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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Krankheit des Jahrhunderts.

bei uns uuter dem Kaffeetische, und die Lampe unter der Kanne wird niemals
anders als mit einem Blatte derselben angezündet." Ferner: "Keine unter uns
darf auf ihren Nährahmen ein Gedicht stecken, welches gut deutsch geschrieben
ist. Wo hingegen viel lateinische und französische Wörter eingemischt sind, da
ist es erlaubt." Oder: "Keine unter uns ist befugt, einer Mannsperson freundlich
zu begegnen, die in ihren Höflichkeiten ein Sprachengemenge macht."

In einem spätern Stücke der "Tadlerinnen" wird berichtet, daß sich auch
eine Lcxziöt.6 ass Kg.1g,rak8 Kommes gebildet habe, deren Satzungen in allen
Stücken das Widerspiel zu denen der Gesellschaft der deutschen Musen darstellen.
Wer in diese Gemeinschaft aufgenommen sein will, muß darum mit einem
Briefe ansuchen, in welchem mindestens der dritte Teil der Wörter aus einer
fremden Sprache ist. Der letzte Abschnitt der in einem fürchterlichen Sprach-
gemengsel abgefaßten Satzungen lautet: "Wer mit einer Lsautös okarimret, so
die töuillWtös Volants der Tadlerinnen asstiiniret, der wird cum intauM aus
unsrer LocMv rslöAiret."

Das Gesagte wird hinreichen zu dem Beweise, daß Gottsched verdient, als
Freund und Förderer deutscher Sprache und deutschen Wesens in gutem An¬
denken zu stehen. Wir schließen mit einem Wunsche Gottscheds, der im ersten
Stücke des zweiten Jahrganges seiner "Vernünftigen Tadlerinnen" den Lesern
seine Neujahrswünsche darbringt und unter andern guten Dingen auch wünscht:
"Allen Deutschverderbern eine Hochachtung gegen ihre Muttersprache!"




Die Krankheit des Jahrhunderts.

le "Krankheit des Jahrhunderts" hätte schon lange einen Helfer
brauchen können, der vor allem die zahlreichen Ärzte aufs Korn
nähme und die Doktoren vom Schlage der Diafoirus, Purgon,
Fleurant von dem Bett des aufs äußerste gepeinigten Kranken hin-
wcgtriebe. Statt dessen finden sich in Vers und Prosa, in dünnen
und dicken Bänden, immer neue Doktoren, welche dem kranken Jahrhundert
wichtig an den Puls fühlen und ihm ein Universalheilmittel verschreiben. Diese
Quacksalber sind vor allem daran zu erkennen, daß sie der einzelne Mensch
angeblich nichts, die ganze Menschheit dafür umso mehr kümmert, daß sie
dennoch aus einem einzelnen gut oder schlecht beobachteten Falle die erstaun¬
lichsten Folgen ziehen, daß sie sich allein die Kraft der Erkenntnis und durch¬
greifender Hilfe zusprechen und gegen jeden Schwindel -- ihren eignen natürlich
ausgenommen -- gewaltig zu Felde ziehen. Sie führen ihre Klystierspritzen im


Die Krankheit des Jahrhunderts.

bei uns uuter dem Kaffeetische, und die Lampe unter der Kanne wird niemals
anders als mit einem Blatte derselben angezündet." Ferner: „Keine unter uns
darf auf ihren Nährahmen ein Gedicht stecken, welches gut deutsch geschrieben
ist. Wo hingegen viel lateinische und französische Wörter eingemischt sind, da
ist es erlaubt." Oder: „Keine unter uns ist befugt, einer Mannsperson freundlich
zu begegnen, die in ihren Höflichkeiten ein Sprachengemenge macht."

In einem spätern Stücke der „Tadlerinnen" wird berichtet, daß sich auch
eine Lcxziöt.6 ass Kg.1g,rak8 Kommes gebildet habe, deren Satzungen in allen
Stücken das Widerspiel zu denen der Gesellschaft der deutschen Musen darstellen.
Wer in diese Gemeinschaft aufgenommen sein will, muß darum mit einem
Briefe ansuchen, in welchem mindestens der dritte Teil der Wörter aus einer
fremden Sprache ist. Der letzte Abschnitt der in einem fürchterlichen Sprach-
gemengsel abgefaßten Satzungen lautet: „Wer mit einer Lsautös okarimret, so
die töuillWtös Volants der Tadlerinnen asstiiniret, der wird cum intauM aus
unsrer LocMv rslöAiret."

Das Gesagte wird hinreichen zu dem Beweise, daß Gottsched verdient, als
Freund und Förderer deutscher Sprache und deutschen Wesens in gutem An¬
denken zu stehen. Wir schließen mit einem Wunsche Gottscheds, der im ersten
Stücke des zweiten Jahrganges seiner „Vernünftigen Tadlerinnen" den Lesern
seine Neujahrswünsche darbringt und unter andern guten Dingen auch wünscht:
„Allen Deutschverderbern eine Hochachtung gegen ihre Muttersprache!"




Die Krankheit des Jahrhunderts.

le „Krankheit des Jahrhunderts" hätte schon lange einen Helfer
brauchen können, der vor allem die zahlreichen Ärzte aufs Korn
nähme und die Doktoren vom Schlage der Diafoirus, Purgon,
Fleurant von dem Bett des aufs äußerste gepeinigten Kranken hin-
wcgtriebe. Statt dessen finden sich in Vers und Prosa, in dünnen
und dicken Bänden, immer neue Doktoren, welche dem kranken Jahrhundert
wichtig an den Puls fühlen und ihm ein Universalheilmittel verschreiben. Diese
Quacksalber sind vor allem daran zu erkennen, daß sie der einzelne Mensch
angeblich nichts, die ganze Menschheit dafür umso mehr kümmert, daß sie
dennoch aus einem einzelnen gut oder schlecht beobachteten Falle die erstaun¬
lichsten Folgen ziehen, daß sie sich allein die Kraft der Erkenntnis und durch¬
greifender Hilfe zusprechen und gegen jeden Schwindel — ihren eignen natürlich
ausgenommen — gewaltig zu Felde ziehen. Sie führen ihre Klystierspritzen im


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/415>, abgerufen am 01.05.2024.