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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
15, Das Gaufest.

err Jsidor Hirschfeld saß sorgenvoll vor seinem Klappsekretär, Frau
Cora Hirschfeld in voller Breite auf ihrem Sofa.

Jsedor. -- Hin? -- Jsedor, ich will dir sagen, daß du machst
eine Dummheit. -- Wie haißt Dummheit? Rede doch keinen Un¬
sinn! -- Wirst du verklagen den Schlemper, wird er gehen Ptene,
wirst du kriegen für deinen Wein nicht soviel.

Dieser kühl ausgesprochene Gedanke machte Herrn Jsidor Hirschfeld so große
Schmerzen, daß er von seinem Stuhle aufschnellte, in der Stube herumtanzte und
sich im höchsten Grade aufregte. -- Und ich werde ihn verklagen, und ich werde ihn
bringen von Haus und Hof, und ich werde ihn bringen ins Gefängnis, und wenns
niir soll kosten hundert Thaler.

Habe ich dir nicht gesagt, daß du machst eine große Dummheit? Was hast
du davon, wenn du ihn bringst ins Gefängnis? Den Aerger und die Kosten und
die Blamage. Du sollst ihn lassen in seinem Restaurant und sollst machen, daß
er seinen Wein verkauft. Ist dir geholfen, und ihm auch.

Herr Jsidor Pflanzte sich vor seiner Frau auf, ward betrübt und sagte: Cora,
ich hab dich gehalten für eine kluge Frau. Aber was du da redst, ist Stuß. Kann
ich kriegen die Leute beim Schlafitche? kann ich sie schleppen zum Schlemper? kann
ich sie zwingen, zu trinken meinen Wein?

Nu? erwiederte Frau Cora, hast du vergessen, wie es der Goldstein gemacht
hat in Diffa mit dem Jubiläum vom alten Przmischel. Hat er nicht verkauft seinen
ganzen Rotwein, den die Leute nicht haben trinken wollen. Nu? Was bringst
du nicht zu stände ein kleines Jubiläche?

Frau Cora war eine kluge Frau. Davon war Herr Jsidor auch sonst über¬
zeugt, aber in diesem Augenblicke sah er sie mit Bewunderung an. Ja, das wars!
Ein Fest, ein Jubiläum, eine goldne Hochzeit bei Schlemper, und er war aus aller
Not. Sein Wein wurde getrunken, und er kriegte sein Geld. Freilich war es
nötig, die träge Masse zu begeistern, einen der Feier würdigen Gegenstand zu finden,
ein Komitee zu bilden und die Sache so zu leiten, daß sie bei Schlemper endete.
Es schien unbedenklich, sich mit fünf Mark an die Spitze einer Sammelliste zu
stellen, und gar nicht schwer, in Kaldenried, einer Stadt von Is 000 Einwohnern,
das Rezept von Diffa mit Erfolg in Anwendung zu bringen.

Die Sache ging aber doch nicht so leicht, wie es sich Jsidor gedacht hatte. In
einer Stadt von 15 000 Seelen sind zwar stets Leute vorhanden, die vor 25 oder
50 Jahren irgend etwas geworden, oder die vor 60 oder 70 Jahren geboren




Skizzen aus unserm heutigen Volksleben.
15, Das Gaufest.

err Jsidor Hirschfeld saß sorgenvoll vor seinem Klappsekretär, Frau
Cora Hirschfeld in voller Breite auf ihrem Sofa.

Jsedor. — Hin? — Jsedor, ich will dir sagen, daß du machst
eine Dummheit. — Wie haißt Dummheit? Rede doch keinen Un¬
sinn! — Wirst du verklagen den Schlemper, wird er gehen Ptene,
wirst du kriegen für deinen Wein nicht soviel.

Dieser kühl ausgesprochene Gedanke machte Herrn Jsidor Hirschfeld so große
Schmerzen, daß er von seinem Stuhle aufschnellte, in der Stube herumtanzte und
sich im höchsten Grade aufregte. — Und ich werde ihn verklagen, und ich werde ihn
bringen von Haus und Hof, und ich werde ihn bringen ins Gefängnis, und wenns
niir soll kosten hundert Thaler.

Habe ich dir nicht gesagt, daß du machst eine große Dummheit? Was hast
du davon, wenn du ihn bringst ins Gefängnis? Den Aerger und die Kosten und
die Blamage. Du sollst ihn lassen in seinem Restaurant und sollst machen, daß
er seinen Wein verkauft. Ist dir geholfen, und ihm auch.

Herr Jsidor Pflanzte sich vor seiner Frau auf, ward betrübt und sagte: Cora,
ich hab dich gehalten für eine kluge Frau. Aber was du da redst, ist Stuß. Kann
ich kriegen die Leute beim Schlafitche? kann ich sie schleppen zum Schlemper? kann
ich sie zwingen, zu trinken meinen Wein?

