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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Kleinere Mitteilungen.

frei machen von dieser ihm selbst ein wenig rätselhaften Dankbarkeit, die zu¬
weilen so eigenartig iiberhand nahm, daß er meinte, es müsse das größte
Glück sei", ihr mit Worten dafür danken zu können, daß sie so schön und
so lieblich War. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Ein Notschrei.

Was uns kaum glaublich schien, haben wir jetzt durch
eigue Akteneinsicht schwarz auf weiß bestätigt gefunden. Ein einfacher Prozeß,
der lediglich die Rückzahlung von 20 Mark betrifft, hat zu seiner Erledigung
uicht weniger als nahezu ein Dutzend Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht!
und das alles nur in eiuer Instanz und bei einer einzigen Zeugenvcruehmung!
Doch nicht genug mit solcher Zeitvergeudung, es kommen noch ganz unerhörte
Kosten dazu. Da sich ein gewöhnliches Menschenkind in das Formelwesen unsers
heutigen Prozeßverfahrens nicht hineinzufinden vermag, so hatten beide Parteien
uotgedrungenerweise Rechtsanwälte angenommen. Die Kosten dafür betragen nicht
weniger als 25 Mark, d. h. fünf mal so viel als die ganzen Gerichtskosten, sodaß
die Gesamtkosten dieses winzigen Prozesses sich auf 30 Mark belaufen. Also um
von einem böswilligen Schuldner 2V Mark zu erlangen, muß man gewärtig sein,
150 Prozent Kosten zu haben, den Zeitverlust und die sonstigen Umständlichkeiten
noch gar nicht mitgerechnet. Das erinnert geradezu an amerikanische Zustände, und
doch rühmen wir uns, in einem Rechtsstaate zu leben. Der Verwaltuugsbericht
des Herrn Justizministers hat kürzlich die Abnahme der Prozesse, namentlich in
den untern Instanzen, als ein erfreuliches Ergebnis der neuen Justizgesetzgebung
besonders hervorgehoben; wenn aber solche Erfolge auf Ursachen der vorliegenden
Art zurückzuführen find, so dürfte das rechtsuchende Publikum doch andrer Ansicht
sein. Ein so unerhörter Aufwand von Geld und Zeit, um zu seinem guten Rechte
zu kommen, bedeutet für die Rechtsuchenden, wenigsteus für deu kleinen Mann und
die unbemittelteren Volksschichten, nichts andres als Rechtsverweigerung und für
die böswilligen Schuldner geradezu eine Belohnung ihrer Gewissenlosigkeit.

Während der frühere altpreußische Bagatellprozeß einfach, kurz und billig war,
sodaß jeder Durchschnittsmensch ohne besondern Zeit- und Geldaufwand sich sein
Recht selbst verschaffe,! konnte, so ist der heutige Prozeß das gerade Gegenteil von
alledem. Vergegenwärtigt man sich die gesamten Mängel, die jahraus jahrein
gerügt werden, aber noch immer der Lösung harren, so scheint es fast, als ob man
-- anstatt Altbewährtes zeitgemäß zu verbessern -- sich an der Hand grnndstürzender
unpraktischer Doktrinen in eine Sackgasse verrannt habe, aus der mau nun ver¬
geblich hinauszukommen sucht. Wir sind gewiß die letzten, die endlich erlangte
Rechtseinheit irgendwie unterschätzen zu wollen; aber wir sind der Ueberzeugung,
daß diese auch ohne so große Opfer an das Gemeinverständnis und Rechtsbedürfnis
des Volkes zu erlangen gewesen wäre, wenn nicht eben das juristisch-formale
Element das wirtschaftlich-praktische vollständig in den Hintergrund gedrängt hätte,


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frei machen von dieser ihm selbst ein wenig rätselhaften Dankbarkeit, die zu¬
weilen so eigenartig iiberhand nahm, daß er meinte, es müsse das größte
Glück sei», ihr mit Worten dafür danken zu können, daß sie so schön und
so lieblich War. (Fortsetzung folgt.)




Kleinere Mitteilungen.
Ein Notschrei.

Was uns kaum glaublich schien, haben wir jetzt durch
eigue Akteneinsicht schwarz auf weiß bestätigt gefunden. Ein einfacher Prozeß,
der lediglich die Rückzahlung von 20 Mark betrifft, hat zu seiner Erledigung
uicht weniger als nahezu ein Dutzend Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht!
und das alles nur in eiuer Instanz und bei einer einzigen Zeugenvcruehmung!
Doch nicht genug mit solcher Zeitvergeudung, es kommen noch ganz unerhörte
Kosten dazu. Da sich ein gewöhnliches Menschenkind in das Formelwesen unsers
heutigen Prozeßverfahrens nicht hineinzufinden vermag, so hatten beide Parteien
uotgedrungenerweise Rechtsanwälte angenommen. Die Kosten dafür betragen nicht
weniger als 25 Mark, d. h. fünf mal so viel als die ganzen Gerichtskosten, sodaß
die Gesamtkosten dieses winzigen Prozesses sich auf 30 Mark belaufen. Also um
von einem böswilligen Schuldner 2V Mark zu erlangen, muß man gewärtig sein,
150 Prozent Kosten zu haben, den Zeitverlust und die sonstigen Umständlichkeiten
noch gar nicht mitgerechnet. Das erinnert geradezu an amerikanische Zustände, und
doch rühmen wir uns, in einem Rechtsstaate zu leben. Der Verwaltuugsbericht
des Herrn Justizministers hat kürzlich die Abnahme der Prozesse, namentlich in
den untern Instanzen, als ein erfreuliches Ergebnis der neuen Justizgesetzgebung
besonders hervorgehoben; wenn aber solche Erfolge auf Ursachen der vorliegenden
Art zurückzuführen find, so dürfte das rechtsuchende Publikum doch andrer Ansicht
sein. Ein so unerhörter Aufwand von Geld und Zeit, um zu seinem guten Rechte
zu kommen, bedeutet für die Rechtsuchenden, wenigsteus für deu kleinen Mann und
die unbemittelteren Volksschichten, nichts andres als Rechtsverweigerung und für
die böswilligen Schuldner geradezu eine Belohnung ihrer Gewissenlosigkeit.

