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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Gottsched und die deutsche Sprache.

Neujahrswünsche, bemerkt aber, daß zu seiner Zeit das Glückwünschen nicht mehr
ausreiche, man müsse jetzt "komplimentieren." Er erzählt: "Es kam am Neu-
jahrstage ein gewisser Mensch zu einem meiner Anverwandten, eben als ich ihm,
so zu reden, nur mit dreien, aber wohlgemeinten Worten Glück gewünschet hatte.
"Eure Excellence werden pardonniren, hieß es, daß ich als dero Client mir die
Permission ausgebeten, zu dem mit aller Prosperitö angetretenen neuen Jahre
mit gehorsamsten Respekte und tiefster Submission zu gratuliren und smesrö-
irisnt zu wünschen, daß der Höchste Eure Excellenee in allem eolltöntsiQlZnt
dieses und viele andre Jahre konserviren wolle, damit ich ehestens ooeÄsion habe,
meine tömoiAiu^s zu bezeigen." Hätte der gute Mensch noch mehr französische
Wörter gewußt, ich zweifle nicht, er würde sie eben so artig in seinen Glück¬
wunsch zu flechten gewußt haben, als diese unvergleichliche töinoigng.A"z. Er
versteht sonst die französische Sprache nicht besser, als ich die hottentottische;
und dieses wäre ihm endlich keine Schande, wenn er nur seine Muttersprache
verstünde. Wie soll er sie aber verstehen, wenn er sie nicht lernen will? Er
hält es für eine Artigkeit, oder daß ich mich seiner beliebten Mundart bediene,
für eine Politesse, wenn man auch die galante Mode mitmachet. Man muß sich
von der Canaille auch on xsrlönt distinguiren; dergleichen tours im Reden
sind schon im Deutschen rezipirct, ja fast naturalisiret und nationalisiret.
Sollte man doch fast ans die Gedanken kommen, daß solche Leute nicht von
deutschem Gebliite entsprossen wären, sondern zum wenigsten einen französischen
Vater gehabt hätten."

Sehr lehrreich ist im 21. Stücke der Bericht, wie Gottsched einem jungen
Manne eine von Fremdwörtern strotzende Einladung in reines Deutsch übertrug
und den jungen Mann, der das nicht für möglich gehalten hatte, zu dem Ent¬
schlüsse brachte, künftig sich eines reineren Deutsch zu befleißigen. Es erscheint
sehr natürlich, daß gerade solche Beweise durch die That die Leser der Wochen¬
schrift überzeugen mußten, man könne auch ohne die Modewörter gefällig und
höflich schreiben und sprechen. Ganz ergötzlich ist das dabei sich abspinnende
Gespräch zwischen Gottsched und dem jungen Manne, den er Herr Mischmasch
nennt und dem in jedem Satze eine Menge von Fremdwörtern mit unterlaufen,
welche Gottsched allemal zurückweist. Einmal sagt er: "Die Wörter auf "iren"
scheinen Ihnen sehr anzukleben; und wenn Sie sich dieser nur enthalten könnten,
so hätten Sie schon sehr viel gewonnen" -- ein Rat, der auch heute noch be¬
herzigt zu werden verdient.

Erheiternd ist auch, was Gottsched berichtet, die Frauen, von denen an¬
geblich die Wochenschrift geschrieben wurde, hätten eine "Gesellschaft der deutschen
Musen" gegründet, in welche nur aufgenommen werden sollte, wer "durch einen
reinen deutschen Brief, der an die Gesellschaft gerichtet ist, um eine solche Stelle
Ansuchung thut." In den Satzungen dieser Gesellschaft finden sich u. a. folgende
Bestimmungen: "Des Melisso, Celanders und Behmeno Schriften liegen allezeit


Gottsched und die deutsche Sprache.

Neujahrswünsche, bemerkt aber, daß zu seiner Zeit das Glückwünschen nicht mehr
ausreiche, man müsse jetzt „komplimentieren." Er erzählt: „Es kam am Neu-
jahrstage ein gewisser Mensch zu einem meiner Anverwandten, eben als ich ihm,
so zu reden, nur mit dreien, aber wohlgemeinten Worten Glück gewünschet hatte.
„Eure Excellence werden pardonniren, hieß es, daß ich als dero Client mir die
Permission ausgebeten, zu dem mit aller Prosperitö angetretenen neuen Jahre
mit gehorsamsten Respekte und tiefster Submission zu gratuliren und smesrö-
irisnt zu wünschen, daß der Höchste Eure Excellenee in allem eolltöntsiQlZnt
dieses und viele andre Jahre konserviren wolle, damit ich ehestens ooeÄsion habe,
meine tömoiAiu^s zu bezeigen." Hätte der gute Mensch noch mehr französische
Wörter gewußt, ich zweifle nicht, er würde sie eben so artig in seinen Glück¬
wunsch zu flechten gewußt haben, als diese unvergleichliche töinoigng.A«z. Er
versteht sonst die französische Sprache nicht besser, als ich die hottentottische;
und dieses wäre ihm endlich keine Schande, wenn er nur seine Muttersprache
verstünde. Wie soll er sie aber verstehen, wenn er sie nicht lernen will? Er
hält es für eine Artigkeit, oder daß ich mich seiner beliebten Mundart bediene,
für eine Politesse, wenn man auch die galante Mode mitmachet. Man muß sich
von der Canaille auch on xsrlönt distinguiren; dergleichen tours im Reden
sind schon im Deutschen rezipirct, ja fast naturalisiret und nationalisiret.
Sollte man doch fast ans die Gedanken kommen, daß solche Leute nicht von
deutschem Gebliite entsprossen wären, sondern zum wenigsten einen französischen
Vater gehabt hätten."

