ruhe, Milde, Güte oder
Wohlwollen sind ja die Charakterzüge, die schon im Leben sich einstellen mit
den zunehmenden Jahren, wo mir die Entwicklung in gesunder, ungestörter
Weise vor sich geht. Die Ruhe wächst, gerade dem eignen Sterben entgegen,
mit dem wachsenden Einblick und Weitblick in den großen Zusammenhang der
Weltdinge, in dem die einzelnen Störungen sich doch auflösen, wie die Dis¬
harmonien der Musik in der Harmonie des Ganzen. Milde und Güte den
Irrungen der Menschen gegenüber wachsen mit der zunehmenden Kunst, hinter
die Erscheinung auf das Wesen zu sehen, über dem einzelnen Äußern des Augen¬
blicks das Ganze nicht zu vergessen, es stellt sich ein allgemeines Wohlwollen
gegen alles Lebendige ein, dessen Werden man tiefer und weiter fassen und auch
lenken lernt. Solche Ruhe, Milde und nachsichtige Güte als Grundzug des
Verhaltens im Leben findet sich bei Alten in allen Ständen, von der soge¬
nannten Bildung ganz unabhängig, auch bei solchen, die von Haus aus und in
der Jugend heftige, Hitzige Naturen waren; das Leben selbst von anßen und
innen erzieht sie aus jugendlicher Hitze heraus zu dieser überhöhenden Ruhe
über die Welt und sich selber; mau darf diese Erscheinung von so hohem,
höchstem sittlichen Werte zugleich als Wirkung eines Naturgesetzes in Anspruch
nehmen. Wie verschieden behandeln z. B. in der Familie die Unarten der
Kinder Mütter und Großmütter, und es geht im große» Leben nicht anders,
immer vorausgesetzt freilich eine im ganzen ungestörte gesunde Entwicklung.
Nun und diese Ruhe, Milde und Güte kommen im Antlitz des Verscheidenden
endlich zu ihrem vollkommenen Ausdrucke, in dem sich jene im Leben erworbenen
Eigenschaften wie in künstlerischem Abschluß zusammenfassen, der im Leben doch
meist noch irgendwie gehemmt war, zu voller Reinheit zu kommen. Und da
sich die Ruhe, Milde und Güte von innen auch im Leben schon in den Mienen
und Muskeln ausdrücken lernten und diese an den entsprechenden Ausdruck ge¬
wöhnten, so begreift sich leichter, wie sie auch im letzten Augenblicke diesen Aus¬
druck so vollkommen plötzlich wieder annehmen können, indem sie dem vom Leben
erzogenen Innern, das da zuletzt in vollster Kraft in sich gesammelt auftritt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/53>, abgerufen am 22.05.2024.