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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Neue Romane.

lebnissen. Er war aber zugleich ein Mann des öffentlichen Wirkens. Wer sich
um die Geschichte des Wartburgfestes bekümmert hat, wird auf seinen Namen
gestoßen sein. In den Jahren 1831 bis 1848 vertrat er die Universität Jena
im weimarischen Landtage und wußte sich auch hier geltend zu machen. Damals
stand er auf Seiten der Opposition gegen das altkonservative Ministerium
Schweizer und war an dem Sturze desselben in den Märztagen 1848, wie
man wenigstens behauptete, kein ganz unbeteiligter Zuschauer. Seitdem gehörte er
der verständigen liberalen Richtung an und trat den aufkommenden demokratischen
Anforderungen grundsätzlich entgegen. Die letzte seiner Bemühungen, an die ich
mich erinnere, war die Agitation für die Errichtung eines Denkmals L. Okens
in Jena. Bekanntlich hat dieser seiner Zeit eine Reihe von Jahren hier als
angesehener Lehrer gewirkt und nebenher eine äußerst liebenswürdige Frau
aus einem der angesehensten Professorenhäuser erobert. Beharrlich wie Kieser
war, ruhte er nicht, bis er die erforderlichen Mittel zu diesem Zwecke aufge¬
bracht hatte. Er fand sogar den Weg zu dem damaligen Präsidenten der fran¬
zösischen Republik, der in seinen jungen Jahren in Okens Hause in Zürich häufig
verkehrt hatte, und in der That machte Louis Napoleon das Vertrauen des
Jenaer Geheimen Hofrats nicht zu Schanden. (Fortsetzung folgt.)




Neue Romane.

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^MA^l em aufmerksamen Beobachter der zeitgenössischen Litteratur wird
es nicht entgangen sein, daß der geschichtliche Roman seine Vor¬
herrschaft in den letzten Jahren verloren und sie an den sozialen
Roman abgetreten hat. Wer erlebt hat, wieviel undichterische
! Arbeit sich in jenen geschichtlichen Romanen breit machte und
wie selten es den gelehrten Schriftstellern klar geworden war, daß ein wesent¬
licher Unterschied zwischen der Kunst der Poesie und der der Geschichtschreibung
besteht, wird diese Wandlung des Zeitgeschmackes grundsätzlich mit Freuden be¬
grüßen. Die Geschichte wird zwar, so lange es eine Dichtkunst geben wird, der
unerschöpfliche Quell poetischer Stoffe bleiben, aber es kann nur zum Heile beider,
der Dichtung wie der Geschichtschreibung, dienen, wenn man sich ihres ver-
schiednen Berufes klar bewußt bleibt. Wenn auch das Bestreben der Romandichter
ganz löblich ist, ihren Lesern ein großes Weltbild zu bieten, sie auf die Höhen
der ganze Völker beherrschenden Schicksale zu leiten, so muß man doch dem Roman,
der unsre eigne Zeit recht groß erfassen und schildern will, den Vorzug vor


Neue Romane.

lebnissen. Er war aber zugleich ein Mann des öffentlichen Wirkens. Wer sich
um die Geschichte des Wartburgfestes bekümmert hat, wird auf seinen Namen
gestoßen sein. In den Jahren 1831 bis 1848 vertrat er die Universität Jena
im weimarischen Landtage und wußte sich auch hier geltend zu machen. Damals
stand er auf Seiten der Opposition gegen das altkonservative Ministerium
Schweizer und war an dem Sturze desselben in den Märztagen 1848, wie
man wenigstens behauptete, kein ganz unbeteiligter Zuschauer. Seitdem gehörte er
der verständigen liberalen Richtung an und trat den aufkommenden demokratischen
Anforderungen grundsätzlich entgegen. Die letzte seiner Bemühungen, an die ich
mich erinnere, war die Agitation für die Errichtung eines Denkmals L. Okens
in Jena. Bekanntlich hat dieser seiner Zeit eine Reihe von Jahren hier als
angesehener Lehrer gewirkt und nebenher eine äußerst liebenswürdige Frau
aus einem der angesehensten Professorenhäuser erobert. Beharrlich wie Kieser
war, ruhte er nicht, bis er die erforderlichen Mittel zu diesem Zwecke aufge¬
bracht hatte. Er fand sogar den Weg zu dem damaligen Präsidenten der fran¬
zösischen Republik, der in seinen jungen Jahren in Okens Hause in Zürich häufig
verkehrt hatte, und in der That machte Louis Napoleon das Vertrauen des
Jenaer Geheimen Hofrats nicht zu Schanden. (Fortsetzung folgt.)




