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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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talentvollen Führer, der ihr einerseits das Wort ans dem Mundenahm, ander¬
seits ihr Gedanken gab. Fast ein volles Jahrzehnt dauerte diese Herrschaft.
Die Maßregelung des "Kökökök" durch die Zensur verlieh ihm nur größern
Reiz und that seiner Verbreitung wenig Eintrag, wie schon die Thatsache be¬
weist, daß 1859 auf der Nowgoroder Messe gegen hunderttausend Exemplare
des Blattes mit Beschlag belegt werden konnten. Herzen wirkte darin durch
sclbstverfaßtc Leitartikel, mehr aber noch durch Enthüllung der Mißstände des
bureaukratischen Regiments in Nußland. Berichterstatter in allen Teilen des
Reiches meldeten ihm Zuverlässiges über alle Vorkommnisse von politischer Be¬
deutung und teilte,? ihm selbst Staatsgeheimnisse mit. Die Furcht, in den
"Kökökök" zu kommen, lähmte die Willkür des Beamtentums bis in hohe
Sphären hinauf. Man kann Herzen mit dem Verfasser unsrer Schrift den
"Vater der russischen Revolution" nennen und mit ihm sagen, mit dem offnen
Briefe an den Zaren sei eine neue Ära angebrochen.




Die Berechtigungen.
Zur deutschen Schulreform. I> von Unger. von

nsre Angelegenheit kommt in Fluß. Der Gcschäftsausschuß für
deutsche Schulreform hat dem Kultusminister von Goßler die
oftbesprochene Petition mit 22409 Unterschriften überreicht. Eine
Eingabe ähnlichen Inhalts ist von demselben Ausschusse an den
Fürsten Reichskanzler gerichtet worden. In einer stündigen
Unterredung hat Herr von Goßler sich dem Ausschusse gegenüber in durchaus
wohlwollender und entgegenkommender Weise ausgesprochen und ihn aufgefor¬
dert, die Ausführbarkeit der Einzelheiten des in der Eingabe an den Reichs¬
kanzler dargelegten Programms näher zu begründen.

Es darf unter diesen Umständen wohl nicht bezweifelt werden, daß Herr
von Goßler weitere Schritte in der Schnlrefornmngelcgenheit thun wird. Ver¬
mutlich wird er, dem in der Petition ausgesprochenen Verlangen gemäß, dem
deutschen Volke Gelegenheit geben, sich darüber anzusprechen, was es an den
jetzigen Schulverhältnissen für tadelnswert und welche Verbesserungen es für
notwendig erachtet. Bereiten wir uns also darauf vor, eine Antwort zu geben,


Gr^nzbotm IV. 1888. 57

talentvollen Führer, der ihr einerseits das Wort ans dem Mundenahm, ander¬
seits ihr Gedanken gab. Fast ein volles Jahrzehnt dauerte diese Herrschaft.
Die Maßregelung des „Kökökök" durch die Zensur verlieh ihm nur größern
Reiz und that seiner Verbreitung wenig Eintrag, wie schon die Thatsache be¬
weist, daß 1859 auf der Nowgoroder Messe gegen hunderttausend Exemplare
des Blattes mit Beschlag belegt werden konnten. Herzen wirkte darin durch
sclbstverfaßtc Leitartikel, mehr aber noch durch Enthüllung der Mißstände des
bureaukratischen Regiments in Nußland. Berichterstatter in allen Teilen des
Reiches meldeten ihm Zuverlässiges über alle Vorkommnisse von politischer Be¬
deutung und teilte,? ihm selbst Staatsgeheimnisse mit. Die Furcht, in den
„Kökökök" zu kommen, lähmte die Willkür des Beamtentums bis in hohe
Sphären hinauf. Man kann Herzen mit dem Verfasser unsrer Schrift den
„Vater der russischen Revolution" nennen und mit ihm sagen, mit dem offnen
Briefe an den Zaren sei eine neue Ära angebrochen.




