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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Rarl Friedrich Bahrdt.

zugleich zu hoch schätze, um je Unruhe und bloße Zanksucht unter ihrem Namen
durchschlüpfen zu lassen; Ihr eigner guter Verstand sagt Ihnen gewiß mehr,
als meine Bitte Ihnen sagen kann, daß Sie äußerst vorsichtig in Ihrem Wandel
sein müssen, um nicht glauben zu machen, daß die freie Denkungsart mehr aus
den Begierden des Herzens als ans der Überzeugung des Verstandes entsprossen
sei." Unter solcher Voraussetzung gab er ihm die Erlaubnis, als Privatdozent
an der Hallischen Universität Vorlesungen zu halten, und Bcchrdt machte von
dieser Erlaubnis den weitesten Gebrauch, indem er über alles mögliche, über
Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation zu lesen
begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte. Aber nur zu bald erwiesen
sich die gutherzigen Voraussetzungen des Ministers als irrig; er mußte mehr
und mehr einsehen, daß die Bahrdtsche Gewissensfreiheit in der That nur ein
Deckmantel war und daß er seine Ermahnungen zur Vorsicht im Lebenswandel
in den Wind gesprochen hatte. Dazu lag ihm Bahrst unaufhörlich mit un¬
erfüllbaren Anliegen in den Ohren, sodaß er dem Querulanten endlich den nicht
mißzuverstehender Denkzettel geben mußte: "Es übertrifft alle Vorstellung, wie
Sie mich quälen. Ich glaube durch eine ernstliche Eröffnung meiner Meinung
mir Sie vom Leibe halten zu müssen; denn fast darf vom Stallmeister bis
zum Professor der Mathematik oder der Anatomie kein Platz offen werden, den
Sie nicht fordern."

In eine überaus schwierige und peinliche Lage brachte Bahrdts Auftreten
die Hallischen Theologen, vor allem den ehrwürdigen Semler. Dieser konnte
und durfte nicht ruhig mit zusehen, wie durch eine so würdelose agita¬
torische Thätigkeit, der jeder wissenschaftliche Ernst und jeder religiöse Odem
fehlte, die gute Sache der Aufklärung gefährdet wurde, und war sich doch
auf der andern Seite völlig klar, daß er, wenn er gegen Bcchrdt seine Stimme
erhob, bei der gedankenlosen Menge auf kein Verständnis rechnen durfte, und
daß ihn der landläufige Liberalismus fortan als einen Abtrünnigen, die Ortho¬
doxen als einen Heuchler betrachten mußten. Schon daß er hartnäckig seine
Zustimmung zu deu Wolfenbüttler Fragmenten versagt hatte, war den Nicolaiten
mit ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben, einer Freiheit, die
nach Lessings treffendem Worte einzig und allein darauf hinauslief, gegen die
Religion so viele Sottisen auf den Markt zu bringen als man wollte, völlig
unverständlich gewesen; seine Antwort auf das Bahrdtsche Glaubensbekenntnis
(August 1779) machte sie völlig kopfscheu und ratlos. Und es ist ja gewiß:
mit seinen kritischen Anschauungen wich Bcchrdt, als er nach Halle kam, nicht
allzuweit von Semler ab, wohl aber war er von dessen religiöser Stellung
meilenweit entfernt. Semlcr, dem es völliger und tiefer Ernst war um die
heiligsten Dinge, und in dem gründlichste Gelehrsamkeit mit echter Frömmigkeit
Hand in Hand ging, hatte zum ersten male den Versuch gewagt, jene zarte
Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen und der persönlichen religiösen


Grenzboten IV. 1887. 10
Rarl Friedrich Bahrdt.

zugleich zu hoch schätze, um je Unruhe und bloße Zanksucht unter ihrem Namen
durchschlüpfen zu lassen; Ihr eigner guter Verstand sagt Ihnen gewiß mehr,
als meine Bitte Ihnen sagen kann, daß Sie äußerst vorsichtig in Ihrem Wandel
sein müssen, um nicht glauben zu machen, daß die freie Denkungsart mehr aus
den Begierden des Herzens als ans der Überzeugung des Verstandes entsprossen
sei." Unter solcher Voraussetzung gab er ihm die Erlaubnis, als Privatdozent
an der Hallischen Universität Vorlesungen zu halten, und Bcchrdt machte von
dieser Erlaubnis den weitesten Gebrauch, indem er über alles mögliche, über
Philosophie und Philologie, über Moral und Theorie der Deklamation zu lesen
begann, wobei es ihm auch an Zulauf nicht fehlte. Aber nur zu bald erwiesen
sich die gutherzigen Voraussetzungen des Ministers als irrig; er mußte mehr
und mehr einsehen, daß die Bahrdtsche Gewissensfreiheit in der That nur ein
Deckmantel war und daß er seine Ermahnungen zur Vorsicht im Lebenswandel
in den Wind gesprochen hatte. Dazu lag ihm Bahrst unaufhörlich mit un¬
erfüllbaren Anliegen in den Ohren, sodaß er dem Querulanten endlich den nicht
mißzuverstehender Denkzettel geben mußte: „Es übertrifft alle Vorstellung, wie
Sie mich quälen. Ich glaube durch eine ernstliche Eröffnung meiner Meinung
mir Sie vom Leibe halten zu müssen; denn fast darf vom Stallmeister bis
zum Professor der Mathematik oder der Anatomie kein Platz offen werden, den
Sie nicht fordern."

In eine überaus schwierige und peinliche Lage brachte Bahrdts Auftreten
die Hallischen Theologen, vor allem den ehrwürdigen Semler. Dieser konnte
und durfte nicht ruhig mit zusehen, wie durch eine so würdelose agita¬
torische Thätigkeit, der jeder wissenschaftliche Ernst und jeder religiöse Odem
fehlte, die gute Sache der Aufklärung gefährdet wurde, und war sich doch
auf der andern Seite völlig klar, daß er, wenn er gegen Bcchrdt seine Stimme
erhob, bei der gedankenlosen Menge auf kein Verständnis rechnen durfte, und
daß ihn der landläufige Liberalismus fortan als einen Abtrünnigen, die Ortho¬
doxen als einen Heuchler betrachten mußten. Schon daß er hartnäckig seine
Zustimmung zu deu Wolfenbüttler Fragmenten versagt hatte, war den Nicolaiten
mit ihrer Berlinischen Freiheit zu denken und zu schreiben, einer Freiheit, die
nach Lessings treffendem Worte einzig und allein darauf hinauslief, gegen die
Religion so viele Sottisen auf den Markt zu bringen als man wollte, völlig
unverständlich gewesen; seine Antwort auf das Bahrdtsche Glaubensbekenntnis
(August 1779) machte sie völlig kopfscheu und ratlos. Und es ist ja gewiß:
mit seinen kritischen Anschauungen wich Bcchrdt, als er nach Halle kam, nicht
allzuweit von Semler ab, wohl aber war er von dessen religiöser Stellung
meilenweit entfernt. Semlcr, dem es völliger und tiefer Ernst war um die
heiligsten Dinge, und in dem gründlichste Gelehrsamkeit mit echter Frömmigkeit
Hand in Hand ging, hatte zum ersten male den Versuch gewagt, jene zarte
Unterscheidung zwischen der wissenschaftlichen und der persönlichen religiösen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/81>, abgerufen am 15.05.2024.