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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Staatsanwalts und ihre Konsequenzen gelegentlich gesträubt hat, bedarf keiner
besondern Erklärung. Wohl aber entsteht unwillkürlich die Frage, warum
unsre Künstler am liebsten überhaupt jegliche Kritik aus der Öffentlichkeit ver¬
bannt wissen möchten. Unsre Werke sind, so werden uns die Künstler ant¬
worten, heute einer Beurteilung -- zumal einer anerkennenden -- gewiß eben so
würdig wie nur jemals, aber durch die kunstkritischen Schwätzereien wird das
Publikum von einer gebührenden Würdigung derselben abgehalten. Denn schon
muß auch der bildende Künstler mit dem Volksgeiste rechnen, den Altmeister
Goethe so treffend in zwei Versen schildert:


Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Ja, diese fatale Belesenheit unsrer Zeit! Und nicht nur die Tageskritik
liest man, nein, was noch viel schlimmer ist, kunstgeschichtliche Werke, welche
die alleinseligmachende Kunst vergangner Zeiten predigen und für die Meister
der Gegenwart kein Wort der Anerkennung übrig haben.

Wenn einer unsrer Maler vor nicht langer Zeit einmal den Vorschlag
machte, zur Hebung der zeitgenössischen Kunst alle Museen und alten Bilder¬
galerien niederzubrennen, so dürfte er doch vielleicht bei einigen minder radikal
gesinnten Genossen auf Widerspruch stoßen; volle Beistimmung aber -- dafür
möchte ich Gewähr leisten -- fände in unsern Künstlerkreisen sicherlich der Vor¬
schlag, die gesamte Kunstlitteratur, mit Einschluß ihrer lebenden Vertreter, in
einem prächtigen Autodafe -- etwa als wirkungsvolles "pyrotechnisches Schlnß-
tableau" eines der jetzt so beliebten Künstlerfeste -- dem verdienten Feuertode
zu weihen. Wären erst einmal diese unseligen Bücher und ihre Verfasser un¬
schädlich gemacht, wer würde dann noch in die Galerien gehen und an den
Bildern der alten "Meister" seinen unbefangenen Geschmack verderben!

Die Künstler, die so sprechen -- und es giebt deren, wie ich versichern kann,
eine ganze Reihe --, haben bis zu einem gewissen Grade nicht so Unrecht, und
ein Einsichtiger wird das Körnchen Wahrheit aus dieser etwas drastischen Opposition
gegen die Kunstwissenschaft herauszufinden wissen. Wer indessen glaubt, die Feind¬
schaft zwischen Gelehrten und Künstlern entstamme erst unsern Tagen und sei
wirklich eine Folge der in immer breitere Schichten eindringenden kunstgeschicht¬
lichen Erkenntnis, befindet sich doch in argem Irrtume. Zum Beweise, daß
auch frühere Zeiten ähnliches gekannt haben, will ich einige Beispiele von Kunst¬
kritik aus der Zeit vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorführen,
um beiden Parteien zu Nutz und Frommen und wohl auch zum Ergetzen ihr
Spiegelbild aus einer Zeit vorzuhalten, der man kunstgeschichtliche Kenntnisse
im heutigen Sinne gewiß am wenigsten vorwerfen kann. Wenn das Bild
etwas verzerrt erscheint, mag man von diesem Eindrucke den Maßstab entnehmen,
den kommende Geschlechter vielleicht an die verwandten Erscheinungen unsrer
Tage legen werden.


Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik.

Staatsanwalts und ihre Konsequenzen gelegentlich gesträubt hat, bedarf keiner
besondern Erklärung. Wohl aber entsteht unwillkürlich die Frage, warum
unsre Künstler am liebsten überhaupt jegliche Kritik aus der Öffentlichkeit ver¬
bannt wissen möchten. Unsre Werke sind, so werden uns die Künstler ant¬
worten, heute einer Beurteilung — zumal einer anerkennenden — gewiß eben so
würdig wie nur jemals, aber durch die kunstkritischen Schwätzereien wird das
Publikum von einer gebührenden Würdigung derselben abgehalten. Denn schon
muß auch der bildende Künstler mit dem Volksgeiste rechnen, den Altmeister
Goethe so treffend in zwei Versen schildert:


Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
Allein sie haben schrecklich viel gelesen.

Ja, diese fatale Belesenheit unsrer Zeit! Und nicht nur die Tageskritik
liest man, nein, was noch viel schlimmer ist, kunstgeschichtliche Werke, welche
die alleinseligmachende Kunst vergangner Zeiten predigen und für die Meister
der Gegenwart kein Wort der Anerkennung übrig haben.

Wenn einer unsrer Maler vor nicht langer Zeit einmal den Vorschlag
machte, zur Hebung der zeitgenössischen Kunst alle Museen und alten Bilder¬
galerien niederzubrennen, so dürfte er doch vielleicht bei einigen minder radikal
gesinnten Genossen auf Widerspruch stoßen; volle Beistimmung aber — dafür
möchte ich Gewähr leisten — fände in unsern Künstlerkreisen sicherlich der Vor¬
schlag, die gesamte Kunstlitteratur, mit Einschluß ihrer lebenden Vertreter, in
einem prächtigen Autodafe — etwa als wirkungsvolles „pyrotechnisches Schlnß-
tableau" eines der jetzt so beliebten Künstlerfeste — dem verdienten Feuertode
zu weihen. Wären erst einmal diese unseligen Bücher und ihre Verfasser un¬
schädlich gemacht, wer würde dann noch in die Galerien gehen und an den
Bildern der alten „Meister" seinen unbefangenen Geschmack verderben!