Die Berechtigungen.
Zur deutschen Schulreform. I> von Unger. von

nsre Angelegenheit kommt in Fluß. Der Gcschäftsausschuß für
deutsche Schulreform hat dem Kultusminister von Goßler die
oftbesprochene Petition mit 22409 Unterschriften überreicht. Eine
Eingabe ähnlichen Inhalts ist von demselben Ausschusse an den
Fürsten Reichskanzler gerichtet worden. In einer stündigen
Unterredung hat Herr von Goßler sich dem Ausschusse gegenüber in durchaus
wohlwollender und entgegenkommender Weise ausgesprochen und ihn aufgefor¬
dert, die Ausführbarkeit der Einzelheiten des in der Eingabe an den Reichs¬
kanzler dargelegten Programms näher zu begründen.

Es darf unter diesen Umständen wohl nicht bezweifelt werden, daß Herr
von Goßler weitere Schritte in der Schnlrefornmngelcgenheit thun wird. Ver¬
mutlich wird er, dem in der Petition ausgesprochenen Verlangen gemäß, dem
deutschen Volke Gelegenheit geben, sich darüber anzusprechen, was es an den
jetzigen Schulverhältnissen für tadelnswert und welche Verbesserungen es für
notwendig erachtet. Bereiten wir uns also darauf vor, eine Antwort zu geben,


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[0457] talentvollen Führer, der ihr einerseits das Wort ans dem Mundenahm, ander¬ seits ihr Gedanken gab. Fast ein volles Jahrzehnt dauerte diese Herrschaft. Die Maßregelung des „Kökökök" durch die Zensur verlieh ihm nur größern Reiz und that seiner Verbreitung wenig Eintrag, wie schon die Thatsache be¬ weist, daß 1859 auf der Nowgoroder Messe gegen hunderttausend Exemplare des Blattes mit Beschlag belegt werden konnten. Herzen wirkte darin durch sclbstverfaßtc Leitartikel, mehr aber noch durch Enthüllung der Mißstände des bureaukratischen Regiments in Nußland. Berichterstatter in allen Teilen des Reiches meldeten ihm Zuverlässiges über alle Vorkommnisse von politischer Be¬ deutung und teilte,? ihm selbst Staatsgeheimnisse mit. Die Furcht, in den „Kökökök" zu kommen, lähmte die Willkür des Beamtentums bis in hohe Sphären hinauf. Man kann Herzen mit dem Verfasser unsrer Schrift den „Vater der russischen Revolution" nennen und mit ihm sagen, mit dem offnen Briefe an den Zaren sei eine neue Ära angebrochen. Die Berechtigungen. Zur deutschen Schulreform. I> von Unger. von nsre Angelegenheit kommt in Fluß. Der Gcschäftsausschuß für deutsche Schulreform hat dem Kultusminister von Goßler die oftbesprochene Petition mit 22409 Unterschriften überreicht. Eine Eingabe ähnlichen Inhalts ist von demselben Ausschusse an den Fürsten Reichskanzler gerichtet worden. In einer stündigen Unterredung hat Herr von Goßler sich dem Ausschusse gegenüber in durchaus wohlwollender und entgegenkommender Weise ausgesprochen und ihn aufgefor¬ dert, die Ausführbarkeit der Einzelheiten des in der Eingabe an den Reichs¬ kanzler dargelegten Programms näher zu begründen. Es darf unter diesen Umständen wohl nicht bezweifelt werden, daß Herr von Goßler weitere Schritte in der Schnlrefornmngelcgenheit thun wird. Ver¬ mutlich wird er, dem in der Petition ausgesprochenen Verlangen gemäß, dem deutschen Volke Gelegenheit geben, sich darüber anzusprechen, was es an den jetzigen Schulverhältnissen für tadelnswert und welche Verbesserungen es für notwendig erachtet. Bereiten wir uns also darauf vor, eine Antwort zu geben, Gr^nzbotm IV. 1888. 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/457>, abgerufen am 05.05.2024.