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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Friedrich Bcchrdt.

Fassen wir unsre gesamte Wirtschaft ins Auge, so drängt sich uns das
Bild auf, daß wir wie der Geizhals wirtschaften, der Schatze auf Schätze häuft
und dabei Hunger und Frost erduldet. Während unser Reichtum wächst, fühlen
sich alle unbefriedigt, weil Landwirtschaft und Gewerbe, Handel und Verkehr,
die Arbeit und das Kapital mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als
da sind: Überproduktion, Mangel an Absatz, schärfste Konkurrenz nnter An¬
wendung aller möglichen, vielfach fogar der verwerflichsten Mittel.

Es geht uns wie einem Landwirte, der, auf einem ganz alleinlicgenden
Hofe wirtschaftend, von Jahr zu Jahr größere Flächen Landes mit Vrotkorn
bestellt, sür seinen und der Seinigen Unterhalt aber so wenig zurücklegt, daß
seine Familie und seine Knechte Hunger leiden müssen. Er wird zwar
immer reicher an Produktionsmittel!, werden, inzwischen aber müssen diejenigen
verderben, welche von dem gewonnenen Korn Hütten leben sollen. Das ist im
Kleinen das Bild unsrer gegenwärtigen Zustände, bei denen zwar die Produktion
sich beständig steigert, die Konsumtion aber nicht Schritt hält, und bei denen
schließlich weder Produzenten noch Konsumenten ihre Rechnung finden.

Das einzige Heilmittel dasür besteht darin, die Kaufkraft der Massen
zu heben, damit die Konsumtion in demselben Maße sich erweitere, wie die
Produktion zunimmt. In einem ferneren Aufsatz sind wir bereit, näher nach¬
zuweisen, durch welche Maßnahmen sich dieses Ziel erreichen läßt.




Karl Friedrich Vahrdt.
Gin literarisches Charakterbild von ZValdemar Rawerau. (Schluß.)

n Dürkheim war seines Bleibens nicht mehr; bei Nacht und
Nebel entwich er, um seineu Gläubigern zu entgehen, und wandte
sich nach Halle, wo er fast von allem entblößt und mit Schulden
überlastet am 28. Mai 1779 eintraf. Hier war er wenigstens
vor Neichshofratsbcschlüssen gesichert, denn mit Friedrich dem
Großen konnte man nicht umspringen, wie mit einem Grafen von Leiuingen-
Dachsburg. Und der Minister von Zedlitz war in der That anfänglich geneigt,
dem Falle Bcchrdt eine prinzipielle Bedeutung beizulegen, die Sache Bahrdts
als die Sache der protestantischen Gewissensfreiheit zu betrachten. "Glauben
Sie, schrieb er ihm, daß ich Gewissensfreiheit anerkenne und schätze, aber sie


Rarl Friedrich Bcchrdt.

Fassen wir unsre gesamte Wirtschaft ins Auge, so drängt sich uns das
Bild auf, daß wir wie der Geizhals wirtschaften, der Schatze auf Schätze häuft
und dabei Hunger und Frost erduldet. Während unser Reichtum wächst, fühlen
sich alle unbefriedigt, weil Landwirtschaft und Gewerbe, Handel und Verkehr,
die Arbeit und das Kapital mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als
da sind: Überproduktion, Mangel an Absatz, schärfste Konkurrenz nnter An¬
wendung aller möglichen, vielfach fogar der verwerflichsten Mittel.

Es geht uns wie einem Landwirte, der, auf einem ganz alleinlicgenden
Hofe wirtschaftend, von Jahr zu Jahr größere Flächen Landes mit Vrotkorn
bestellt, sür seinen und der Seinigen Unterhalt aber so wenig zurücklegt, daß
seine Familie und seine Knechte Hunger leiden müssen. Er wird zwar
immer reicher an Produktionsmittel!, werden, inzwischen aber müssen diejenigen
verderben, welche von dem gewonnenen Korn Hütten leben sollen. Das ist im
Kleinen das Bild unsrer gegenwärtigen Zustände, bei denen zwar die Produktion
sich beständig steigert, die Konsumtion aber nicht Schritt hält, und bei denen
schließlich weder Produzenten noch Konsumenten ihre Rechnung finden.

Das einzige Heilmittel dasür besteht darin, die Kaufkraft der Massen
zu heben, damit die Konsumtion in demselben Maße sich erweitere, wie die
Produktion zunimmt. In einem ferneren Aufsatz sind wir bereit, näher nach¬
zuweisen, durch welche Maßnahmen sich dieses Ziel erreichen läßt.




Karl Friedrich Vahrdt.
Gin literarisches Charakterbild von ZValdemar Rawerau. (Schluß.)

n Dürkheim war seines Bleibens nicht mehr; bei Nacht und
Nebel entwich er, um seineu Gläubigern zu entgehen, und wandte
sich nach Halle, wo er fast von allem entblößt und mit Schulden
überlastet am 28. Mai 1779 eintraf. Hier war er wenigstens
vor Neichshofratsbcschlüssen gesichert, denn mit Friedrich dem
Großen konnte man nicht umspringen, wie mit einem Grafen von Leiuingen-
Dachsburg. Und der Minister von Zedlitz war in der That anfänglich geneigt,
dem Falle Bcchrdt eine prinzipielle Bedeutung beizulegen, die Sache Bahrdts
als die Sache der protestantischen Gewissensfreiheit zu betrachten. „Glauben
Sie, schrieb er ihm, daß ich Gewissensfreiheit anerkenne und schätze, aber sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/80>, abgerufen am 01.05.2024.