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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Elifön.

damals eine solche in ihm hätte entwickeln können. Die historische Aufgabe
solcher Erscheinungen ist, Bresche zu legen oder vielmehr, um ein hier sehr ein¬
ladendes, landwirtschaftliches Bild zu brauchen, zu Pflügen und zu düngen.
Durch diese ist für den höhern komischen Roman der litterarische Boden wenigstens
einigermaßen bereitet worden, wenn auch nicht in dem Maße wie dem ernsten
Romane. Das kam nicht bloß den großen Vorgängern, sondern auch allen
Nachfolgern zu gute, und es ist kein Zufall, daß sich im siebzehnten Jahr¬
hundert der Engländer Smollet an den Hauptvertreter des französischen komischen
Romans, Le Sage, anlehnt. Der französische Gescllschaftsroman des siebzehnten
Jahrhunderts ist eine wichtige historische Erscheinung. Keine von den unver¬
geßlichen, aber eine höchst bezieh""gsreiche und infolge dessen belehrende. Kein
Freund der Litteratur und ihrer Geschichte wird sich ohne mannichfache Frucht
mit ihr beschäftigen; wenn er auch bei den (allerdings nur für wissenschaftliches
Nachschlagen berechneten) Jnhaltserzählungen seines sorgsamen historischen Führers
sich eines melancholischen Grauens nicht wird erwehren können, wie eine von den
Zeitgenossen und von sich selbst in den Himmel gehobene Gesellschaftsdichtung sich
im Spiegel der Nachwelt ausnimmt.




Glifen.

eorg Ebers hat das Bedürfnis gehabt, sich seinem Publikum end¬
lich auch einmal als "echter" Dichter, als Dichter in Versen und
Reimen zu offenbaren. Darum legte er festliches Gewand an,
schrieb seinen "Wüstentraum" in der schwierigen Strophe der
Ottaverime und sandte das Gedicht unter dem Titel Elisen
(Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1888) in die Welt. Der ständige Gast unter
dem Weihnachtsbaum aller höhern Töchter durfte es in unsrer, dem Verse so
abholden Zeit schon wagen, ein gereimtes Epos drucken zu lassen. Seines be¬
stimmten Kreises von Abnehmern war er sicher. Weniger sicher scheint er des
Urteils der litterarischen Welt gewesen zu sein, denn er rief den Schatten des
eben dahingegangenen Meisters der Kritik, den Schatten Friedrich Theodor
Wischers zu Hilfe, um die besten Vorurteile für sein Werk zu erregen. In
einem Vorwort -- daß doch alle schlechten Dichtungen Vorworte brauchen! --,
welches scheinbar den Manen des Toten gewidmet, im Grunde aber eine ge¬
wandte ora-tlo xi-0 äouro ist, beruft sich Ebers auf die freundschaftliche Teil-


Elifön.

damals eine solche in ihm hätte entwickeln können. Die historische Aufgabe
solcher Erscheinungen ist, Bresche zu legen oder vielmehr, um ein hier sehr ein¬
ladendes, landwirtschaftliches Bild zu brauchen, zu Pflügen und zu düngen.
Durch diese ist für den höhern komischen Roman der litterarische Boden wenigstens
einigermaßen bereitet worden, wenn auch nicht in dem Maße wie dem ernsten
Romane. Das kam nicht bloß den großen Vorgängern, sondern auch allen
Nachfolgern zu gute, und es ist kein Zufall, daß sich im siebzehnten Jahr¬
hundert der Engländer Smollet an den Hauptvertreter des französischen komischen
Romans, Le Sage, anlehnt. Der französische Gescllschaftsroman des siebzehnten
Jahrhunderts ist eine wichtige historische Erscheinung. Keine von den unver¬
geßlichen, aber eine höchst bezieh»»gsreiche und infolge dessen belehrende. Kein
Freund der Litteratur und ihrer Geschichte wird sich ohne mannichfache Frucht
mit ihr beschäftigen; wenn er auch bei den (allerdings nur für wissenschaftliches
Nachschlagen berechneten) Jnhaltserzählungen seines sorgsamen historischen Führers
sich eines melancholischen Grauens nicht wird erwehren können, wie eine von den
Zeitgenossen und von sich selbst in den Himmel gehobene Gesellschaftsdichtung sich
im Spiegel der Nachwelt ausnimmt.