Während der frühere altpreußische Bagatellprozeß einfach, kurz und billig war,
sodaß jeder Durchschnittsmensch ohne besondern Zeit- und Geldaufwand sich sein
Recht selbst verschaffe,! konnte, so ist der heutige Prozeß das gerade Gegenteil von
alledem. Vergegenwärtigt man sich die gesamten Mängel, die jahraus jahrein
gerügt werden, aber noch immer der Lösung harren, so scheint es fast, als ob man
— anstatt Altbewährtes zeitgemäß zu verbessern — sich an der Hand grnndstürzender
unpraktischer Doktrinen in eine Sackgasse verrannt habe, aus der mau nun ver¬
geblich hinauszukommen sucht. Wir sind gewiß die letzten, die endlich erlangte
Rechtseinheit irgendwie unterschätzen zu wollen; aber wir sind der Ueberzeugung,
daß diese auch ohne so große Opfer an das Gemeinverständnis und Rechtsbedürfnis
des Volkes zu erlangen gewesen wäre, wenn nicht eben das juristisch-formale
Element das wirtschaftlich-praktische vollständig in den Hintergrund gedrängt hätte,


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[0191] Kleinere Mitteilungen. frei machen von dieser ihm selbst ein wenig rätselhaften Dankbarkeit, die zu¬ weilen so eigenartig iiberhand nahm, daß er meinte, es müsse das größte Glück sei», ihr mit Worten dafür danken zu können, daß sie so schön und so lieblich War. (Fortsetzung folgt.) Kleinere Mitteilungen. Ein Notschrei. Was uns kaum glaublich schien, haben wir jetzt durch eigue Akteneinsicht schwarz auf weiß bestätigt gefunden. Ein einfacher Prozeß, der lediglich die Rückzahlung von 20 Mark betrifft, hat zu seiner Erledigung uicht weniger als nahezu ein Dutzend Termine und anderthalb Jahre Zeit gebraucht! und das alles nur in eiuer Instanz und bei einer einzigen Zeugenvcruehmung! Doch nicht genug mit solcher Zeitvergeudung, es kommen noch ganz unerhörte Kosten dazu. Da sich ein gewöhnliches Menschenkind in das Formelwesen unsers heutigen Prozeßverfahrens nicht hineinzufinden vermag, so hatten beide Parteien uotgedrungenerweise Rechtsanwälte angenommen. Die Kosten dafür betragen nicht weniger als 25 Mark, d. h. fünf mal so viel als die ganzen Gerichtskosten, sodaß die Gesamtkosten dieses winzigen Prozesses sich auf 30 Mark belaufen. Also um von einem böswilligen Schuldner 2V Mark zu erlangen, muß man gewärtig sein, 150 Prozent Kosten zu haben, den Zeitverlust und die sonstigen Umständlichkeiten noch gar nicht mitgerechnet. Das erinnert geradezu an amerikanische Zustände, und doch rühmen wir uns, in einem Rechtsstaate zu leben. Der Verwaltuugsbericht des Herrn Justizministers hat kürzlich die Abnahme der Prozesse, namentlich in den untern Instanzen, als ein erfreuliches Ergebnis der neuen Justizgesetzgebung besonders hervorgehoben; wenn aber solche Erfolge auf Ursachen der vorliegenden Art zurückzuführen find, so dürfte das rechtsuchende Publikum doch andrer Ansicht sein. Ein so unerhörter Aufwand von Geld und Zeit, um zu seinem guten Rechte zu kommen, bedeutet für die Rechtsuchenden, wenigsteus für deu kleinen Mann und die unbemittelteren Volksschichten, nichts andres als Rechtsverweigerung und für die böswilligen Schuldner geradezu eine Belohnung ihrer Gewissenlosigkeit. Während der frühere altpreußische Bagatellprozeß einfach, kurz und billig war, sodaß jeder Durchschnittsmensch ohne besondern Zeit- und Geldaufwand sich sein Recht selbst verschaffe,! konnte, so ist der heutige Prozeß das gerade Gegenteil von alledem. Vergegenwärtigt man sich die gesamten Mängel, die jahraus jahrein gerügt werden, aber noch immer der Lösung harren, so scheint es fast, als ob man — anstatt Altbewährtes zeitgemäß zu verbessern — sich an der Hand grnndstürzender unpraktischer Doktrinen in eine Sackgasse verrannt habe, aus der mau nun ver¬ geblich hinauszukommen sucht. Wir sind gewiß die letzten, die endlich erlangte Rechtseinheit irgendwie unterschätzen zu wollen; aber wir sind der Ueberzeugung, daß diese auch ohne so große Opfer an das Gemeinverständnis und Rechtsbedürfnis des Volkes zu erlangen gewesen wäre, wenn nicht eben das juristisch-formale Element das wirtschaftlich-praktische vollständig in den Hintergrund gedrängt hätte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/191>, abgerufen am 05.05.2024.