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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.

Plunder herab und warf es auf den Strand. Es waren alte Pinsel, Bruch¬
stücke von Abgüssen, zerbrochene Modellirhölzer, alte Ölflascheu und leere Farben¬
kapseln, ein ganzer Haufe. Ricks wühlte mit dem Fuße darin herum und
Fennimore schaute zu mit der unbestimmten Entdeckungslust, die man an¬
gesichts alten Gerumpels gewöhnlich empfindet. Plötzlich zog Ricks den Fuß
zurück, als hätte er sich verbrannt, besann sich aber sofort und stöckerte hastig
in dem Haufen herum.

Ach laß mich das einmal sehen, sagte Fennimore und legte die Hand auf
seinen Arm, wie um ihm Einhalt zu thun.

Er bückte sich und hob einen Gipsabguß auf, eine Hand, die ein El hielt.

Das muß ein Irrtum sein, sagte er.

Nein, sie ist ja zerbrochen, erwiederte sie ruhig und nahm ihm den Abguß
aus der Hand. Sieh, der Zeigefinger fehlt. Da sie aber in demselben Augen¬
blicke gewahrte, daß das Gipfel mitten durchgeschnitten war und daß ein Dotter
mit gelber Farbe hineingemalt war, errötete sie leise und beugte sich vornüber
und zerschlug die Hand ganz langsam und bedächtig an einem Steine in kleine
Stücke.

Weißt du noch, damals, als die Hand gegossen wurde? fragte Ricks, um
doch etwas zu sagen.

Ich erinnere mich dessen noch sehr wohl, ich wurde mit grüner Seife ein¬
gerieben, damit der Gips nicht an meiner Hand hängen bleiben sollte. Meinst
du das?

Nein, ich dachte an den Abend, wo Erik den Abguß deiner Hand am
Theetisch die Runde machen ließ. Als er dann zu deiner alten Tante kam,
weißt du noch, wie der guten Frau die Thränen in die Augen traten und sie
dich voll tiefsten Mitleides an sich zog und auf die Stirn küßte, als sei dir
ein Leids geschehen?

Ja, die Menschen sind oft gefühlvoll!

Wir lachten damals genug über sie, aber es lag doch eine gewisse Feinheit
darin, obgleich es eigentlich so unsinnig war.

Ja, von dieser sinnlosen Feinheit giebt es leider nur allzuviel!

Du willst wohl Streit mit mir anfangen?

Nein, das wollte ich nicht, ich möchte dir nur gern etwas sagen. Du
nimmst mir ein wenig Offenherzigkeit doch nicht übel? Nun, dann sage mir,
glaubst du nicht auch, daß, wenn ein Mann in Gegenwart seiner Frau etwas
erzählen will, etwas recht derbes, oder auch etwas, was deiner Meinung nach
ihr gegenüber ein wenig rücksichtslos ist, hältst du es dann nicht selbst für
höchst überflüssig, daß du dagegen protestirst. indem du dich übertrieben zart¬
fühlend und ritterlich zeigst? Man sollte doch annehmen dürfen, ein Mann
kenne seine Frau am besten und wisse, daß es ihr nichts thun oder sie gar
verletzen kann; sonst würde er es ja unterlassen. Nicht wahr?


Ricks Lyhne.

Plunder herab und warf es auf den Strand. Es waren alte Pinsel, Bruch¬
stücke von Abgüssen, zerbrochene Modellirhölzer, alte Ölflascheu und leere Farben¬
kapseln, ein ganzer Haufe. Ricks wühlte mit dem Fuße darin herum und
Fennimore schaute zu mit der unbestimmten Entdeckungslust, die man an¬
gesichts alten Gerumpels gewöhnlich empfindet. Plötzlich zog Ricks den Fuß
zurück, als hätte er sich verbrannt, besann sich aber sofort und stöckerte hastig
in dem Haufen herum.

Ach laß mich das einmal sehen, sagte Fennimore und legte die Hand auf
seinen Arm, wie um ihm Einhalt zu thun.

Er bückte sich und hob einen Gipsabguß auf, eine Hand, die ein El hielt.

Das muß ein Irrtum sein, sagte er.

Nein, sie ist ja zerbrochen, erwiederte sie ruhig und nahm ihm den Abguß
aus der Hand. Sieh, der Zeigefinger fehlt. Da sie aber in demselben Augen¬
blicke gewahrte, daß das Gipfel mitten durchgeschnitten war und daß ein Dotter
mit gelber Farbe hineingemalt war, errötete sie leise und beugte sich vornüber
und zerschlug die Hand ganz langsam und bedächtig an einem Steine in kleine
Stücke.

Weißt du noch, damals, als die Hand gegossen wurde? fragte Ricks, um
doch etwas zu sagen.

Ich erinnere mich dessen noch sehr wohl, ich wurde mit grüner Seife ein¬
gerieben, damit der Gips nicht an meiner Hand hängen bleiben sollte. Meinst
du das?

Nein, ich dachte an den Abend, wo Erik den Abguß deiner Hand am
Theetisch die Runde machen ließ. Als er dann zu deiner alten Tante kam,
weißt du noch, wie der guten Frau die Thränen in die Augen traten und sie
dich voll tiefsten Mitleides an sich zog und auf die Stirn küßte, als sei dir
ein Leids geschehen?

Ja, die Menschen sind oft gefühlvoll!

Wir lachten damals genug über sie, aber es lag doch eine gewisse Feinheit
darin, obgleich es eigentlich so unsinnig war.

Ja, von dieser sinnlosen Feinheit giebt es leider nur allzuviel!

Du willst wohl Streit mit mir anfangen?

Nein, das wollte ich nicht, ich möchte dir nur gern etwas sagen. Du
nimmst mir ein wenig Offenherzigkeit doch nicht übel? Nun, dann sage mir,
glaubst du nicht auch, daß, wenn ein Mann in Gegenwart seiner Frau etwas
erzählen will, etwas recht derbes, oder auch etwas, was deiner Meinung nach
ihr gegenüber ein wenig rücksichtslos ist, hältst du es dann nicht selbst für
höchst überflüssig, daß du dagegen protestirst. indem du dich übertrieben zart¬
fühlend und ritterlich zeigst? Man sollte doch annehmen dürfen, ein Mann
kenne seine Frau am besten und wisse, daß es ihr nichts thun oder sie gar
verletzen kann; sonst würde er es ja unterlassen. Nicht wahr?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/335>, abgerufen am 24.05.2024.