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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt

aß die Kaiserbegegnung in Peterhof ein gutes Ergebnis gehabt
habe, war allgemeine Annahme. Darum sagte die Nationalzeitung:
"Die europäische Katastrophe, die unabwendbar über den Häuptern
der resignirt harrenden Völker zu schweben schien, ist jedenfalls
auf Jahre vertagt. Möge der Abschluß, welchen die europäischen
Staatsmänner im Herbste über das Ergebnis des diplomatischen Feldzuges des
Sommers machen werden, die Hoffnungen der Völker auf gesicherte Fortdauer
des Friedens krönen. Dankbar wird sich dann nicht nur Deutschland, sondern
ganz Europa der ersten Kaiserreise erinnern." Damit aber ein so günstiger
Erfolg nicht etwa der Bismarckschen Politik zu Gute geschrieben werde, erfand
die "Neue freie Presse," ein Blatt, das mit dem Berliner Fortschritt zusammen¬
hängt und wie dieser von Juden geleitet wird, das Märchen, Kaiser Wilhelm
habe die russische Reise unternommen, um feine Selbständigkeit in auswärtigen
Fragen Bismarck gegenüber zu bethätigen. Es lag Methode in dieser Erfindung.
Den Charakter des Kronprinzen und des jungen Kaisers vor In- und Aus¬
land zu verdächtigen, war nicht gelungen; so versuchte man denn, was bei
Kaiser Friedrich so einträglich gewesen war, die Loyalitätskomödie wieder auf¬
zunehmen; man stellte den jungen Kaiser als diplomatisch geschickter und that¬
kräftiger hin, als seinen alten Kanzler, den treuen Berater der Hohenzollern.
Vielleicht gelang es so, Kaiser und Kanzler zu trennen. Denn Deutschland um
seinen großen Staatsmann zu bringen, darauf steuert doch die ganze ultra¬
montane, Fortschritts- und Judenpresse hin. Versuchte man Bismarck klein zu
machen, ein Unternehmen, das später seine Fortsetzung in der Veröffentlichung
des Tagebuches fand, so sollte Mackenzie groß werden. Seine fortschrittlichen


Grenzboten IV. 1883. 2S



Von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt

aß die Kaiserbegegnung in Peterhof ein gutes Ergebnis gehabt
habe, war allgemeine Annahme. Darum sagte die Nationalzeitung:
„Die europäische Katastrophe, die unabwendbar über den Häuptern
der resignirt harrenden Völker zu schweben schien, ist jedenfalls
auf Jahre vertagt. Möge der Abschluß, welchen die europäischen
Staatsmänner im Herbste über das Ergebnis des diplomatischen Feldzuges des
Sommers machen werden, die Hoffnungen der Völker auf gesicherte Fortdauer
des Friedens krönen. Dankbar wird sich dann nicht nur Deutschland, sondern
ganz Europa der ersten Kaiserreise erinnern." Damit aber ein so günstiger
Erfolg nicht etwa der Bismarckschen Politik zu Gute geschrieben werde, erfand
die „Neue freie Presse," ein Blatt, das mit dem Berliner Fortschritt zusammen¬
hängt und wie dieser von Juden geleitet wird, das Märchen, Kaiser Wilhelm
habe die russische Reise unternommen, um feine Selbständigkeit in auswärtigen
Fragen Bismarck gegenüber zu bethätigen. Es lag Methode in dieser Erfindung.
Den Charakter des Kronprinzen und des jungen Kaisers vor In- und Aus¬
land zu verdächtigen, war nicht gelungen; so versuchte man denn, was bei
Kaiser Friedrich so einträglich gewesen war, die Loyalitätskomödie wieder auf¬
zunehmen; man stellte den jungen Kaiser als diplomatisch geschickter und that¬
kräftiger hin, als seinen alten Kanzler, den treuen Berater der Hohenzollern.
Vielleicht gelang es so, Kaiser und Kanzler zu trennen. Denn Deutschland um
seinen großen Staatsmann zu bringen, darauf steuert doch die ganze ultra¬
montane, Fortschritts- und Judenpresse hin. Versuchte man Bismarck klein zu
machen, ein Unternehmen, das später seine Fortsetzung in der Veröffentlichung
des Tagebuches fand, so sollte Mackenzie groß werden. Seine fortschrittlichen


Grenzboten IV. 1883. 2S
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[0201] [Abbildung] Von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt aß die Kaiserbegegnung in Peterhof ein gutes Ergebnis gehabt habe, war allgemeine Annahme. Darum sagte die Nationalzeitung: „Die europäische Katastrophe, die unabwendbar über den Häuptern der resignirt harrenden Völker zu schweben schien, ist jedenfalls auf Jahre vertagt. Möge der Abschluß, welchen die europäischen Staatsmänner im Herbste über das Ergebnis des diplomatischen Feldzuges des Sommers machen werden, die Hoffnungen der Völker auf gesicherte Fortdauer des Friedens krönen. Dankbar wird sich dann nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa der ersten Kaiserreise erinnern." Damit aber ein so günstiger Erfolg nicht etwa der Bismarckschen Politik zu Gute geschrieben werde, erfand die „Neue freie Presse," ein Blatt, das mit dem Berliner Fortschritt zusammen¬ hängt und wie dieser von Juden geleitet wird, das Märchen, Kaiser Wilhelm habe die russische Reise unternommen, um feine Selbständigkeit in auswärtigen Fragen Bismarck gegenüber zu bethätigen. Es lag Methode in dieser Erfindung. Den Charakter des Kronprinzen und des jungen Kaisers vor In- und Aus¬ land zu verdächtigen, war nicht gelungen; so versuchte man denn, was bei Kaiser Friedrich so einträglich gewesen war, die Loyalitätskomödie wieder auf¬ zunehmen; man stellte den jungen Kaiser als diplomatisch geschickter und that¬ kräftiger hin, als seinen alten Kanzler, den treuen Berater der Hohenzollern. Vielleicht gelang es so, Kaiser und Kanzler zu trennen. Denn Deutschland um seinen großen Staatsmann zu bringen, darauf steuert doch die ganze ultra¬ montane, Fortschritts- und Judenpresse hin. Versuchte man Bismarck klein zu machen, ein Unternehmen, das später seine Fortsetzung in der Veröffentlichung des Tagebuches fand, so sollte Mackenzie groß werden. Seine fortschrittlichen Grenzboten IV. 1883. 2S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/201>, abgerufen am 05.05.2024.