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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Veronski.
voll H. von Schreibershofen. (Fortschung.)

es kann, ich darf es nicht! sagte David. Wie könnte ich als
einer der Euern leben und lügen und heucheln? In meinem
Herzen stehen die Worte gegen mich auf: "Wer mich verleugnet
vor den Menschen, deu will ich auch verleugnen vor meinem
himmlischen Vater." Mutter! Du hast mir das Buch des Lebens
genommen, das Buch, durch welches ich mein Heil gefunden hatte, doch Tag
und Nacht stehen mir seine Worte vor Augen, und sie lassen mir keine Nuhe.
Es drängt und treibt mich, sie auszusprechen, euch allen davon zu sagen, von
dem großen, wunderbaren Geheimnisse der Menschwerdung Christi. Mutter,
die ich auf Erden am meisten liebe! Höre auf meine Worte, laß mich dir
davon sagen, auf daß du mit mir an ihn glauben lernst, den Heiland
Jesus --

Schweig! schrie Rebekka und stieß ihn mit der Hand fort. Wage nicht,
solche Lästerworte noch einmal zu mir zu sprechen! Noch einmal frage ich
dich: willst du diesen Irrweg verlassen, deinen Wahn abschwören?

Ich kann es nicht!

David stand vor ihr, die Hände auf die Brust gelegt, den Blick ruhig
und fest auf die aufgeregte, zitternde alte Frau geheftet. Ihr Kopftuch hatte
sich gelöst, sie hatte ihre Pelzjacke abgeworfen und ihr Atem ging schnell
und laut.

Ich kann für dich sterben, Mutter, aber die Wahrheit darf ich nicht länger
verleugnen. "Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein
nicht wert," sagt Jesus Christus. Ich darf dir nicht zu willen sein, so weh es
mir thut.




David Veronski.
voll H. von Schreibershofen. (Fortschung.)

es kann, ich darf es nicht! sagte David. Wie könnte ich als
einer der Euern leben und lügen und heucheln? In meinem
Herzen stehen die Worte gegen mich auf: „Wer mich verleugnet
vor den Menschen, deu will ich auch verleugnen vor meinem
himmlischen Vater." Mutter! Du hast mir das Buch des Lebens
genommen, das Buch, durch welches ich mein Heil gefunden hatte, doch Tag
und Nacht stehen mir seine Worte vor Augen, und sie lassen mir keine Nuhe.
Es drängt und treibt mich, sie auszusprechen, euch allen davon zu sagen, von
dem großen, wunderbaren Geheimnisse der Menschwerdung Christi. Mutter,
die ich auf Erden am meisten liebe! Höre auf meine Worte, laß mich dir
davon sagen, auf daß du mit mir an ihn glauben lernst, den Heiland
Jesus —

Schweig! schrie Rebekka und stieß ihn mit der Hand fort. Wage nicht,
solche Lästerworte noch einmal zu mir zu sprechen! Noch einmal frage ich
dich: willst du diesen Irrweg verlassen, deinen Wahn abschwören?

Ich kann es nicht!

David stand vor ihr, die Hände auf die Brust gelegt, den Blick ruhig
und fest auf die aufgeregte, zitternde alte Frau geheftet. Ihr Kopftuch hatte
sich gelöst, sie hatte ihre Pelzjacke abgeworfen und ihr Atem ging schnell
und laut.

Ich kann für dich sterben, Mutter, aber die Wahrheit darf ich nicht länger
verleugnen. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein
nicht wert," sagt Jesus Christus. Ich darf dir nicht zu willen sein, so weh es
mir thut.


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[0260] [Abbildung] David Veronski. voll H. von Schreibershofen. (Fortschung.) es kann, ich darf es nicht! sagte David. Wie könnte ich als einer der Euern leben und lügen und heucheln? In meinem Herzen stehen die Worte gegen mich auf: „Wer mich verleugnet vor den Menschen, deu will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater." Mutter! Du hast mir das Buch des Lebens genommen, das Buch, durch welches ich mein Heil gefunden hatte, doch Tag und Nacht stehen mir seine Worte vor Augen, und sie lassen mir keine Nuhe. Es drängt und treibt mich, sie auszusprechen, euch allen davon zu sagen, von dem großen, wunderbaren Geheimnisse der Menschwerdung Christi. Mutter, die ich auf Erden am meisten liebe! Höre auf meine Worte, laß mich dir davon sagen, auf daß du mit mir an ihn glauben lernst, den Heiland Jesus — Schweig! schrie Rebekka und stieß ihn mit der Hand fort. Wage nicht, solche Lästerworte noch einmal zu mir zu sprechen! Noch einmal frage ich dich: willst du diesen Irrweg verlassen, deinen Wahn abschwören? Ich kann es nicht! David stand vor ihr, die Hände auf die Brust gelegt, den Blick ruhig und fest auf die aufgeregte, zitternde alte Frau geheftet. Ihr Kopftuch hatte sich gelöst, sie hatte ihre Pelzjacke abgeworfen und ihr Atem ging schnell und laut. Ich kann für dich sterben, Mutter, aber die Wahrheit darf ich nicht länger verleugnen. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert," sagt Jesus Christus. Ich darf dir nicht zu willen sein, so weh es mir thut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/260>, abgerufen am 01.05.2024.