Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


wir machen unsre Leser aus die Anzeigen des Umschlags "Neues vom Büchermarkt aufmerksam.

Die Vamberger.

o gründliche Abfertigungen auch die letzten "großen" Reden des
Abgeordneten für Bingen-Alzey sofort erfahren haben, so ver¬
dienen sie doch, nicht gleich in Vergessenheit zu geraten. Denn
in ihnen zeigte sich Herr Bcnnberger als der eigentliche, der klas¬
sische Vertreter jener Gattung verknöcherter politischer Orthodoxie,
welche sich in Deutschland Freisinn nennt. Er ist dies, trotz seinem Partei¬
hauptmann. Herr Richter ist ja auf die äußerste Linke ebenso zufällig geraten,
wie etwa Herr Cassagnac, mit dem er bekanntlich so manche Ähnlichkeit hat,
auf die Rechte: der eine wie der andre würde auf jedem andern Platze seine
Talente mit ebenso viel Eifer und -- Grazie zu verwerten suchen.

Aus dem Liberalismus, welcher vornehmlich von der Julirevolution bis
zur Februarrevolution bei uns angebaut wurde, sind ja verschiedne Schößlinge
erwachsen. Dem einen könnte man den vielgepriesenen Ausspruch Lessings (den
viele, wenn auch nur in ganz vertrautem Kreise, hoch über Goethe und Schiller
stellen, hauptsächlich wegen des Nathan), daß ihm das Forschen nach Wahrheit
Ueber sei, als die Wahrheit selbst, mit passender Abänderung als Etikette an¬
heften. Das Element der Herren ist -- höflich ausgedrückt -- der Kampf um
des Kampfes willen, und die Stelle an ihrer Spitze kann Herrn Richter nie¬
mand streitig machen. Eine andre Gruppe erinnert noch an die "Standpunkt-
überwinder" von damals. Herr Bamberger aber ficht für seineu Glauben. Für
ihn und seinesgleichen ist der Messias in der Person Cobdcns erschienen, die
wahre Lehre ist verkündet, sie muß und wird über die ganze Welt herrschen,
wenn nicht heute, doch morgen -- so gut wie das auserwählte Volk.

Ju den Verhandlungen über die Erneuerung des Sozialistengesetzes sprach
er wieder einmal von den "Irrlehren" derjenigen, welche noch taub sind gegen


Grnizbotm I. 1888. S4


wir machen unsre Leser aus die Anzeigen des Umschlags „Neues vom Büchermarkt aufmerksam.

Die Vamberger.

o gründliche Abfertigungen auch die letzten „großen" Reden des
Abgeordneten für Bingen-Alzey sofort erfahren haben, so ver¬
dienen sie doch, nicht gleich in Vergessenheit zu geraten. Denn
in ihnen zeigte sich Herr Bcnnberger als der eigentliche, der klas¬
sische Vertreter jener Gattung verknöcherter politischer Orthodoxie,
welche sich in Deutschland Freisinn nennt. Er ist dies, trotz seinem Partei¬
hauptmann. Herr Richter ist ja auf die äußerste Linke ebenso zufällig geraten,
wie etwa Herr Cassagnac, mit dem er bekanntlich so manche Ähnlichkeit hat,
auf die Rechte: der eine wie der andre würde auf jedem andern Platze seine
Talente mit ebenso viel Eifer und — Grazie zu verwerten suchen.

Aus dem Liberalismus, welcher vornehmlich von der Julirevolution bis
zur Februarrevolution bei uns angebaut wurde, sind ja verschiedne Schößlinge
erwachsen. Dem einen könnte man den vielgepriesenen Ausspruch Lessings (den
viele, wenn auch nur in ganz vertrautem Kreise, hoch über Goethe und Schiller
stellen, hauptsächlich wegen des Nathan), daß ihm das Forschen nach Wahrheit
Ueber sei, als die Wahrheit selbst, mit passender Abänderung als Etikette an¬
heften. Das Element der Herren ist — höflich ausgedrückt — der Kampf um
des Kampfes willen, und die Stelle an ihrer Spitze kann Herrn Richter nie¬
mand streitig machen. Eine andre Gruppe erinnert noch an die „Standpunkt-
überwinder" von damals. Herr Bamberger aber ficht für seineu Glauben. Für
ihn und seinesgleichen ist der Messias in der Person Cobdcns erschienen, die
wahre Lehre ist verkündet, sie muß und wird über die ganze Welt herrschen,
wenn nicht heute, doch morgen — so gut wie das auserwählte Volk.

