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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

haglichkeit des Arztes das Wort geredet würde, möge man bedenken, daß auch
die gute Stimmung des Arztes am letzten Ende dem Kranken zu Gute kommt.




Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Merken.
vonWeinrich Düntzer.

Mor sechzig Jahren sahen Goethes Verehrer erwartungsvoll dem
Erscheinen der ersten Lieferung seiner "Ausgabe letzter Hand" ent¬
gegen, die nach der Ankündigung nicht nur "manches bisher zer¬
streut und außer Zusammenhang Gedruckte in ästhetischem, rheto¬
rischen, grammatischem Sinne annehmlicher gemacht," sondern auch
Ungedrucktes bringen sollte, nämlich alles, was vorerst der Mitteilung wert ge¬
schienen habe, wobei seine Freunde "für übereinstimmende Rechtschreibung, Inter¬
punktion und was sonst zu augenblicklicher Verdeutlichung nötig wäre," möglichst
sorgen würden. Leider sollte trotz des besten Willens des Dichters und der An¬
strengung Riemers, Eckermanns und Göttlings dieses Ziel nicht erreicht werden;
dazu wäre eine ununterbrochene Thätigkeit der Redaktoren statt einer zeitweiligen,
auf eine Reihe von Jahren verteilten, die strengste Überwachung des Satzes
und Druckes und besonnene Erwägung der vorgeschlagenen Änderungen nötig
gewesen, während die Redaktion nur eine Nebenbeschäftigung mehrerer war und
manche augenblickliche Vorschläge vom Dichter oft vorschnell genehmigt wurden,
was er später zuweilen bereute; hatte er sich doch sogar einmal an der Stelle des
einzig berechtigten Horaz den Properz und besonders in den ersten Bänden häufig
die starke Form des Genetivs des Beiwortes, wie köstliches Sinnes, edles
Steines, gegen seinen eignen Gebrauch von Göttling aufdrängen lassen. Auch
mußte er es erleben, daß der Verleger seine wohlbedachte Anordnung, deren
Begründung die Ankündigung angedeutet hatte, aus Rücksicht auf möglichst
gleichen Umfang der Bände durchbrach. Seinen Ärger über diese Willkür,
durch welche die epischen Gedichte samt "Pandora," statt auf die Theaterstücke
zu folgen, an das äußerste Ende hinter alle prosaischen Schriften traten,
sprach er gegen Boisseree aufs schärfste aus. Der Text selbst ist teils durch
Nachlässigkeit der Redaktoren, teils durch Schuld der Druckerei von der ver¬
sprochenen Reinheit und Gleichmäßigkeit gar weit entfernt. Noch vor dem Tode
des Dichters gab Götzinger, damals Professor der deutschen Literatur in Schaff¬
hausen, seinem Unwillen über diese Ausgabe letzter Hand den bittersten Ausdruck.
Die Satzzeichnung, bemerkte er, sei "fast furchtbar" zu nennen, überhaupt herrsche
in der Korrektur dieser mit so großem Pomp als vollendet angekündigten Aus-


Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Werken.

haglichkeit des Arztes das Wort geredet würde, möge man bedenken, daß auch
die gute Stimmung des Arztes am letzten Ende dem Kranken zu Gute kommt.




Die Weimarer Gesamtausgabe von Goethes Merken.
vonWeinrich Düntzer.

Mor sechzig Jahren sahen Goethes Verehrer erwartungsvoll dem
Erscheinen der ersten Lieferung seiner „Ausgabe letzter Hand" ent¬
gegen, die nach der Ankündigung nicht nur „manches bisher zer¬
streut und außer Zusammenhang Gedruckte in ästhetischem, rheto¬
rischen, grammatischem Sinne annehmlicher gemacht," sondern auch
Ungedrucktes bringen sollte, nämlich alles, was vorerst der Mitteilung wert ge¬
schienen habe, wobei seine Freunde „für übereinstimmende Rechtschreibung, Inter¬
punktion und was sonst zu augenblicklicher Verdeutlichung nötig wäre," möglichst
sorgen würden. Leider sollte trotz des besten Willens des Dichters und der An¬
strengung Riemers, Eckermanns und Göttlings dieses Ziel nicht erreicht werden;
dazu wäre eine ununterbrochene Thätigkeit der Redaktoren statt einer zeitweiligen,
auf eine Reihe von Jahren verteilten, die strengste Überwachung des Satzes
und Druckes und besonnene Erwägung der vorgeschlagenen Änderungen nötig
gewesen, während die Redaktion nur eine Nebenbeschäftigung mehrerer war und
manche augenblickliche Vorschläge vom Dichter oft vorschnell genehmigt wurden,
was er später zuweilen bereute; hatte er sich doch sogar einmal an der Stelle des
einzig berechtigten Horaz den Properz und besonders in den ersten Bänden häufig
die starke Form des Genetivs des Beiwortes, wie köstliches Sinnes, edles
Steines, gegen seinen eignen Gebrauch von Göttling aufdrängen lassen. Auch
mußte er es erleben, daß der Verleger seine wohlbedachte Anordnung, deren
Begründung die Ankündigung angedeutet hatte, aus Rücksicht auf möglichst
gleichen Umfang der Bände durchbrach. Seinen Ärger über diese Willkür,
durch welche die epischen Gedichte samt „Pandora," statt auf die Theaterstücke
zu folgen, an das äußerste Ende hinter alle prosaischen Schriften traten,
sprach er gegen Boisseree aufs schärfste aus. Der Text selbst ist teils durch
Nachlässigkeit der Redaktoren, teils durch Schuld der Druckerei von der ver¬
sprochenen Reinheit und Gleichmäßigkeit gar weit entfernt. Noch vor dem Tode
des Dichters gab Götzinger, damals Professor der deutschen Literatur in Schaff¬
hausen, seinem Unwillen über diese Ausgabe letzter Hand den bittersten Ausdruck.
Die Satzzeichnung, bemerkte er, sei „fast furchtbar" zu nennen, überhaupt herrsche
in der Korrektur dieser mit so großem Pomp als vollendet angekündigten Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/37>, abgerufen am 01.05.2024.