Glifen.

eorg Ebers hat das Bedürfnis gehabt, sich seinem Publikum end¬
lich auch einmal als „echter" Dichter, als Dichter in Versen und
Reimen zu offenbaren. Darum legte er festliches Gewand an,
schrieb seinen „Wüstentraum" in der schwierigen Strophe der
Ottaverime und sandte das Gedicht unter dem Titel Elisen
(Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1888) in die Welt. Der ständige Gast unter
dem Weihnachtsbaum aller höhern Töchter durfte es in unsrer, dem Verse so
abholden Zeit schon wagen, ein gereimtes Epos drucken zu lassen. Seines be¬
stimmten Kreises von Abnehmern war er sicher. Weniger sicher scheint er des
Urteils der litterarischen Welt gewesen zu sein, denn er rief den Schatten des
eben dahingegangenen Meisters der Kritik, den Schatten Friedrich Theodor
Wischers zu Hilfe, um die besten Vorurteile für sein Werk zu erregen. In
einem Vorwort — daß doch alle schlechten Dichtungen Vorworte brauchen! —,
welches scheinbar den Manen des Toten gewidmet, im Grunde aber eine ge¬
wandte ora-tlo xi-0 äouro ist, beruft sich Ebers auf die freundschaftliche Teil-


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[0314] Elifön. damals eine solche in ihm hätte entwickeln können. Die historische Aufgabe solcher Erscheinungen ist, Bresche zu legen oder vielmehr, um ein hier sehr ein¬ ladendes, landwirtschaftliches Bild zu brauchen, zu Pflügen und zu düngen. Durch diese ist für den höhern komischen Roman der litterarische Boden wenigstens einigermaßen bereitet worden, wenn auch nicht in dem Maße wie dem ernsten Romane. Das kam nicht bloß den großen Vorgängern, sondern auch allen Nachfolgern zu gute, und es ist kein Zufall, daß sich im siebzehnten Jahr¬ hundert der Engländer Smollet an den Hauptvertreter des französischen komischen Romans, Le Sage, anlehnt. Der französische Gescllschaftsroman des siebzehnten Jahrhunderts ist eine wichtige historische Erscheinung. Keine von den unver¬ geßlichen, aber eine höchst bezieh»»gsreiche und infolge dessen belehrende. Kein Freund der Litteratur und ihrer Geschichte wird sich ohne mannichfache Frucht mit ihr beschäftigen; wenn er auch bei den (allerdings nur für wissenschaftliches Nachschlagen berechneten) Jnhaltserzählungen seines sorgsamen historischen Führers sich eines melancholischen Grauens nicht wird erwehren können, wie eine von den Zeitgenossen und von sich selbst in den Himmel gehobene Gesellschaftsdichtung sich im Spiegel der Nachwelt ausnimmt. Glifen. eorg Ebers hat das Bedürfnis gehabt, sich seinem Publikum end¬ lich auch einmal als „echter" Dichter, als Dichter in Versen und Reimen zu offenbaren. Darum legte er festliches Gewand an, schrieb seinen „Wüstentraum" in der schwierigen Strophe der Ottaverime und sandte das Gedicht unter dem Titel Elisen (Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt, 1888) in die Welt. Der ständige Gast unter dem Weihnachtsbaum aller höhern Töchter durfte es in unsrer, dem Verse so abholden Zeit schon wagen, ein gereimtes Epos drucken zu lassen. Seines be¬ stimmten Kreises von Abnehmern war er sicher. Weniger sicher scheint er des Urteils der litterarischen Welt gewesen zu sein, denn er rief den Schatten des eben dahingegangenen Meisters der Kritik, den Schatten Friedrich Theodor Wischers zu Hilfe, um die besten Vorurteile für sein Werk zu erregen. In einem Vorwort — daß doch alle schlechten Dichtungen Vorworte brauchen! —, welches scheinbar den Manen des Toten gewidmet, im Grunde aber eine ge¬ wandte ora-tlo xi-0 äouro ist, beruft sich Ebers auf die freundschaftliche Teil-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/314>, abgerufen am 01.05.2024.