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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Bercmski.

So möge mein Fluch auf dir ruhen! schrie Rebekka leidenschaftlich. Auf¬
springend streckte sie beide Hände gegen ihn aus und rief laut und gellend:
Speise und Trank sollen dir zu Gift und Galle werden, der Thau des Himmels
dich nicht erquicken, die Strahlen der Sonne dich nicht mehr wärmen! Elend
und Not sollen sich an deine Fersen heften, und was dn anfängst, soll zu
deinem Verderben sein, was dn thust, dir Leid und Kummer bringen! Wohin
dich deine Füße tragen, gen Mittag, Abend, Morgen oder Nacht, du sollst keine
Ruhe finden, und mit dem Zeichen Kains, des Mörders, sollst du umhergehen,
gemieden und verachtet von jedermann!

Zusammenschauernd war David mit verhülltem Antlitze auf seinen Sitz ge¬
sunken. Als er aufblickte, war er allein -- ganz allein! So wie er von nnn
an immer sein sollte, auch die Mutterliebe hatte sich von ihm gewendet.

Schon blickten die Sterne in das Gemach, und noch immer saß David un¬
beweglich, das Haupt verhüllt.

Von seiner Mutter verflucht! Sie, die bisher nur Worte der Liebe, der
Zärtlichkeit für ihn gefunden, hatte sein Haupt mit ihrem Fluche beladen, der
ihn verfolgen sollte, dem er nicht entfliehen konnte. Ein Verstoßener! Ein
schneidendes Weh, ein Schmerz, wie er ihn noch nie empfunden, durchzuckte sein
Herz. Von nun an war sein Leben von dem ihren gelöst -- er stand allein!
Das Gefühl einer grenzenlosen Verlassenheit überfiel ihn und Angst vor der
Vereinsamung, die ihm bevorstand. Er mußte mit seiner ganzen Vergangenheit
brechen und abschließen, eine Brücke führte nicht über diesen Abgrund, das wußte
er nur zu gut.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich --!

Er konnte nicht anders, und der Gott, der das verlangte, hätte auch diesem
Fluche einer irrenden Mutter kein Gehör gegeben. Der Herr, auf dessen Ge¬
heiß er so handeln mußte, konnte seine Hand nicht von ihm abziehen.

Eine große Ruhe, ein felsenfestes Vertrauen erfüllte plötzlich sein Herz.

Da sprach ihn jemand an -- er blickte auf.

Der Schamcs, der Syuagogendiener, stand vor ihm. Ein bitteres Lächeln
zog über Davids Antlitz. Er wußte alles. Man zögerte nicht. Das Weib,
um deretwillen seine Mutter einst so bittere Thränen vor ihm vergossen, die ihm
seine Freiheit gekostet, hatte ihn angeklagt feines Abfalles wegen. Wäre es
nicht schon Nacht gewesen, der Schames wäre nicht allein gekommen, man hätte
ihn vielleicht gleich -- gesteinigt. Sein Herz zog sich zusammen, er wußte, was
ihm bevorstand. Morgen sollte er in der Gemeindeversammlung erscheinen,
er wußte, man würde ihn der Form wegen zum Widerruf auffordern und ihn
dann entweder in einen festen Gewahrsam bringen oder -- gleich töten. Er
sah, während der Schames die wenigen Worte der Vorladung sprach, wie in
einem Spiegel, was sie mit ihm thun würden, hörte die Vorwürfe und An¬
klagen Salomes, sah, wie alle, die ihn immer seines größern Wissens wegen


David Bercmski.

So möge mein Fluch auf dir ruhen! schrie Rebekka leidenschaftlich. Auf¬
springend streckte sie beide Hände gegen ihn aus und rief laut und gellend:
Speise und Trank sollen dir zu Gift und Galle werden, der Thau des Himmels
dich nicht erquicken, die Strahlen der Sonne dich nicht mehr wärmen! Elend
und Not sollen sich an deine Fersen heften, und was dn anfängst, soll zu
deinem Verderben sein, was dn thust, dir Leid und Kummer bringen! Wohin
dich deine Füße tragen, gen Mittag, Abend, Morgen oder Nacht, du sollst keine
Ruhe finden, und mit dem Zeichen Kains, des Mörders, sollst du umhergehen,
gemieden und verachtet von jedermann!

Zusammenschauernd war David mit verhülltem Antlitze auf seinen Sitz ge¬
sunken. Als er aufblickte, war er allein — ganz allein! So wie er von nnn
an immer sein sollte, auch die Mutterliebe hatte sich von ihm gewendet.

Schon blickten die Sterne in das Gemach, und noch immer saß David un¬
beweglich, das Haupt verhüllt.

Von seiner Mutter verflucht! Sie, die bisher nur Worte der Liebe, der
Zärtlichkeit für ihn gefunden, hatte sein Haupt mit ihrem Fluche beladen, der
ihn verfolgen sollte, dem er nicht entfliehen konnte. Ein Verstoßener! Ein
schneidendes Weh, ein Schmerz, wie er ihn noch nie empfunden, durchzuckte sein
Herz. Von nun an war sein Leben von dem ihren gelöst — er stand allein!
Das Gefühl einer grenzenlosen Verlassenheit überfiel ihn und Angst vor der
Vereinsamung, die ihm bevorstand. Er mußte mit seiner ganzen Vergangenheit
brechen und abschließen, eine Brücke führte nicht über diesen Abgrund, das wußte
er nur zu gut.

Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich —!

Er konnte nicht anders, und der Gott, der das verlangte, hätte auch diesem
Fluche einer irrenden Mutter kein Gehör gegeben. Der Herr, auf dessen Ge¬
heiß er so handeln mußte, konnte seine Hand nicht von ihm abziehen.

Eine große Ruhe, ein felsenfestes Vertrauen erfüllte plötzlich sein Herz.

Da sprach ihn jemand an — er blickte auf.

Der Schamcs, der Syuagogendiener, stand vor ihm. Ein bitteres Lächeln
zog über Davids Antlitz. Er wußte alles. Man zögerte nicht. Das Weib,
um deretwillen seine Mutter einst so bittere Thränen vor ihm vergossen, die ihm
seine Freiheit gekostet, hatte ihn angeklagt feines Abfalles wegen. Wäre es
nicht schon Nacht gewesen, der Schames wäre nicht allein gekommen, man hätte
ihn vielleicht gleich — gesteinigt. Sein Herz zog sich zusammen, er wußte, was
ihm bevorstand. Morgen sollte er in der Gemeindeversammlung erscheinen,
er wußte, man würde ihn der Form wegen zum Widerruf auffordern und ihn
dann entweder in einen festen Gewahrsam bringen oder — gleich töten. Er
sah, während der Schames die wenigen Worte der Vorladung sprach, wie in
einem Spiegel, was sie mit ihm thun würden, hörte die Vorwürfe und An¬
klagen Salomes, sah, wie alle, die ihn immer seines größern Wissens wegen


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[0261] David Bercmski. So möge mein Fluch auf dir ruhen! schrie Rebekka leidenschaftlich. Auf¬ springend streckte sie beide Hände gegen ihn aus und rief laut und gellend: Speise und Trank sollen dir zu Gift und Galle werden, der Thau des Himmels dich nicht erquicken, die Strahlen der Sonne dich nicht mehr wärmen! Elend und Not sollen sich an deine Fersen heften, und was dn anfängst, soll zu deinem Verderben sein, was dn thust, dir Leid und Kummer bringen! Wohin dich deine Füße tragen, gen Mittag, Abend, Morgen oder Nacht, du sollst keine Ruhe finden, und mit dem Zeichen Kains, des Mörders, sollst du umhergehen, gemieden und verachtet von jedermann! Zusammenschauernd war David mit verhülltem Antlitze auf seinen Sitz ge¬ sunken. Als er aufblickte, war er allein — ganz allein! So wie er von nnn an immer sein sollte, auch die Mutterliebe hatte sich von ihm gewendet. Schon blickten die Sterne in das Gemach, und noch immer saß David un¬ beweglich, das Haupt verhüllt. Von seiner Mutter verflucht! Sie, die bisher nur Worte der Liebe, der Zärtlichkeit für ihn gefunden, hatte sein Haupt mit ihrem Fluche beladen, der ihn verfolgen sollte, dem er nicht entfliehen konnte. Ein Verstoßener! Ein schneidendes Weh, ein Schmerz, wie er ihn noch nie empfunden, durchzuckte sein Herz. Von nun an war sein Leben von dem ihren gelöst — er stand allein! Das Gefühl einer grenzenlosen Verlassenheit überfiel ihn und Angst vor der Vereinsamung, die ihm bevorstand. Er mußte mit seiner ganzen Vergangenheit brechen und abschließen, eine Brücke führte nicht über diesen Abgrund, das wußte er nur zu gut. Wer Vater oder Mutter mehr liebt, denn mich —! Er konnte nicht anders, und der Gott, der das verlangte, hätte auch diesem Fluche einer irrenden Mutter kein Gehör gegeben. Der Herr, auf dessen Ge¬ heiß er so handeln mußte, konnte seine Hand nicht von ihm abziehen. Eine große Ruhe, ein felsenfestes Vertrauen erfüllte plötzlich sein Herz. Da sprach ihn jemand an — er blickte auf. Der Schamcs, der Syuagogendiener, stand vor ihm. Ein bitteres Lächeln zog über Davids Antlitz. Er wußte alles. Man zögerte nicht. Das Weib, um deretwillen seine Mutter einst so bittere Thränen vor ihm vergossen, die ihm seine Freiheit gekostet, hatte ihn angeklagt feines Abfalles wegen. Wäre es nicht schon Nacht gewesen, der Schames wäre nicht allein gekommen, man hätte ihn vielleicht gleich — gesteinigt. Sein Herz zog sich zusammen, er wußte, was ihm bevorstand. Morgen sollte er in der Gemeindeversammlung erscheinen, er wußte, man würde ihn der Form wegen zum Widerruf auffordern und ihn dann entweder in einen festen Gewahrsam bringen oder — gleich töten. Er sah, während der Schames die wenigen Worte der Vorladung sprach, wie in einem Spiegel, was sie mit ihm thun würden, hörte die Vorwürfe und An¬ klagen Salomes, sah, wie alle, die ihn immer seines größern Wissens wegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/261>, abgerufen am 16.05.2024.