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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die politische Lage am Jahresschlusse.

s ist ein charakteristisches Zeichen für die äußere politische Lage
Europas, daß dieser Bericht, welcher vierzehn Tage vor seiner
Veröffentlichung geschrieben wird, möglicherweise zur Zeit seines
Erscheinens überholt ist. Denn die Frage, ob Krieg oder Frieden,
ist im wesentlichen abhängig von der "unchristlichen Neigung be¬
nachbarter Völker zum kriegerischen Überfall," wie es in der Thronrede des
Kaisers heißt. Trotz aller Humanitätsideen, von welchen unsre Zeit überfließt,
trotz aller Freunde des Friedens und ihrer Bestrebungen ist jene Neigung das
unzerstörbare Merkmal unsrer Zeit geworden. Zwei mächtige Völker im Westen
und im Osten des deutschen Reiches, so verschieden durch ihre Stammcseigen-
tümlichkeiten, ihre Geschichte, ihre Gesittung und ihre Bildung, begegnen sich
in dieser "unchristlichen Neigung" und bedrohen fortwährend den europäischen
Frieden. Frauzosen und Russen wollen erobern, wollen aus unerquicklichen
innern Zuständen heraus sich retten, und glauben nur noch Abhilfe in der
ultima rg,dio, den Kanonen, finden zu können. Es ist außerordentlich lehrreich,
wie sich in dieser Beziehung die Maßlosigkeit der Republik mit der Starrheit
des Selbstherrschertums begegnet. Die Franzosen haben es schon so oft er¬
fahren, daß eine Änderung ihrer Verfassung nicht auch eine größere Zufrieden¬
heit nach sich zieht. Die Republik, welche ihnen der deutsche Sieg in den
Schoß warf, ist zum Tummelplatz der Parteien geworden, von denen jede nach
dem Grundsatze: "Dem Sieger die Beute" die andre zu verdrängen sucht.
Daher kommen die vielfachen Verschiebungen der Mehrheit des Parlaments, die
vielfach wechselnden Ministerien und die dauernde Unstetigkeit der Verhältnisse.
Der Schwerpunkt der Regierung gleitet immer mehr nach der abschüssigen linken


Grenzboten IV. 1837. 77


Die politische Lage am Jahresschlusse.

s ist ein charakteristisches Zeichen für die äußere politische Lage
Europas, daß dieser Bericht, welcher vierzehn Tage vor seiner
Veröffentlichung geschrieben wird, möglicherweise zur Zeit seines
Erscheinens überholt ist. Denn die Frage, ob Krieg oder Frieden,
ist im wesentlichen abhängig von der „unchristlichen Neigung be¬
nachbarter Völker zum kriegerischen Überfall," wie es in der Thronrede des
Kaisers heißt. Trotz aller Humanitätsideen, von welchen unsre Zeit überfließt,
trotz aller Freunde des Friedens und ihrer Bestrebungen ist jene Neigung das
unzerstörbare Merkmal unsrer Zeit geworden. Zwei mächtige Völker im Westen
und im Osten des deutschen Reiches, so verschieden durch ihre Stammcseigen-
tümlichkeiten, ihre Geschichte, ihre Gesittung und ihre Bildung, begegnen sich
in dieser „unchristlichen Neigung" und bedrohen fortwährend den europäischen
Frieden. Frauzosen und Russen wollen erobern, wollen aus unerquicklichen
innern Zuständen heraus sich retten, und glauben nur noch Abhilfe in der
ultima rg,dio, den Kanonen, finden zu können. Es ist außerordentlich lehrreich,
wie sich in dieser Beziehung die Maßlosigkeit der Republik mit der Starrheit
des Selbstherrschertums begegnet. Die Franzosen haben es schon so oft er¬
fahren, daß eine Änderung ihrer Verfassung nicht auch eine größere Zufrieden¬
heit nach sich zieht. Die Republik, welche ihnen der deutsche Sieg in den
Schoß warf, ist zum Tummelplatz der Parteien geworden, von denen jede nach
dem Grundsatze: „Dem Sieger die Beute" die andre zu verdrängen sucht.
Daher kommen die vielfachen Verschiebungen der Mehrheit des Parlaments, die
vielfach wechselnden Ministerien und die dauernde Unstetigkeit der Verhältnisse.
Der Schwerpunkt der Regierung gleitet immer mehr nach der abschüssigen linken


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[0617] [Abbildung] Die politische Lage am Jahresschlusse. s ist ein charakteristisches Zeichen für die äußere politische Lage Europas, daß dieser Bericht, welcher vierzehn Tage vor seiner Veröffentlichung geschrieben wird, möglicherweise zur Zeit seines Erscheinens überholt ist. Denn die Frage, ob Krieg oder Frieden, ist im wesentlichen abhängig von der „unchristlichen Neigung be¬ nachbarter Völker zum kriegerischen Überfall," wie es in der Thronrede des Kaisers heißt. Trotz aller Humanitätsideen, von welchen unsre Zeit überfließt, trotz aller Freunde des Friedens und ihrer Bestrebungen ist jene Neigung das unzerstörbare Merkmal unsrer Zeit geworden. Zwei mächtige Völker im Westen und im Osten des deutschen Reiches, so verschieden durch ihre Stammcseigen- tümlichkeiten, ihre Geschichte, ihre Gesittung und ihre Bildung, begegnen sich in dieser „unchristlichen Neigung" und bedrohen fortwährend den europäischen Frieden. Frauzosen und Russen wollen erobern, wollen aus unerquicklichen innern Zuständen heraus sich retten, und glauben nur noch Abhilfe in der ultima rg,dio, den Kanonen, finden zu können. Es ist außerordentlich lehrreich, wie sich in dieser Beziehung die Maßlosigkeit der Republik mit der Starrheit des Selbstherrschertums begegnet. Die Franzosen haben es schon so oft er¬ fahren, daß eine Änderung ihrer Verfassung nicht auch eine größere Zufrieden¬ heit nach sich zieht. Die Republik, welche ihnen der deutsche Sieg in den Schoß warf, ist zum Tummelplatz der Parteien geworden, von denen jede nach dem Grundsatze: „Dem Sieger die Beute" die andre zu verdrängen sucht. Daher kommen die vielfachen Verschiebungen der Mehrheit des Parlaments, die vielfach wechselnden Ministerien und die dauernde Unstetigkeit der Verhältnisse. Der Schwerpunkt der Regierung gleitet immer mehr nach der abschüssigen linken Grenzboten IV. 1837. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/617>, abgerufen am 01.05.2024.