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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

kreise liegenden Mittel- und Kleinstaaten Norddeutschlands zu sichern, zu schützen
und zu retten? Leider muß man darauf antworten: Gethan, d. h. durchgeführt
und vollbracht, hat Preußen in dieser ganzen Zeit nichts, gar nichts. Versucht,
geplant, gewollt hat es wohl mancherlei. Aber über schwächliche Anläufe,
über lebensunfähige Pläne, die überdies stets an dem Fluche des "Zu spät"
tränkten, ist die erbärmliche, zaubernde, unentschlossene Politik jener Zeit nicht
hinausgekommen.

Preußen erstrebte allerdings die Stiftung eines norddeutschen Bundes
unter seiner Führung, eines norddeutschen oder doch wenigstens eines preußischen
Kaisertums.

Durch neuere Forschungen ist mit Sicherheit festgestellt worden, daß der
Gedanke, Norddeutschland unter preußischer Führung in irgend welcher Form
zu einigen, bereits in den Jahren 1800 und 1801 das preußische Ministerium
beschäftigt hat, daß Denkschriften, die dahin zielten, nicht nur dem Kabinet,
sondern auch dem Könige selbst vorgelegen haben. Außer andern Schriften,
deren Verfasser bis jetzt nicht bekannt sind, sind jetzt zwei Denkschriften des
Obersten von Massenbach, der später zu einer so traurigen Berühmtheit kam, ver¬
öffentlicht worden. Aber eben so wenig wie seine ausschlaggebenden Räte, konnte
der König zu einem festen Entschlüsse kommen. Durch die beliebte Politik des
"Wartens ans ein svsnömsnt," wurde die Sache jahrelang verschleppt. 1804,
als Napoleon die Annahme der Kaiserwürde beabsichtigte, stellte er an den
König von Preußen geradezu den Antrag, gleichfalls diesen Titel anzunehmen, und
zwar den eines Kaisers von Preußen. Im Zusammenhange hiermit steht, daß
Österreich in jenem Jahre das gleiche that. Der König wies den Vorschlag
zurück, hauptsächlich ans Rücksicht auf Österreich, das die deutsche Kaiserwürde
noch nicht niedergelegt hatte. Am 22. Juli 1806 wiederholte der französische
Gesandte in Berlin, Laforest, im Auftrage von Talleyrand diesen Antrag mit
dem Zusätze, daß der Kaiser der Franzosen jede Anordnung, die Preußen für
geeignet halten würde (norddeutsches Kaisertum, norddeutscher Bund), im voraus
billige. Napoleon hatte hierbei nur das Ziel im Auge, daß Preußen den
Rheinbund anerkennen sollte, und erreichte dies auch. Dann aber hintertrieb er
durch geheime Beeinflussungen die Ausführung der preußischen Pläne in jeder
Weise. Dieses mal fand nämlich sein Vorschlag bei dem Könige und seinem
Kabinet geneigteres Ohr. Preußens begann^ mit Sachsen und Kurhessen, den
beiden mächtigsten Ständen in Norddeutschland (Hannover war damals Preußen
einverleibt) ernsthafte Verhandlungen. ^Ein endgiltiger Bundesentwurf unter dem
Titel: "Vorläufige Grundzüge zu einer Konstitution für das nördliche Deutsch¬
land unter dem Namen des Nordischen Reichsbnndes" wurde Mitte August vor¬
gelegt. Die wichtigsten Pnnkte waren: Der König von Preußen wird Kaiser
von Norddeutschland, die ^Kurfürsten von Sachsen und Hessen nehmen den
Königstitel an. Ebenso erhalten eine Reihe andrer Fürsten Standeserhöhungen.


Die Auflösung des alten Reiches.

kreise liegenden Mittel- und Kleinstaaten Norddeutschlands zu sichern, zu schützen
und zu retten? Leider muß man darauf antworten: Gethan, d. h. durchgeführt
und vollbracht, hat Preußen in dieser ganzen Zeit nichts, gar nichts. Versucht,
geplant, gewollt hat es wohl mancherlei. Aber über schwächliche Anläufe,
über lebensunfähige Pläne, die überdies stets an dem Fluche des „Zu spät"
tränkten, ist die erbärmliche, zaubernde, unentschlossene Politik jener Zeit nicht
hinausgekommen.

Preußen erstrebte allerdings die Stiftung eines norddeutschen Bundes
unter seiner Führung, eines norddeutschen oder doch wenigstens eines preußischen
Kaisertums.

Durch neuere Forschungen ist mit Sicherheit festgestellt worden, daß der
Gedanke, Norddeutschland unter preußischer Führung in irgend welcher Form
zu einigen, bereits in den Jahren 1800 und 1801 das preußische Ministerium
beschäftigt hat, daß Denkschriften, die dahin zielten, nicht nur dem Kabinet,
sondern auch dem Könige selbst vorgelegen haben. Außer andern Schriften,
deren Verfasser bis jetzt nicht bekannt sind, sind jetzt zwei Denkschriften des
Obersten von Massenbach, der später zu einer so traurigen Berühmtheit kam, ver¬
öffentlicht worden. Aber eben so wenig wie seine ausschlaggebenden Räte, konnte
der König zu einem festen Entschlüsse kommen. Durch die beliebte Politik des
„Wartens ans ein svsnömsnt," wurde die Sache jahrelang verschleppt. 1804,
als Napoleon die Annahme der Kaiserwürde beabsichtigte, stellte er an den
König von Preußen geradezu den Antrag, gleichfalls diesen Titel anzunehmen, und
zwar den eines Kaisers von Preußen. Im Zusammenhange hiermit steht, daß
Österreich in jenem Jahre das gleiche that. Der König wies den Vorschlag
zurück, hauptsächlich ans Rücksicht auf Österreich, das die deutsche Kaiserwürde
noch nicht niedergelegt hatte. Am 22. Juli 1806 wiederholte der französische
Gesandte in Berlin, Laforest, im Auftrage von Talleyrand diesen Antrag mit
dem Zusätze, daß der Kaiser der Franzosen jede Anordnung, die Preußen für
geeignet halten würde (norddeutsches Kaisertum, norddeutscher Bund), im voraus
billige. Napoleon hatte hierbei nur das Ziel im Auge, daß Preußen den
Rheinbund anerkennen sollte, und erreichte dies auch. Dann aber hintertrieb er
durch geheime Beeinflussungen die Ausführung der preußischen Pläne in jeder
Weise. Dieses mal fand nämlich sein Vorschlag bei dem Könige und seinem
Kabinet geneigteres Ohr. Preußens begann^ mit Sachsen und Kurhessen, den
beiden mächtigsten Ständen in Norddeutschland (Hannover war damals Preußen
einverleibt) ernsthafte Verhandlungen. ^Ein endgiltiger Bundesentwurf unter dem
Titel: „Vorläufige Grundzüge zu einer Konstitution für das nördliche Deutsch¬
land unter dem Namen des Nordischen Reichsbnndes" wurde Mitte August vor¬
gelegt. Die wichtigsten Pnnkte waren: Der König von Preußen wird Kaiser
von Norddeutschland, die ^Kurfürsten von Sachsen und Hessen nehmen den
Königstitel an. Ebenso erhalten eine Reihe andrer Fürsten Standeserhöhungen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/589>, abgerufen am 22.05.2024.