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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Goethe als Lrzioher.

aus an Fritz schrieb, hatten etwas pädagogisches, und wenn er sie nur mit
einer seltenen Gemme siegelte, die den Knaben fesseln mußte. Zwei Ziele ver¬
folgte Goethes Pädagogik gleichzeitig: einmal sollte sie der Individualität
des Zöglings helfen, sich frei zu entwickeln, und sodann ihn zu einem har¬
monischen Menschen ausbilden. Goethe legte Wert darauf, die herrschende
Neigung, die Liebhaberei des Zöglings zu erforschen und sie für den Fall,
daß sie fruchtbar werden konnte, zu unterstützen und zu fördern. Er be¬
vorzugte den naturwissenschaftlichen Unterricht, aber er forderte auch nach¬
drücklich das Studium der Alten, denn die Antike war ihm die Grund¬
lage aller Bildung. Nichts war ihm mehr verhaßt als das Predigen der
Jugend gegenüber, das Schelten und Moralisiren, er begnügte sich nötigenfalls
mit einer ernsten Mahnung. Natürlich war diese Erziehungsmethode getragen
von seinem herrlichen Optimismus, seiner Grundvoraussetzung der Güte der
menschlichen Natur. Er war sich auch dessen wohl bewußt und verkannte nicht
die Notwendigkeit strengerer Maßregeln bei unbildsamen Individuen. Aber
Geduld forderte er vor allem von Eltern und Erziehern. "Der spätere preu¬
ßische Geheimrat I. G. Jacobi, der Sohn Fritz Jaeobis, dessen nicht richtig
aufgefaßte Eigentümlichkeit im frühern Knabenalter, für den Vater ein Gegen¬
stand großer Besorgnis gewesen war, forderte Goethes ganze Teilnahme und
thatkräftiges Eingreifen heraus. Die erste Kundgebung vom 31. März 1784
lautet: "Schreibe mir doch ein Wort von dem Kinde zu Münster und was ihr
mit ihm habt. Ich weiß nichts von ihm, kann es nicht beurteilen, und wenn
ich nicht sehr irre, behandelt ihr es falsch, die Fürstin und du. Ich mische mich
nicht gern in dergleichen Sachen, denn die Vorstellungsarten sind zu verschieden
und mit Schreiben ist gar nichts ausgerichtet, aber das Kind dauert mich, es
ist doch dein und Vettys Kind, und gewiß nicht zum Bösewicht, zum Nichts¬
würdigen geboren." Während die Eltern fortgesetzt unzufrieden sind, ist Goethe
stets voll Zuversicht und behält schließlich Recht damit, daß er sie wegen ihrer
Ungeduld gescholten hat: "Ein Blatt, das groß werden soll, ist voller Runzeln
und Knittern, eh es sich entwickelt; wenn man nicht Geduld hat und es gleich
glatt haben will wie ein Weidenblatt, dann ists übel. Ich wünsche dir Glück
zur Vaterfreude" (9. September 1788)."

Diese Skizze mag genügen, Goethe als Erzieher zu kennzeichne" und das
Verdienst von Langguths Buch zu beleuchten. Um ihm nicht seinen Leserkreis
zu nehmen, brechen wir diese Mitteilungen hier ab, so verführerisch es auch
ist, sich in die unerschöpfliche Schönheit und Größe der Natur Goethes zu
vertiefen.




Goethe als Lrzioher.

aus an Fritz schrieb, hatten etwas pädagogisches, und wenn er sie nur mit
einer seltenen Gemme siegelte, die den Knaben fesseln mußte. Zwei Ziele ver¬
folgte Goethes Pädagogik gleichzeitig: einmal sollte sie der Individualität
des Zöglings helfen, sich frei zu entwickeln, und sodann ihn zu einem har¬
monischen Menschen ausbilden. Goethe legte Wert darauf, die herrschende
Neigung, die Liebhaberei des Zöglings zu erforschen und sie für den Fall,
daß sie fruchtbar werden konnte, zu unterstützen und zu fördern. Er be¬
vorzugte den naturwissenschaftlichen Unterricht, aber er forderte auch nach¬
drücklich das Studium der Alten, denn die Antike war ihm die Grund¬
lage aller Bildung. Nichts war ihm mehr verhaßt als das Predigen der
Jugend gegenüber, das Schelten und Moralisiren, er begnügte sich nötigenfalls
mit einer ernsten Mahnung. Natürlich war diese Erziehungsmethode getragen
von seinem herrlichen Optimismus, seiner Grundvoraussetzung der Güte der
menschlichen Natur. Er war sich auch dessen wohl bewußt und verkannte nicht
die Notwendigkeit strengerer Maßregeln bei unbildsamen Individuen. Aber
Geduld forderte er vor allem von Eltern und Erziehern. „Der spätere preu¬
ßische Geheimrat I. G. Jacobi, der Sohn Fritz Jaeobis, dessen nicht richtig
aufgefaßte Eigentümlichkeit im frühern Knabenalter, für den Vater ein Gegen¬
stand großer Besorgnis gewesen war, forderte Goethes ganze Teilnahme und
thatkräftiges Eingreifen heraus. Die erste Kundgebung vom 31. März 1784
lautet: »Schreibe mir doch ein Wort von dem Kinde zu Münster und was ihr
mit ihm habt. Ich weiß nichts von ihm, kann es nicht beurteilen, und wenn
ich nicht sehr irre, behandelt ihr es falsch, die Fürstin und du. Ich mische mich
nicht gern in dergleichen Sachen, denn die Vorstellungsarten sind zu verschieden
und mit Schreiben ist gar nichts ausgerichtet, aber das Kind dauert mich, es
ist doch dein und Vettys Kind, und gewiß nicht zum Bösewicht, zum Nichts¬
würdigen geboren.« Während die Eltern fortgesetzt unzufrieden sind, ist Goethe
stets voll Zuversicht und behält schließlich Recht damit, daß er sie wegen ihrer
Ungeduld gescholten hat: »Ein Blatt, das groß werden soll, ist voller Runzeln
und Knittern, eh es sich entwickelt; wenn man nicht Geduld hat und es gleich
glatt haben will wie ein Weidenblatt, dann ists übel. Ich wünsche dir Glück
zur Vaterfreude« (9. September 1788)."

Diese Skizze mag genügen, Goethe als Erzieher zu kennzeichne» und das
Verdienst von Langguths Buch zu beleuchten. Um ihm nicht seinen Leserkreis
zu nehmen, brechen wir diese Mitteilungen hier ab, so verführerisch es auch
ist, sich in die unerschöpfliche Schönheit und Größe der Natur Goethes zu
vertiefen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/175>, abgerufen am 24.05.2024.