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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Bamberger.

das Evangelium von Manchester. In dem Falle predigte er nicht den Kreuzzug
gegen die Ungläubigen, sondern war mild, duldsam, sozusagen voll Erbarmen
mit den Unglücklichen. Das hatte freilich seinen guten Grund. Deun zu den
Irrenden gehören ja auch die Sozialdemokraten, nicht zu verachtende Bundes¬
genossen im Kampfe gegen die "Reaktion." Die mußten geschont werden.

Doch der religiöse Fanatismus, den seine Nasse in die Welt gebracht hat,
mußte auch zu seinem Rechte kommen. Die Politik ist, wie gesagt, für diese
Schule nicht Wissenschaft und Kunst, sondern Sache des Glaubens. Und der
Fanatismus entlud sich bei Gelegenheit der Legislaturperioden. Vielleicht ist
dem Redner selbst etwas unbehaglich zu Mute geworden, wenn er gelesen hat,
was er alles in der Wut herausgesprudelt hatte. Er soll ja sonst ein sehr
vorsichtiger Manu sein. Ju Deutschland begegnet man den Rcichstagsmitgliedern
nicht mit gleicher Achtung wie im Auslande, in Deutschland macht man noch
Wesens mit einem Deroulede, über deu man in Frankreich nur lacht: was
würde wohl Herr Bamberger, was würden seine Fraktionsgenossen gesagt haben,
wenn diese Zusammenstellung sich ein "Kartellbruder" erlaubt hätte, fordert sie
nicht förmlich dazu heraus, zu entgegnen: in Frankreich kennt man Deroulede
besser, in Deutschland die Herren Bamberger, Richter, Bebel und Singer? Und
soll denn dasjenige Ausland, welches uns nicht wohl will, nicht seine Freude
haben an deutschen Abgeordneten, die alles, was in ihren Kräften steht, thun,
um die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu ver¬
hindern, Deutschland in den Angen der Welt herabzusetzen?

Aber das ist die alle Schule. Haben nicht die großen Propheten Vorne
und Heine ihren edeln Charakter und ihre schwärmerische Liebe zu Deutschland
vor allem dadurch bewiesen, daß sie auf Deutschland noch mehr schalten, als auf
einander? War es nicht zwei Jahrzehnte lang und länger das Kennzeichen des
wahrhaft liberalen Mannes, daß er von Franzosen und Engländern wie von
Wesen höherer Ordnung sprach, und sich zu ihnen zu erheben meinte, wenn er
der eignen Nation spottete? Doch besteht ein Unterschied. Damals bekümmerte
sich die Welt blutwenig um das, was in Deutschland geredet und geschrieben,
gethan und gelassen wurde, und wenn ein Ausländer ja erfuhr, wie demütig ihm
ein fvrtgeschrittner Deutscher huldigte, so blähte er sich vielleicht ein wenig mehr,
wandte aber dem gesinnungslosen Lobredner geringschätzig den Rücken. Heut¬
zutage lauscht alles um uns her mit von Haß und Eifersucht geschärften Sinnen
auf jedes von bevorzugter Stelle aus gesprochene Wort, heutzutage hinter-
bringen französische Zeitungen in der Hauptstadt und in den Departements die
Urteile deutscher Zeitungen bis zum la^solM Ac Berlin und zum Extrablatt
as Visuuö hinab über irgend eine brennende Frage so getreulich, wie einst die
deutscheu Zeitungen die Äußerungen der Dsbats und des OouLtiwtiormöl; und
wenn sie auch nicht, wie Herr Bamberger zu glauben scheint, von deu deutschen
Abgeordneten im allgemeinen eine höhere Meinung haben, als von ihren eignen,


Die Bamberger.

das Evangelium von Manchester. In dem Falle predigte er nicht den Kreuzzug
gegen die Ungläubigen, sondern war mild, duldsam, sozusagen voll Erbarmen
mit den Unglücklichen. Das hatte freilich seinen guten Grund. Deun zu den
Irrenden gehören ja auch die Sozialdemokraten, nicht zu verachtende Bundes¬
genossen im Kampfe gegen die „Reaktion." Die mußten geschont werden.

Doch der religiöse Fanatismus, den seine Nasse in die Welt gebracht hat,
mußte auch zu seinem Rechte kommen. Die Politik ist, wie gesagt, für diese
Schule nicht Wissenschaft und Kunst, sondern Sache des Glaubens. Und der
Fanatismus entlud sich bei Gelegenheit der Legislaturperioden. Vielleicht ist
dem Redner selbst etwas unbehaglich zu Mute geworden, wenn er gelesen hat,
was er alles in der Wut herausgesprudelt hatte. Er soll ja sonst ein sehr
vorsichtiger Manu sein. Ju Deutschland begegnet man den Rcichstagsmitgliedern
nicht mit gleicher Achtung wie im Auslande, in Deutschland macht man noch
Wesens mit einem Deroulede, über deu man in Frankreich nur lacht: was
würde wohl Herr Bamberger, was würden seine Fraktionsgenossen gesagt haben,
wenn diese Zusammenstellung sich ein „Kartellbruder" erlaubt hätte, fordert sie
nicht förmlich dazu heraus, zu entgegnen: in Frankreich kennt man Deroulede
besser, in Deutschland die Herren Bamberger, Richter, Bebel und Singer? Und
soll denn dasjenige Ausland, welches uns nicht wohl will, nicht seine Freude
haben an deutschen Abgeordneten, die alles, was in ihren Kräften steht, thun,
um die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu ver¬
hindern, Deutschland in den Angen der Welt herabzusetzen?

