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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

seiner Halbheit sichtlich ins Gedränge gekommen war, löste sich auf, der "kon¬
stitutionelle" Verein bestand noch eine geraume Zeit fort und beschloß sein Da¬
sein erst mit dem Scheitern der nationalen Bewegung, beziehentlich mit dem
Ende der Frankfurter Nationalversammlung. Ich erinnere mich nicht ohne Ge¬
nugthuung, wie in einer der letzten Sitzungen des Vereins, in welcher die
Heimkehr eines unsrer geschätztesten Freunde, der den Wahlkreis Neustadt a. d. Orla
vertreten hatte, des Professors Gustav Eduard Fischer, gefeiert wurde, der Vor¬
sitzende uns mit der Erwägung zu trösten suchte, daß das erste deutsche Par¬
lament sicher nicht das letzte bleiben werde, daß die aufgewandte Zeit und Kraft
trotz des scheinbaren Mißlingens gewiß nicht verloren sei, und daß die bren¬
nende Frage der Gründung eines neuen deutschen Reiches, sei es heute oder
morgen, auf einer ganz andern Stelle als am grünen Tische und der Redner¬
bühne, daß sie auf dem Schlachtfelde ihre nächste Lösung finden müsse und werde..

Mit dieser Zuversicht im Herzen gingen wir der Zukunft entgegen, die
dann wenigstens die jüngern unter uns, wie weit auch unsre Lebenswege aus
einander liefen, um die stolze Verwirklichung jener Hoffnungen nicht getäuscht hat.




Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

>le Zeit der Ausstellungen ist wieder einmal über uns hereinge¬
brochen, und neben vielen erfreulichen ihrer Art, über deren an¬
genehmen Eindruck kein Meinungsstreit besteht -- ich nenne nur
eine der "süßesten" der letzten Zeit, die sicherlich geschmackbildende
! Zuckcrbäckerausstellung in Berlin, sowie die "wohlriechende" der
Barbiere und Parfümeure ebenda --, müssen wir auch die vielbeleumdeten Kunst¬
ausstellungen, trotz des Mahnwortes so manches um das Wohl der Kunst besorgten
Mannes, an uns vorübergehen lassen. Mit den Kunstausstellungen erwachen
natürlich auch die Ausstellungen an der Kunst zu neuem Leben, die ihrerseits
wiederum zu Ausstellungen Anlaß geben. Ist doch unser "Publikum" nicht mehr
so einfältig, an der Kunst selbst Gefallen zu finden; den wahren Feinschmecker,
der sich eines geläuterten Kunstsinnes in unsern Tagen rühmen darf, ergetzt erst
die Kritik der Kritik. Selbst unsre Künstler sind von dieser hyperkritischen Nei¬
gung nicht völlig freizusprechen. Wenn sie sich über das leichtsinnige Urteil der
Zeitungsschreiber beklagen oder über das tiefsinnige der Kunstgelehrten lustig
machen, so wird man ihnen ein gewisses Recht dazu von ihrem Standpunkte
aus einräumen müssen. Auch daß man sich gegen die offizielle Kunstkritik des


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

seiner Halbheit sichtlich ins Gedränge gekommen war, löste sich auf, der „kon¬
stitutionelle" Verein bestand noch eine geraume Zeit fort und beschloß sein Da¬
sein erst mit dem Scheitern der nationalen Bewegung, beziehentlich mit dem
Ende der Frankfurter Nationalversammlung. Ich erinnere mich nicht ohne Ge¬
nugthuung, wie in einer der letzten Sitzungen des Vereins, in welcher die
Heimkehr eines unsrer geschätztesten Freunde, der den Wahlkreis Neustadt a. d. Orla
vertreten hatte, des Professors Gustav Eduard Fischer, gefeiert wurde, der Vor¬
sitzende uns mit der Erwägung zu trösten suchte, daß das erste deutsche Par¬
lament sicher nicht das letzte bleiben werde, daß die aufgewandte Zeit und Kraft
trotz des scheinbaren Mißlingens gewiß nicht verloren sei, und daß die bren¬
nende Frage der Gründung eines neuen deutschen Reiches, sei es heute oder
morgen, auf einer ganz andern Stelle als am grünen Tische und der Redner¬
bühne, daß sie auf dem Schlachtfelde ihre nächste Lösung finden müsse und werde..

Mit dieser Zuversicht im Herzen gingen wir der Zukunft entgegen, die
dann wenigstens die jüngern unter uns, wie weit auch unsre Lebenswege aus
einander liefen, um die stolze Verwirklichung jener Hoffnungen nicht getäuscht hat.




Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

>le Zeit der Ausstellungen ist wieder einmal über uns hereinge¬
brochen, und neben vielen erfreulichen ihrer Art, über deren an¬
genehmen Eindruck kein Meinungsstreit besteht — ich nenne nur
eine der „süßesten" der letzten Zeit, die sicherlich geschmackbildende
! Zuckcrbäckerausstellung in Berlin, sowie die „wohlriechende" der
Barbiere und Parfümeure ebenda —, müssen wir auch die vielbeleumdeten Kunst¬
ausstellungen, trotz des Mahnwortes so manches um das Wohl der Kunst besorgten
Mannes, an uns vorübergehen lassen. Mit den Kunstausstellungen erwachen
natürlich auch die Ausstellungen an der Kunst zu neuem Leben, die ihrerseits
wiederum zu Ausstellungen Anlaß geben. Ist doch unser „Publikum" nicht mehr
so einfältig, an der Kunst selbst Gefallen zu finden; den wahren Feinschmecker,
der sich eines geläuterten Kunstsinnes in unsern Tagen rühmen darf, ergetzt erst
die Kritik der Kritik. Selbst unsre Künstler sind von dieser hyperkritischen Nei¬
gung nicht völlig freizusprechen. Wenn sie sich über das leichtsinnige Urteil der
Zeitungsschreiber beklagen oder über das tiefsinnige der Kunstgelehrten lustig
machen, so wird man ihnen ein gewisses Recht dazu von ihrem Standpunkte
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[0419] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. seiner Halbheit sichtlich ins Gedränge gekommen war, löste sich auf, der „kon¬ stitutionelle" Verein bestand noch eine geraume Zeit fort und beschloß sein Da¬ sein erst mit dem Scheitern der nationalen Bewegung, beziehentlich mit dem Ende der Frankfurter Nationalversammlung. Ich erinnere mich nicht ohne Ge¬ nugthuung, wie in einer der letzten Sitzungen des Vereins, in welcher die Heimkehr eines unsrer geschätztesten Freunde, der den Wahlkreis Neustadt a. d. Orla vertreten hatte, des Professors Gustav Eduard Fischer, gefeiert wurde, der Vor¬ sitzende uns mit der Erwägung zu trösten suchte, daß das erste deutsche Par¬ lament sicher nicht das letzte bleiben werde, daß die aufgewandte Zeit und Kraft trotz des scheinbaren Mißlingens gewiß nicht verloren sei, und daß die bren¬ nende Frage der Gründung eines neuen deutschen Reiches, sei es heute oder morgen, auf einer ganz andern Stelle als am grünen Tische und der Redner¬ bühne, daß sie auf dem Schlachtfelde ihre nächste Lösung finden müsse und werde.. Mit dieser Zuversicht im Herzen gingen wir der Zukunft entgegen, die dann wenigstens die jüngern unter uns, wie weit auch unsre Lebenswege aus einander liefen, um die stolze Verwirklichung jener Hoffnungen nicht getäuscht hat. Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. >le Zeit der Ausstellungen ist wieder einmal über uns hereinge¬ brochen, und neben vielen erfreulichen ihrer Art, über deren an¬ genehmen Eindruck kein Meinungsstreit besteht — ich nenne nur eine der „süßesten" der letzten Zeit, die sicherlich geschmackbildende ! Zuckcrbäckerausstellung in Berlin, sowie die „wohlriechende" der Barbiere und Parfümeure ebenda —, müssen wir auch die vielbeleumdeten Kunst¬ ausstellungen, trotz des Mahnwortes so manches um das Wohl der Kunst besorgten Mannes, an uns vorübergehen lassen. Mit den Kunstausstellungen erwachen natürlich auch die Ausstellungen an der Kunst zu neuem Leben, die ihrerseits wiederum zu Ausstellungen Anlaß geben. Ist doch unser „Publikum" nicht mehr so einfältig, an der Kunst selbst Gefallen zu finden; den wahren Feinschmecker, der sich eines geläuterten Kunstsinnes in unsern Tagen rühmen darf, ergetzt erst die Kritik der Kritik. Selbst unsre Künstler sind von dieser hyperkritischen Nei¬ gung nicht völlig freizusprechen. Wenn sie sich über das leichtsinnige Urteil der Zeitungsschreiber beklagen oder über das tiefsinnige der Kunstgelehrten lustig machen, so wird man ihnen ein gewisses Recht dazu von ihrem Standpunkte aus einräumen müssen. Auch daß man sich gegen die offizielle Kunstkritik des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/419>, abgerufen am 05.05.2024.