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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Viktor Hehns Gedanken über Goethe.

Der Bund umfaßt drei Kreise: 1. den brandenburgischen, der Mecklenburg,
Oldenburg, schwedisch-Pommern, Holstein, Braunschweig und die Hansestädte
einschließt, 2. den sächsischen, zu dem die sächsisch-thüringischen und die anhaltinischen
Lande gehören, 3. den hessischen, wozu das Fürstentum Fulda gehört, während
die Grafschaften Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg, Schlitz, Pyrmont, Nict-
berg, Rheda zu Gunsten Hessens mediatisirt werden. Ebenso werden die Be¬
sitzungen der Ncichsritterschaft mediatisirt. Die übrigen Bestimmungen über ein
Bundesheer, Bundesgericht n. s. w. müssen hier übergangen werden. Wie üblich,
führten die Verhandlungen zu keinem Ziele. Sachsen steckte sich hinter Hessen,
und umgekehrt; die kleinsten Staaten machten Weiterungen; die Hansestädte
wollten sogar einen eignen Hansebnnd gründen. Gewinnen wollte jeder, Opfer
bringen niemand. Die Ränke Napoleons, daneben auch die Mißgunst Öster¬
reichs nährten die Mißhelligkeiten.

Kurz, man kann sagen: Hätte nicht Preußen ebenso zwingende Beweisgründe
angewandt, wie Napoleon sie liebte, hätte es nicht an die ultirng, rcckio rgM
cippellirt, so wäre irgend etwas Ersprießliches für Preußen und Deutschland bei
der ganzen Sache doch nicht herauskommen.

Die letzten zwecklosen Verhandlungen fanden im preußischen Hauptquartiere
kurz vor dem Ausbruche des unheilvollen Krieges von 1806 statt. Dann ver¬
hallten die Stimmen der Diplomaten unter dem Donnergebrüll der ehernen
Feuerschlünde; das Werk wurde begraben unter den Trümmern der zusammen¬
brechenden Monarchie Friedrichs des Großen. Es war das eingetreten, was
ein Dichter in den Worten ausdrückt:


Und es klingt ein Lied von Jena, das tönt so trüb und schwer;
Wie dumpfes Totenlttuten, so schallt daS Lied daher:
Borussia stürzte zu Boden, voll Blut und totenstunnn,
Und Friedrich der Große wandte in seinem Grabe sich um.



Viktor Hehns Gedanken über Goethe.

iele siud berufen, aber wenige sind auserwählt. Dieser Spruch hat
nicht leicht anderswo mehr Geltung, als im Gebiete der ästhetischen
Kritik. Viele beschäftigen sich mit ihr, sei es von Amts wegen
als Lehrer und Professoren, sei es von Berufs wegen als Jour¬
nalisten, sei es, weil so viele Menschen sich berechtigt glauben,
von dem Eindruck, den eine Dichtung in ihnen hinterlassen hat, öffentlich Rechen¬
schaft abzugeben. Viele beschäftigen sich insbesondre mit der kritischen Forschung


Viktor Hehns Gedanken über Goethe.

Der Bund umfaßt drei Kreise: 1. den brandenburgischen, der Mecklenburg,
Oldenburg, schwedisch-Pommern, Holstein, Braunschweig und die Hansestädte
einschließt, 2. den sächsischen, zu dem die sächsisch-thüringischen und die anhaltinischen
Lande gehören, 3. den hessischen, wozu das Fürstentum Fulda gehört, während
die Grafschaften Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg, Schlitz, Pyrmont, Nict-
berg, Rheda zu Gunsten Hessens mediatisirt werden. Ebenso werden die Be¬
sitzungen der Ncichsritterschaft mediatisirt. Die übrigen Bestimmungen über ein
Bundesheer, Bundesgericht n. s. w. müssen hier übergangen werden. Wie üblich,
führten die Verhandlungen zu keinem Ziele. Sachsen steckte sich hinter Hessen,
und umgekehrt; die kleinsten Staaten machten Weiterungen; die Hansestädte
wollten sogar einen eignen Hansebnnd gründen. Gewinnen wollte jeder, Opfer
bringen niemand. Die Ränke Napoleons, daneben auch die Mißgunst Öster¬
reichs nährten die Mißhelligkeiten.

Kurz, man kann sagen: Hätte nicht Preußen ebenso zwingende Beweisgründe
angewandt, wie Napoleon sie liebte, hätte es nicht an die ultirng, rcckio rgM
cippellirt, so wäre irgend etwas Ersprießliches für Preußen und Deutschland bei
der ganzen Sache doch nicht herauskommen.