Aber das ist die alle Schule. Haben nicht die großen Propheten Vorne
und Heine ihren edeln Charakter und ihre schwärmerische Liebe zu Deutschland
vor allem dadurch bewiesen, daß sie auf Deutschland noch mehr schalten, als auf
einander? War es nicht zwei Jahrzehnte lang und länger das Kennzeichen des
wahrhaft liberalen Mannes, daß er von Franzosen und Engländern wie von
Wesen höherer Ordnung sprach, und sich zu ihnen zu erheben meinte, wenn er
der eignen Nation spottete? Doch besteht ein Unterschied. Damals bekümmerte
sich die Welt blutwenig um das, was in Deutschland geredet und geschrieben,
gethan und gelassen wurde, und wenn ein Ausländer ja erfuhr, wie demütig ihm
ein fvrtgeschrittner Deutscher huldigte, so blähte er sich vielleicht ein wenig mehr,
wandte aber dem gesinnungslosen Lobredner geringschätzig den Rücken. Heut¬
zutage lauscht alles um uns her mit von Haß und Eifersucht geschärften Sinnen
auf jedes von bevorzugter Stelle aus gesprochene Wort, heutzutage hinter-
bringen französische Zeitungen in der Hauptstadt und in den Departements die
Urteile deutscher Zeitungen bis zum la^solM Ac Berlin und zum Extrablatt
as Visuuö hinab über irgend eine brennende Frage so getreulich, wie einst die
deutscheu Zeitungen die Äußerungen der Dsbats und des OouLtiwtiormöl; und
wenn sie auch nicht, wie Herr Bamberger zu glauben scheint, von deu deutschen
Abgeordneten im allgemeinen eine höhere Meinung haben, als von ihren eignen,


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[0434] Die Bamberger. das Evangelium von Manchester. In dem Falle predigte er nicht den Kreuzzug gegen die Ungläubigen, sondern war mild, duldsam, sozusagen voll Erbarmen mit den Unglücklichen. Das hatte freilich seinen guten Grund. Deun zu den Irrenden gehören ja auch die Sozialdemokraten, nicht zu verachtende Bundes¬ genossen im Kampfe gegen die „Reaktion." Die mußten geschont werden. Doch der religiöse Fanatismus, den seine Nasse in die Welt gebracht hat, mußte auch zu seinem Rechte kommen. Die Politik ist, wie gesagt, für diese Schule nicht Wissenschaft und Kunst, sondern Sache des Glaubens. Und der Fanatismus entlud sich bei Gelegenheit der Legislaturperioden. Vielleicht ist dem Redner selbst etwas unbehaglich zu Mute geworden, wenn er gelesen hat, was er alles in der Wut herausgesprudelt hatte. Er soll ja sonst ein sehr vorsichtiger Manu sein. Ju Deutschland begegnet man den Rcichstagsmitgliedern nicht mit gleicher Achtung wie im Auslande, in Deutschland macht man noch Wesens mit einem Deroulede, über deu man in Frankreich nur lacht: was würde wohl Herr Bamberger, was würden seine Fraktionsgenossen gesagt haben, wenn diese Zusammenstellung sich ein „Kartellbruder" erlaubt hätte, fordert sie nicht förmlich dazu heraus, zu entgegnen: in Frankreich kennt man Deroulede besser, in Deutschland die Herren Bamberger, Richter, Bebel und Singer? Und soll denn dasjenige Ausland, welches uns nicht wohl will, nicht seine Freude haben an deutschen Abgeordneten, die alles, was in ihren Kräften steht, thun, um die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit ihres Vaterlandes zu ver¬ hindern, Deutschland in den Angen der Welt herabzusetzen? Aber das ist die alle Schule. Haben nicht die großen Propheten Vorne und Heine ihren edeln Charakter und ihre schwärmerische Liebe zu Deutschland vor allem dadurch bewiesen, daß sie auf Deutschland noch mehr schalten, als auf einander? War es nicht zwei Jahrzehnte lang und länger das Kennzeichen des wahrhaft liberalen Mannes, daß er von Franzosen und Engländern wie von Wesen höherer Ordnung sprach, und sich zu ihnen zu erheben meinte, wenn er der eignen Nation spottete? Doch besteht ein Unterschied. Damals bekümmerte sich die Welt blutwenig um das, was in Deutschland geredet und geschrieben, gethan und gelassen wurde, und wenn ein Ausländer ja erfuhr, wie demütig ihm ein fvrtgeschrittner Deutscher huldigte, so blähte er sich vielleicht ein wenig mehr, wandte aber dem gesinnungslosen Lobredner geringschätzig den Rücken. Heut¬ zutage lauscht alles um uns her mit von Haß und Eifersucht geschärften Sinnen auf jedes von bevorzugter Stelle aus gesprochene Wort, heutzutage hinter- bringen französische Zeitungen in der Hauptstadt und in den Departements die Urteile deutscher Zeitungen bis zum la^solM Ac Berlin und zum Extrablatt as Visuuö hinab über irgend eine brennende Frage so getreulich, wie einst die deutscheu Zeitungen die Äußerungen der Dsbats und des OouLtiwtiormöl; und wenn sie auch nicht, wie Herr Bamberger zu glauben scheint, von deu deutschen Abgeordneten im allgemeinen eine höhere Meinung haben, als von ihren eignen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/434>, abgerufen am 22.05.2024.