Sehr lehrreich ist im 21. Stücke der Bericht, wie Gottsched einem jungen
Manne eine von Fremdwörtern strotzende Einladung in reines Deutsch übertrug
und den jungen Mann, der das nicht für möglich gehalten hatte, zu dem Ent¬
schlüsse brachte, künftig sich eines reineren Deutsch zu befleißigen. Es erscheint
sehr natürlich, daß gerade solche Beweise durch die That die Leser der Wochen¬
schrift überzeugen mußten, man könne auch ohne die Modewörter gefällig und
höflich schreiben und sprechen. Ganz ergötzlich ist das dabei sich abspinnende
Gespräch zwischen Gottsched und dem jungen Manne, den er Herr Mischmasch
nennt und dem in jedem Satze eine Menge von Fremdwörtern mit unterlaufen,
welche Gottsched allemal zurückweist. Einmal sagt er: „Die Wörter auf »iren«
scheinen Ihnen sehr anzukleben; und wenn Sie sich dieser nur enthalten könnten,
so hätten Sie schon sehr viel gewonnen" — ein Rat, der auch heute noch be¬
herzigt zu werden verdient.

Erheiternd ist auch, was Gottsched berichtet, die Frauen, von denen an¬
geblich die Wochenschrift geschrieben wurde, hätten eine „Gesellschaft der deutschen
Musen" gegründet, in welche nur aufgenommen werden sollte, wer „durch einen
reinen deutschen Brief, der an die Gesellschaft gerichtet ist, um eine solche Stelle
Ansuchung thut." In den Satzungen dieser Gesellschaft finden sich u. a. folgende
Bestimmungen: „Des Melisso, Celanders und Behmeno Schriften liegen allezeit


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[0414] Gottsched und die deutsche Sprache. Neujahrswünsche, bemerkt aber, daß zu seiner Zeit das Glückwünschen nicht mehr ausreiche, man müsse jetzt „komplimentieren." Er erzählt: „Es kam am Neu- jahrstage ein gewisser Mensch zu einem meiner Anverwandten, eben als ich ihm, so zu reden, nur mit dreien, aber wohlgemeinten Worten Glück gewünschet hatte. „Eure Excellence werden pardonniren, hieß es, daß ich als dero Client mir die Permission ausgebeten, zu dem mit aller Prosperitö angetretenen neuen Jahre mit gehorsamsten Respekte und tiefster Submission zu gratuliren und smesrö- irisnt zu wünschen, daß der Höchste Eure Excellenee in allem eolltöntsiQlZnt dieses und viele andre Jahre konserviren wolle, damit ich ehestens ooeÄsion habe, meine tömoiAiu^s zu bezeigen." Hätte der gute Mensch noch mehr französische Wörter gewußt, ich zweifle nicht, er würde sie eben so artig in seinen Glück¬ wunsch zu flechten gewußt haben, als diese unvergleichliche töinoigng.A«z. Er versteht sonst die französische Sprache nicht besser, als ich die hottentottische; und dieses wäre ihm endlich keine Schande, wenn er nur seine Muttersprache verstünde. Wie soll er sie aber verstehen, wenn er sie nicht lernen will? Er hält es für eine Artigkeit, oder daß ich mich seiner beliebten Mundart bediene, für eine Politesse, wenn man auch die galante Mode mitmachet. Man muß sich von der Canaille auch on xsrlönt distinguiren; dergleichen tours im Reden sind schon im Deutschen rezipirct, ja fast naturalisiret und nationalisiret. Sollte man doch fast ans die Gedanken kommen, daß solche Leute nicht von deutschem Gebliite entsprossen wären, sondern zum wenigsten einen französischen Vater gehabt hätten." Sehr lehrreich ist im 21. Stücke der Bericht, wie Gottsched einem jungen Manne eine von Fremdwörtern strotzende Einladung in reines Deutsch übertrug und den jungen Mann, der das nicht für möglich gehalten hatte, zu dem Ent¬ schlüsse brachte, künftig sich eines reineren Deutsch zu befleißigen. Es erscheint sehr natürlich, daß gerade solche Beweise durch die That die Leser der Wochen¬ schrift überzeugen mußten, man könne auch ohne die Modewörter gefällig und höflich schreiben und sprechen. Ganz ergötzlich ist das dabei sich abspinnende Gespräch zwischen Gottsched und dem jungen Manne, den er Herr Mischmasch nennt und dem in jedem Satze eine Menge von Fremdwörtern mit unterlaufen, welche Gottsched allemal zurückweist. Einmal sagt er: „Die Wörter auf »iren« scheinen Ihnen sehr anzukleben; und wenn Sie sich dieser nur enthalten könnten, so hätten Sie schon sehr viel gewonnen" — ein Rat, der auch heute noch be¬ herzigt zu werden verdient. Erheiternd ist auch, was Gottsched berichtet, die Frauen, von denen an¬ geblich die Wochenschrift geschrieben wurde, hätten eine „Gesellschaft der deutschen Musen" gegründet, in welche nur aufgenommen werden sollte, wer „durch einen reinen deutschen Brief, der an die Gesellschaft gerichtet ist, um eine solche Stelle Ansuchung thut." In den Satzungen dieser Gesellschaft finden sich u. a. folgende Bestimmungen: „Des Melisso, Celanders und Behmeno Schriften liegen allezeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/414>, abgerufen am 22.05.2024.