Die letzten zwecklosen Verhandlungen fanden im preußischen Hauptquartiere
kurz vor dem Ausbruche des unheilvollen Krieges von 1806 statt. Dann ver¬
hallten die Stimmen der Diplomaten unter dem Donnergebrüll der ehernen
Feuerschlünde; das Werk wurde begraben unter den Trümmern der zusammen¬
brechenden Monarchie Friedrichs des Großen. Es war das eingetreten, was
ein Dichter in den Worten ausdrückt:


Und es klingt ein Lied von Jena, das tönt so trüb und schwer;
Wie dumpfes Totenlttuten, so schallt daS Lied daher:
Borussia stürzte zu Boden, voll Blut und totenstunnn,
Und Friedrich der Große wandte in seinem Grabe sich um.



Viktor Hehns Gedanken über Goethe.

iele siud berufen, aber wenige sind auserwählt. Dieser Spruch hat
nicht leicht anderswo mehr Geltung, als im Gebiete der ästhetischen
Kritik. Viele beschäftigen sich mit ihr, sei es von Amts wegen
als Lehrer und Professoren, sei es von Berufs wegen als Jour¬
nalisten, sei es, weil so viele Menschen sich berechtigt glauben,
von dem Eindruck, den eine Dichtung in ihnen hinterlassen hat, öffentlich Rechen¬
schaft abzugeben. Viele beschäftigen sich insbesondre mit der kritischen Forschung


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[0590] Viktor Hehns Gedanken über Goethe. Der Bund umfaßt drei Kreise: 1. den brandenburgischen, der Mecklenburg, Oldenburg, schwedisch-Pommern, Holstein, Braunschweig und die Hansestädte einschließt, 2. den sächsischen, zu dem die sächsisch-thüringischen und die anhaltinischen Lande gehören, 3. den hessischen, wozu das Fürstentum Fulda gehört, während die Grafschaften Waldeck, Lippe-Detmold, Schaumburg, Schlitz, Pyrmont, Nict- berg, Rheda zu Gunsten Hessens mediatisirt werden. Ebenso werden die Be¬ sitzungen der Ncichsritterschaft mediatisirt. Die übrigen Bestimmungen über ein Bundesheer, Bundesgericht n. s. w. müssen hier übergangen werden. Wie üblich, führten die Verhandlungen zu keinem Ziele. Sachsen steckte sich hinter Hessen, und umgekehrt; die kleinsten Staaten machten Weiterungen; die Hansestädte wollten sogar einen eignen Hansebnnd gründen. Gewinnen wollte jeder, Opfer bringen niemand. Die Ränke Napoleons, daneben auch die Mißgunst Öster¬ reichs nährten die Mißhelligkeiten. Kurz, man kann sagen: Hätte nicht Preußen ebenso zwingende Beweisgründe angewandt, wie Napoleon sie liebte, hätte es nicht an die ultirng, rcckio rgM cippellirt, so wäre irgend etwas Ersprießliches für Preußen und Deutschland bei der ganzen Sache doch nicht herauskommen. Die letzten zwecklosen Verhandlungen fanden im preußischen Hauptquartiere kurz vor dem Ausbruche des unheilvollen Krieges von 1806 statt. Dann ver¬ hallten die Stimmen der Diplomaten unter dem Donnergebrüll der ehernen Feuerschlünde; das Werk wurde begraben unter den Trümmern der zusammen¬ brechenden Monarchie Friedrichs des Großen. Es war das eingetreten, was ein Dichter in den Worten ausdrückt: Und es klingt ein Lied von Jena, das tönt so trüb und schwer; Wie dumpfes Totenlttuten, so schallt daS Lied daher: Borussia stürzte zu Boden, voll Blut und totenstunnn, Und Friedrich der Große wandte in seinem Grabe sich um. Viktor Hehns Gedanken über Goethe. iele siud berufen, aber wenige sind auserwählt. Dieser Spruch hat nicht leicht anderswo mehr Geltung, als im Gebiete der ästhetischen Kritik. Viele beschäftigen sich mit ihr, sei es von Amts wegen als Lehrer und Professoren, sei es von Berufs wegen als Jour¬ nalisten, sei es, weil so viele Menschen sich berechtigt glauben, von dem Eindruck, den eine Dichtung in ihnen hinterlassen hat, öffentlich Rechen¬ schaft abzugeben. Viele beschäftigen sich insbesondre mit der kritischen Forschung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/590>, abgerufen am 01.05.2024.