Neue Romane.

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^MA^l em aufmerksamen Beobachter der zeitgenössischen Litteratur wird
es nicht entgangen sein, daß der geschichtliche Roman seine Vor¬
herrschaft in den letzten Jahren verloren und sie an den sozialen
Roman abgetreten hat. Wer erlebt hat, wieviel undichterische
! Arbeit sich in jenen geschichtlichen Romanen breit machte und
wie selten es den gelehrten Schriftstellern klar geworden war, daß ein wesent¬
licher Unterschied zwischen der Kunst der Poesie und der der Geschichtschreibung
besteht, wird diese Wandlung des Zeitgeschmackes grundsätzlich mit Freuden be¬
grüßen. Die Geschichte wird zwar, so lange es eine Dichtkunst geben wird, der
unerschöpfliche Quell poetischer Stoffe bleiben, aber es kann nur zum Heile beider,
der Dichtung wie der Geschichtschreibung, dienen, wenn man sich ihres ver-
schiednen Berufes klar bewußt bleibt. Wenn auch das Bestreben der Romandichter
ganz löblich ist, ihren Lesern ein großes Weltbild zu bieten, sie auf die Höhen
der ganze Völker beherrschenden Schicksale zu leiten, so muß man doch dem Roman,
der unsre eigne Zeit recht groß erfassen und schildern will, den Vorzug vor


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[0224] Neue Romane. lebnissen. Er war aber zugleich ein Mann des öffentlichen Wirkens. Wer sich um die Geschichte des Wartburgfestes bekümmert hat, wird auf seinen Namen gestoßen sein. In den Jahren 1831 bis 1848 vertrat er die Universität Jena im weimarischen Landtage und wußte sich auch hier geltend zu machen. Damals stand er auf Seiten der Opposition gegen das altkonservative Ministerium Schweizer und war an dem Sturze desselben in den Märztagen 1848, wie man wenigstens behauptete, kein ganz unbeteiligter Zuschauer. Seitdem gehörte er der verständigen liberalen Richtung an und trat den aufkommenden demokratischen Anforderungen grundsätzlich entgegen. Die letzte seiner Bemühungen, an die ich mich erinnere, war die Agitation für die Errichtung eines Denkmals L. Okens in Jena. Bekanntlich hat dieser seiner Zeit eine Reihe von Jahren hier als angesehener Lehrer gewirkt und nebenher eine äußerst liebenswürdige Frau aus einem der angesehensten Professorenhäuser erobert. Beharrlich wie Kieser war, ruhte er nicht, bis er die erforderlichen Mittel zu diesem Zwecke aufge¬ bracht hatte. Er fand sogar den Weg zu dem damaligen Präsidenten der fran¬ zösischen Republik, der in seinen jungen Jahren in Okens Hause in Zürich häufig verkehrt hatte, und in der That machte Louis Napoleon das Vertrauen des Jenaer Geheimen Hofrats nicht zu Schanden. (Fortsetzung folgt.) Neue Romane. //^HM ^MA^l em aufmerksamen Beobachter der zeitgenössischen Litteratur wird es nicht entgangen sein, daß der geschichtliche Roman seine Vor¬ herrschaft in den letzten Jahren verloren und sie an den sozialen Roman abgetreten hat. Wer erlebt hat, wieviel undichterische ! Arbeit sich in jenen geschichtlichen Romanen breit machte und wie selten es den gelehrten Schriftstellern klar geworden war, daß ein wesent¬ licher Unterschied zwischen der Kunst der Poesie und der der Geschichtschreibung besteht, wird diese Wandlung des Zeitgeschmackes grundsätzlich mit Freuden be¬ grüßen. Die Geschichte wird zwar, so lange es eine Dichtkunst geben wird, der unerschöpfliche Quell poetischer Stoffe bleiben, aber es kann nur zum Heile beider, der Dichtung wie der Geschichtschreibung, dienen, wenn man sich ihres ver- schiednen Berufes klar bewußt bleibt. Wenn auch das Bestreben der Romandichter ganz löblich ist, ihren Lesern ein großes Weltbild zu bieten, sie auf die Höhen der ganze Völker beherrschenden Schicksale zu leiten, so muß man doch dem Roman, der unsre eigne Zeit recht groß erfassen und schildern will, den Vorzug vor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/224>, abgerufen am 05.05.2024.