Nu? erwiederte Frau Cora, hast du vergessen, wie es der Goldstein gemacht
hat in Diffa mit dem Jubiläum vom alten Przmischel. Hat er nicht verkauft seinen
ganzen Rotwein, den die Leute nicht haben trinken wollen. Nu? Was bringst
du nicht zu stände ein kleines Jubiläche?

Frau Cora war eine kluge Frau. Davon war Herr Jsidor auch sonst über¬
zeugt, aber in diesem Augenblicke sah er sie mit Bewunderung an. Ja, das wars!
Ein Fest, ein Jubiläum, eine goldne Hochzeit bei Schlemper, und er war aus aller
Not. Sein Wein wurde getrunken, und er kriegte sein Geld. Freilich war es
nötig, die träge Masse zu begeistern, einen der Feier würdigen Gegenstand zu finden,
ein Komitee zu bilden und die Sache so zu leiten, daß sie bei Schlemper endete.
Es schien unbedenklich, sich mit fünf Mark an die Spitze einer Sammelliste zu
stellen, und gar nicht schwer, in Kaldenried, einer Stadt von Is 000 Einwohnern,
das Rezept von Diffa mit Erfolg in Anwendung zu bringen.

Die Sache ging aber doch nicht so leicht, wie es sich Jsidor gedacht hatte. In
einer Stadt von 15 000 Seelen sind zwar stets Leute vorhanden, die vor 25 oder
50 Jahren irgend etwas geworden, oder die vor 60 oder 70 Jahren geboren


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[0176] [Abbildung] Skizzen aus unserm heutigen Volksleben. 15, Das Gaufest. err Jsidor Hirschfeld saß sorgenvoll vor seinem Klappsekretär, Frau Cora Hirschfeld in voller Breite auf ihrem Sofa. Jsedor. — Hin? — Jsedor, ich will dir sagen, daß du machst eine Dummheit. — Wie haißt Dummheit? Rede doch keinen Un¬ sinn! — Wirst du verklagen den Schlemper, wird er gehen Ptene, wirst du kriegen für deinen Wein nicht soviel. Dieser kühl ausgesprochene Gedanke machte Herrn Jsidor Hirschfeld so große Schmerzen, daß er von seinem Stuhle aufschnellte, in der Stube herumtanzte und sich im höchsten Grade aufregte. — Und ich werde ihn verklagen, und ich werde ihn bringen von Haus und Hof, und ich werde ihn bringen ins Gefängnis, und wenns niir soll kosten hundert Thaler. Habe ich dir nicht gesagt, daß du machst eine große Dummheit? Was hast du davon, wenn du ihn bringst ins Gefängnis? Den Aerger und die Kosten und die Blamage. Du sollst ihn lassen in seinem Restaurant und sollst machen, daß er seinen Wein verkauft. Ist dir geholfen, und ihm auch. Herr Jsidor Pflanzte sich vor seiner Frau auf, ward betrübt und sagte: Cora, ich hab dich gehalten für eine kluge Frau. Aber was du da redst, ist Stuß. Kann ich kriegen die Leute beim Schlafitche? kann ich sie schleppen zum Schlemper? kann ich sie zwingen, zu trinken meinen Wein? Nu? erwiederte Frau Cora, hast du vergessen, wie es der Goldstein gemacht hat in Diffa mit dem Jubiläum vom alten Przmischel. Hat er nicht verkauft seinen ganzen Rotwein, den die Leute nicht haben trinken wollen. Nu? Was bringst du nicht zu stände ein kleines Jubiläche? Frau Cora war eine kluge Frau. Davon war Herr Jsidor auch sonst über¬ zeugt, aber in diesem Augenblicke sah er sie mit Bewunderung an. Ja, das wars! Ein Fest, ein Jubiläum, eine goldne Hochzeit bei Schlemper, und er war aus aller Not. Sein Wein wurde getrunken, und er kriegte sein Geld. Freilich war es nötig, die träge Masse zu begeistern, einen der Feier würdigen Gegenstand zu finden, ein Komitee zu bilden und die Sache so zu leiten, daß sie bei Schlemper endete. Es schien unbedenklich, sich mit fünf Mark an die Spitze einer Sammelliste zu stellen, und gar nicht schwer, in Kaldenried, einer Stadt von Is 000 Einwohnern, das Rezept von Diffa mit Erfolg in Anwendung zu bringen. Die Sache ging aber doch nicht so leicht, wie es sich Jsidor gedacht hatte. In einer Stadt von 15 000 Seelen sind zwar stets Leute vorhanden, die vor 25 oder 50 Jahren irgend etwas geworden, oder die vor 60 oder 70 Jahren geboren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/176>, abgerufen am 05.05.2024.