Ju den Verhandlungen über die Erneuerung des Sozialistengesetzes sprach
er wieder einmal von den „Irrlehren" derjenigen, welche noch taub sind gegen


Grnizbotm I. 1888. S4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0433" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/202532"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341847_202098/figures/grenzboten_341847_202098_202532_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div>
          <floatingText>
            <body>
              <div type="advertisement">
                <p> wir machen unsre Leser aus die Anzeigen des Umschlags &#x201E;Neues vom Büchermarkt aufmerksam.</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Vamberger.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1623"> o gründliche Abfertigungen auch die letzten &#x201E;großen" Reden des<lb/>
Abgeordneten für Bingen-Alzey sofort erfahren haben, so ver¬<lb/>
dienen sie doch, nicht gleich in Vergessenheit zu geraten. Denn<lb/>
in ihnen zeigte sich Herr Bcnnberger als der eigentliche, der klas¬<lb/>
sische Vertreter jener Gattung verknöcherter politischer Orthodoxie,<lb/>
welche sich in Deutschland Freisinn nennt. Er ist dies, trotz seinem Partei¬<lb/>
hauptmann. Herr Richter ist ja auf die äußerste Linke ebenso zufällig geraten,<lb/>
wie etwa Herr Cassagnac, mit dem er bekanntlich so manche Ähnlichkeit hat,<lb/>
auf die Rechte: der eine wie der andre würde auf jedem andern Platze seine<lb/>
Talente mit ebenso viel Eifer und &#x2014; Grazie zu verwerten suchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1624"> Aus dem Liberalismus, welcher vornehmlich von der Julirevolution bis<lb/>
zur Februarrevolution bei uns angebaut wurde, sind ja verschiedne Schößlinge<lb/>
erwachsen. Dem einen könnte man den vielgepriesenen Ausspruch Lessings (den<lb/>
viele, wenn auch nur in ganz vertrautem Kreise, hoch über Goethe und Schiller<lb/>
stellen, hauptsächlich wegen des Nathan), daß ihm das Forschen nach Wahrheit<lb/>
Ueber sei, als die Wahrheit selbst, mit passender Abänderung als Etikette an¬<lb/>
heften. Das Element der Herren ist &#x2014; höflich ausgedrückt &#x2014; der Kampf um<lb/>
des Kampfes willen, und die Stelle an ihrer Spitze kann Herrn Richter nie¬<lb/>
mand streitig machen. Eine andre Gruppe erinnert noch an die &#x201E;Standpunkt-<lb/>
überwinder" von damals. Herr Bamberger aber ficht für seineu Glauben. Für<lb/>
ihn und seinesgleichen ist der Messias in der Person Cobdcns erschienen, die<lb/>
wahre Lehre ist verkündet, sie muß und wird über die ganze Welt herrschen,<lb/>
wenn nicht heute, doch morgen &#x2014; so gut wie das auserwählte Volk.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1625" next="#ID_1626"> Ju den Verhandlungen über die Erneuerung des Sozialistengesetzes sprach<lb/>
er wieder einmal von den &#x201E;Irrlehren" derjenigen, welche noch taub sind gegen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grnizbotm I. 1888. S4</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0433] [Abbildung] wir machen unsre Leser aus die Anzeigen des Umschlags „Neues vom Büchermarkt aufmerksam. Die Vamberger. o gründliche Abfertigungen auch die letzten „großen" Reden des Abgeordneten für Bingen-Alzey sofort erfahren haben, so ver¬ dienen sie doch, nicht gleich in Vergessenheit zu geraten. Denn in ihnen zeigte sich Herr Bcnnberger als der eigentliche, der klas¬ sische Vertreter jener Gattung verknöcherter politischer Orthodoxie, welche sich in Deutschland Freisinn nennt. Er ist dies, trotz seinem Partei¬ hauptmann. Herr Richter ist ja auf die äußerste Linke ebenso zufällig geraten, wie etwa Herr Cassagnac, mit dem er bekanntlich so manche Ähnlichkeit hat, auf die Rechte: der eine wie der andre würde auf jedem andern Platze seine Talente mit ebenso viel Eifer und — Grazie zu verwerten suchen. Aus dem Liberalismus, welcher vornehmlich von der Julirevolution bis zur Februarrevolution bei uns angebaut wurde, sind ja verschiedne Schößlinge erwachsen. Dem einen könnte man den vielgepriesenen Ausspruch Lessings (den viele, wenn auch nur in ganz vertrautem Kreise, hoch über Goethe und Schiller stellen, hauptsächlich wegen des Nathan), daß ihm das Forschen nach Wahrheit Ueber sei, als die Wahrheit selbst, mit passender Abänderung als Etikette an¬ heften. Das Element der Herren ist — höflich ausgedrückt — der Kampf um des Kampfes willen, und die Stelle an ihrer Spitze kann Herrn Richter nie¬ mand streitig machen. Eine andre Gruppe erinnert noch an die „Standpunkt- überwinder" von damals. Herr Bamberger aber ficht für seineu Glauben. Für ihn und seinesgleichen ist der Messias in der Person Cobdcns erschienen, die wahre Lehre ist verkündet, sie muß und wird über die ganze Welt herrschen, wenn nicht heute, doch morgen — so gut wie das auserwählte Volk. Ju den Verhandlungen über die Erneuerung des Sozialistengesetzes sprach er wieder einmal von den „Irrlehren" derjenigen, welche noch taub sind gegen Grnizbotm I. 1888. S4

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/433
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/433>, abgerufen am 01.05.2024.