Die Künstler, die so sprechen — und es giebt deren, wie ich versichern kann,
eine ganze Reihe —, haben bis zu einem gewissen Grade nicht so Unrecht, und
ein Einsichtiger wird das Körnchen Wahrheit aus dieser etwas drastischen Opposition
gegen die Kunstwissenschaft herauszufinden wissen. Wer indessen glaubt, die Feind¬
schaft zwischen Gelehrten und Künstlern entstamme erst unsern Tagen und sei
wirklich eine Folge der in immer breitere Schichten eindringenden kunstgeschicht¬
lichen Erkenntnis, befindet sich doch in argem Irrtume. Zum Beweise, daß
auch frühere Zeiten ähnliches gekannt haben, will ich einige Beispiele von Kunst¬
kritik aus der Zeit vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorführen,
um beiden Parteien zu Nutz und Frommen und wohl auch zum Ergetzen ihr
Spiegelbild aus einer Zeit vorzuhalten, der man kunstgeschichtliche Kenntnisse
im heutigen Sinne gewiß am wenigsten vorwerfen kann. Wenn das Bild
etwas verzerrt erscheint, mag man von diesem Eindrucke den Maßstab entnehmen,
den kommende Geschlechter vielleicht an die verwandten Erscheinungen unsrer
Tage legen werden.


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[0420] Zur Geschichte der gelehrten Kunstkritik. Staatsanwalts und ihre Konsequenzen gelegentlich gesträubt hat, bedarf keiner besondern Erklärung. Wohl aber entsteht unwillkürlich die Frage, warum unsre Künstler am liebsten überhaupt jegliche Kritik aus der Öffentlichkeit ver¬ bannt wissen möchten. Unsre Werke sind, so werden uns die Künstler ant¬ worten, heute einer Beurteilung — zumal einer anerkennenden — gewiß eben so würdig wie nur jemals, aber durch die kunstkritischen Schwätzereien wird das Publikum von einer gebührenden Würdigung derselben abgehalten. Denn schon muß auch der bildende Künstler mit dem Volksgeiste rechnen, den Altmeister Goethe so treffend in zwei Versen schildert: Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt, Allein sie haben schrecklich viel gelesen. Ja, diese fatale Belesenheit unsrer Zeit! Und nicht nur die Tageskritik liest man, nein, was noch viel schlimmer ist, kunstgeschichtliche Werke, welche die alleinseligmachende Kunst vergangner Zeiten predigen und für die Meister der Gegenwart kein Wort der Anerkennung übrig haben. Wenn einer unsrer Maler vor nicht langer Zeit einmal den Vorschlag machte, zur Hebung der zeitgenössischen Kunst alle Museen und alten Bilder¬ galerien niederzubrennen, so dürfte er doch vielleicht bei einigen minder radikal gesinnten Genossen auf Widerspruch stoßen; volle Beistimmung aber — dafür möchte ich Gewähr leisten — fände in unsern Künstlerkreisen sicherlich der Vor¬ schlag, die gesamte Kunstlitteratur, mit Einschluß ihrer lebenden Vertreter, in einem prächtigen Autodafe — etwa als wirkungsvolles „pyrotechnisches Schlnß- tableau" eines der jetzt so beliebten Künstlerfeste — dem verdienten Feuertode zu weihen. Wären erst einmal diese unseligen Bücher und ihre Verfasser un¬ schädlich gemacht, wer würde dann noch in die Galerien gehen und an den Bildern der alten „Meister" seinen unbefangenen Geschmack verderben! Die Künstler, die so sprechen — und es giebt deren, wie ich versichern kann, eine ganze Reihe —, haben bis zu einem gewissen Grade nicht so Unrecht, und ein Einsichtiger wird das Körnchen Wahrheit aus dieser etwas drastischen Opposition gegen die Kunstwissenschaft herauszufinden wissen. Wer indessen glaubt, die Feind¬ schaft zwischen Gelehrten und Künstlern entstamme erst unsern Tagen und sei wirklich eine Folge der in immer breitere Schichten eindringenden kunstgeschicht¬ lichen Erkenntnis, befindet sich doch in argem Irrtume. Zum Beweise, daß auch frühere Zeiten ähnliches gekannt haben, will ich einige Beispiele von Kunst¬ kritik aus der Zeit vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert vorführen, um beiden Parteien zu Nutz und Frommen und wohl auch zum Ergetzen ihr Spiegelbild aus einer Zeit vorzuhalten, der man kunstgeschichtliche Kenntnisse im heutigen Sinne gewiß am wenigsten vorwerfen kann. Wenn das Bild etwas verzerrt erscheint, mag man von diesem Eindrucke den Maßstab entnehmen, den kommende Geschlechter vielleicht an die verwandten Erscheinungen unsrer Tage legen werden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/420>, abgerufen am 26.05.2024.