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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

des Fluches zurückhalten, die sich auf meine Lippen drängen, so lauge ich dich
vor mir sehe. Geh fort, Mann, daß meine Augen wieder weinen können und
mein Herz meines Sohnes gedenken kann!

Ich werde morgen wiederkommen, wenn mein Anblick Euch nicht mehr
aufregt. Aber Frau! Ist es wahr, betrügt Ihr mich uicht, um ihn von mir
entfernt zu halten?

Vielleicht beschwören die Mütter der Gojim den Tod ihrer Kinder durch
solche Lügen herauf, sagte Rebekka mit zorniger Verachtung. Der Tod meines
Sohnes hat mein Herz zerriffen, wir haben sein Leichenbegängnis uicht halten
können -- glaubst du, daß ich solchen Jammer lügen würde? Dann verdiente
ich, daß Gott mich damit strafte!

Welches schwarze Buch meintet Ihr? fragte Alexei, der vergeblich nach einer
Klärung des Geheimnisses suchte.

Das Buch der Christen, du weißt es wohl. Du hast es ihm gegeben, es
gehörte dir.

Was war mit dem Buche?

Alexei entsann sich plötzlich, daß er David das Neue Testament aus dem
Nachlasse der alten Haushälterin gegeben hatte, um darnach Rüben Unterricht
zu erteilen.

Ein Zauber war darin! Es hat ihn gelehrt, seinen Glauben, den Glauben
seiner Väter zu verachten.

Er wurde Christ? fragte Alexei atemlos.

Er starb, versetzte Rebekka dumpf, und sich abwendend verschwand sie hinter
den Bäumen.

Alexei sah ihr nach. Er bedürfte keiner weitern Erklärung, und alle die
unheimlichen Erzählungen, die er einst gehört hatte, fielen ihm ein. Er wußte,
wie die jüdische Gemeinde Abtrünnige bestrafte -- manche Erzählung endete
mit dem Sumpfe. Er gedachte jenes Abends, an dem er hier zuerst geritten
und bei dem Erblicken des Sumpfes ahnungsvoll zusammengeschauert war.

Armer David! Warum mußte ich so lange fern sein? murmelte er, und
indem er sein Pferd wieder bestieg, ritt er langsam und tief traurig fort.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Was bei Berührungen zwischen Franzosen und Russen bisher
herausgekommen ist. Wenn es den Franzosen überhaupt möglich wäre, ge¬
schichtliche Thatsachen unbefangen zu würdigen, so müßten sie längst wissen, daß


Kleinere Mitteilungen.

des Fluches zurückhalten, die sich auf meine Lippen drängen, so lauge ich dich
vor mir sehe. Geh fort, Mann, daß meine Augen wieder weinen können und
mein Herz meines Sohnes gedenken kann!

Ich werde morgen wiederkommen, wenn mein Anblick Euch nicht mehr
aufregt. Aber Frau! Ist es wahr, betrügt Ihr mich uicht, um ihn von mir
entfernt zu halten?

Vielleicht beschwören die Mütter der Gojim den Tod ihrer Kinder durch
solche Lügen herauf, sagte Rebekka mit zorniger Verachtung. Der Tod meines
Sohnes hat mein Herz zerriffen, wir haben sein Leichenbegängnis uicht halten
können — glaubst du, daß ich solchen Jammer lügen würde? Dann verdiente
ich, daß Gott mich damit strafte!

Welches schwarze Buch meintet Ihr? fragte Alexei, der vergeblich nach einer
Klärung des Geheimnisses suchte.

Das Buch der Christen, du weißt es wohl. Du hast es ihm gegeben, es
gehörte dir.

Was war mit dem Buche?

Alexei entsann sich plötzlich, daß er David das Neue Testament aus dem
Nachlasse der alten Haushälterin gegeben hatte, um darnach Rüben Unterricht
zu erteilen.

Ein Zauber war darin! Es hat ihn gelehrt, seinen Glauben, den Glauben
seiner Väter zu verachten.

Er wurde Christ? fragte Alexei atemlos.

Er starb, versetzte Rebekka dumpf, und sich abwendend verschwand sie hinter
den Bäumen.

Alexei sah ihr nach. Er bedürfte keiner weitern Erklärung, und alle die
unheimlichen Erzählungen, die er einst gehört hatte, fielen ihm ein. Er wußte,
wie die jüdische Gemeinde Abtrünnige bestrafte — manche Erzählung endete
mit dem Sumpfe. Er gedachte jenes Abends, an dem er hier zuerst geritten
und bei dem Erblicken des Sumpfes ahnungsvoll zusammengeschauert war.

Armer David! Warum mußte ich so lange fern sein? murmelte er, und
indem er sein Pferd wieder bestieg, ritt er langsam und tief traurig fort.

(Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.

Was bei Berührungen zwischen Franzosen und Russen bisher
herausgekommen ist. Wenn es den Franzosen überhaupt möglich wäre, ge¬
schichtliche Thatsachen unbefangen zu würdigen, so müßten sie längst wissen, daß


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[0428] Kleinere Mitteilungen. des Fluches zurückhalten, die sich auf meine Lippen drängen, so lauge ich dich vor mir sehe. Geh fort, Mann, daß meine Augen wieder weinen können und mein Herz meines Sohnes gedenken kann! Ich werde morgen wiederkommen, wenn mein Anblick Euch nicht mehr aufregt. Aber Frau! Ist es wahr, betrügt Ihr mich uicht, um ihn von mir entfernt zu halten? Vielleicht beschwören die Mütter der Gojim den Tod ihrer Kinder durch solche Lügen herauf, sagte Rebekka mit zorniger Verachtung. Der Tod meines Sohnes hat mein Herz zerriffen, wir haben sein Leichenbegängnis uicht halten können — glaubst du, daß ich solchen Jammer lügen würde? Dann verdiente ich, daß Gott mich damit strafte! Welches schwarze Buch meintet Ihr? fragte Alexei, der vergeblich nach einer Klärung des Geheimnisses suchte. Das Buch der Christen, du weißt es wohl. Du hast es ihm gegeben, es gehörte dir. Was war mit dem Buche? Alexei entsann sich plötzlich, daß er David das Neue Testament aus dem Nachlasse der alten Haushälterin gegeben hatte, um darnach Rüben Unterricht zu erteilen. Ein Zauber war darin! Es hat ihn gelehrt, seinen Glauben, den Glauben seiner Väter zu verachten. Er wurde Christ? fragte Alexei atemlos. Er starb, versetzte Rebekka dumpf, und sich abwendend verschwand sie hinter den Bäumen. Alexei sah ihr nach. Er bedürfte keiner weitern Erklärung, und alle die unheimlichen Erzählungen, die er einst gehört hatte, fielen ihm ein. Er wußte, wie die jüdische Gemeinde Abtrünnige bestrafte — manche Erzählung endete mit dem Sumpfe. Er gedachte jenes Abends, an dem er hier zuerst geritten und bei dem Erblicken des Sumpfes ahnungsvoll zusammengeschauert war. Armer David! Warum mußte ich so lange fern sein? murmelte er, und indem er sein Pferd wieder bestieg, ritt er langsam und tief traurig fort. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Was bei Berührungen zwischen Franzosen und Russen bisher herausgekommen ist. Wenn es den Franzosen überhaupt möglich wäre, ge¬ schichtliche Thatsachen unbefangen zu würdigen, so müßten sie längst wissen, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/428>, abgerufen am 01.05.2024.