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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

amals, als Ricks nach Marianenlund reiste, hatte er lange
darüber nachgedacht, wie er sich zu Fennimore stellen solle, na¬
mentlich, wie er es ihr zu erkennen geben könne, wie voll¬
ständig er vergessen habe, ja daß er sich nicht einmal mehr er¬
innere, daß überhaupt etwas zu vergessen gewesen sei; vor allen
Dingen keine Kälte, eine herzliche Gleichgiltigkeit, ein oberflächliches Entgegen¬
kommen, eine höfliche Sympathie, so sollte es sein.

Aber es war schließlich alles überflüssig gewesen.

Die Fennimore, die er vorgefunden, war eine ganz andre als die, welche
er vormals verlassen hatte. Sie war noch sehr hübsch, ihre Gestalt war üppig
und schön wie früher, und sie hatte noch immer dieselben trägen, langsamen
Bewegungen, die er damals an ihr bewundert hatte; aber in dem Ausdrucke
um ihren Mund zuckte eine traurige Gedankenlosigkeit, wie bei jemand, der zu
viel gedacht hat, und in ihren sanften Augen lag eine elende, kümmerliche, zer¬
marterte Grausamkeit. Er konnte es ganz und gar nicht verstehen, das aber
war ihm klar, sie hatte etwas andres zu thun gehabt als an ihn zu denken,
und sie war völlig gefühllos den Erinnerungen gegenüber, die er jetzt erwecken
konnte. Sie sah ganz aus wie eine, die ihren Entschluß gefaßt und das
Schlimmste daraus gemacht hatte, was sie hatte machen können.

Nach und nach fing er an, zu buchstabiren und das Gefundene aneinander
zu reihen, und eines Tages, als sie zusammen am Strande gingen, begann ihm
der Zusammenhang klar zu werden.

Erik war bemüht, in seinem Atelier Ordnung zu schaffen, und während sie
dem Wasser entlang gingen, kam das Mädchen mit einer ganzen Schürze voll




Ricks Lyhne.
Jacobsen. Roman von
Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

amals, als Ricks nach Marianenlund reiste, hatte er lange
darüber nachgedacht, wie er sich zu Fennimore stellen solle, na¬
mentlich, wie er es ihr zu erkennen geben könne, wie voll¬
ständig er vergessen habe, ja daß er sich nicht einmal mehr er¬
innere, daß überhaupt etwas zu vergessen gewesen sei; vor allen
Dingen keine Kälte, eine herzliche Gleichgiltigkeit, ein oberflächliches Entgegen¬
kommen, eine höfliche Sympathie, so sollte es sein.

Aber es war schließlich alles überflüssig gewesen.

Die Fennimore, die er vorgefunden, war eine ganz andre als die, welche
er vormals verlassen hatte. Sie war noch sehr hübsch, ihre Gestalt war üppig
und schön wie früher, und sie hatte noch immer dieselben trägen, langsamen
Bewegungen, die er damals an ihr bewundert hatte; aber in dem Ausdrucke
um ihren Mund zuckte eine traurige Gedankenlosigkeit, wie bei jemand, der zu
viel gedacht hat, und in ihren sanften Augen lag eine elende, kümmerliche, zer¬
marterte Grausamkeit. Er konnte es ganz und gar nicht verstehen, das aber
war ihm klar, sie hatte etwas andres zu thun gehabt als an ihn zu denken,
und sie war völlig gefühllos den Erinnerungen gegenüber, die er jetzt erwecken
konnte. Sie sah ganz aus wie eine, die ihren Entschluß gefaßt und das
Schlimmste daraus gemacht hatte, was sie hatte machen können.

Nach und nach fing er an, zu buchstabiren und das Gefundene aneinander
zu reihen, und eines Tages, als sie zusammen am Strande gingen, begann ihm
der Zusammenhang klar zu werden.

Erik war bemüht, in seinem Atelier Ordnung zu schaffen, und während sie
dem Wasser entlang gingen, kam das Mädchen mit einer ganzen Schürze voll


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[0334] [Abbildung] Ricks Lyhne. Jacobsen. Roman von Aus dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) amals, als Ricks nach Marianenlund reiste, hatte er lange darüber nachgedacht, wie er sich zu Fennimore stellen solle, na¬ mentlich, wie er es ihr zu erkennen geben könne, wie voll¬ ständig er vergessen habe, ja daß er sich nicht einmal mehr er¬ innere, daß überhaupt etwas zu vergessen gewesen sei; vor allen Dingen keine Kälte, eine herzliche Gleichgiltigkeit, ein oberflächliches Entgegen¬ kommen, eine höfliche Sympathie, so sollte es sein. Aber es war schließlich alles überflüssig gewesen. Die Fennimore, die er vorgefunden, war eine ganz andre als die, welche er vormals verlassen hatte. Sie war noch sehr hübsch, ihre Gestalt war üppig und schön wie früher, und sie hatte noch immer dieselben trägen, langsamen Bewegungen, die er damals an ihr bewundert hatte; aber in dem Ausdrucke um ihren Mund zuckte eine traurige Gedankenlosigkeit, wie bei jemand, der zu viel gedacht hat, und in ihren sanften Augen lag eine elende, kümmerliche, zer¬ marterte Grausamkeit. Er konnte es ganz und gar nicht verstehen, das aber war ihm klar, sie hatte etwas andres zu thun gehabt als an ihn zu denken, und sie war völlig gefühllos den Erinnerungen gegenüber, die er jetzt erwecken konnte. Sie sah ganz aus wie eine, die ihren Entschluß gefaßt und das Schlimmste daraus gemacht hatte, was sie hatte machen können. Nach und nach fing er an, zu buchstabiren und das Gefundene aneinander zu reihen, und eines Tages, als sie zusammen am Strande gingen, begann ihm der Zusammenhang klar zu werden. Erik war bemüht, in seinem Atelier Ordnung zu schaffen, und während sie dem Wasser entlang gingen, kam das Mädchen mit einer ganzen Schürze voll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/334>, abgerufen am 05.05.2024.