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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr.

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Ricks Lyhne.
I. P. Jacobsen. Roman von
Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

ir sind heute doch ziemlich obdachlos, meinte Ricks, als sie sich
abermals auf der Straße befanden.

Ja, das ist ganz in der Ordnung, erwiederte Hjcrrild etwas
pathetisch.

Sie begannen ein Gespräch über das Christentum, das Thema
lag ja gleichsam in der Luft.

Ricks sprach heftig, aber in ziemlich allgemeinen Redensarten gegen das
Christentum.

Hjerrild hatte es satt, die Erörterungen, die für ihn etwas altes waren,
von neuem aufzunehmen, deswegen sagte er plötzlich ohne all zu viel Zusammen¬
hang mit dem Vorausgegangenen: Nehmen Sie sich in Acht, Herr Lyhne; das
Christentum besitzt Macht. Es ist dumm, es mit der regierenden Wahrheit zu
verderben, indem man für die Thrvnfolgcrwahrheit agitirt.

Dumm oder nicht dumm, solche Rücksichten müssen hier schweigen.

Sagen Sie das nicht so leichtsinnig; es war nicht meine Absicht, Ihnen
die Trivialität zu sagen, daß es in materieller Hinsicht dumm sei, in ideeller
Hinsicht ist es dumm und mehr als das. Nehmen Sie sich in Acht; wenn es
nicht unumgänglich notwendig für Ihre Persönlichkeit ist, so schließen Sie sich
nicht allzu fest gerade an diese Richtung der Gegenwart an. Als Dichter haben
Sie ja so viele andre Interessen.

Ich verstehe Sie nicht; ich kann doch nicht mit mir Verfahren wie mit einem
Leierkasten, ein weniger populäres Stück herausnehmen und ein andres dafür
einsetzen, welches alle Welt auf den Gassen singt und pfeift!


Grenzboten III. 1888. 12


Ricks Lyhne.
I. P. Jacobsen. Roman von
Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann.
(Fortsetzung.)

ir sind heute doch ziemlich obdachlos, meinte Ricks, als sie sich
abermals auf der Straße befanden.

Ja, das ist ganz in der Ordnung, erwiederte Hjcrrild etwas
pathetisch.

Sie begannen ein Gespräch über das Christentum, das Thema
lag ja gleichsam in der Luft.

Ricks sprach heftig, aber in ziemlich allgemeinen Redensarten gegen das
Christentum.

Hjerrild hatte es satt, die Erörterungen, die für ihn etwas altes waren,
von neuem aufzunehmen, deswegen sagte er plötzlich ohne all zu viel Zusammen¬
hang mit dem Vorausgegangenen: Nehmen Sie sich in Acht, Herr Lyhne; das
Christentum besitzt Macht. Es ist dumm, es mit der regierenden Wahrheit zu
verderben, indem man für die Thrvnfolgcrwahrheit agitirt.

Dumm oder nicht dumm, solche Rücksichten müssen hier schweigen.

Sagen Sie das nicht so leichtsinnig; es war nicht meine Absicht, Ihnen
die Trivialität zu sagen, daß es in materieller Hinsicht dumm sei, in ideeller
Hinsicht ist es dumm und mehr als das. Nehmen Sie sich in Acht; wenn es
nicht unumgänglich notwendig für Ihre Persönlichkeit ist, so schließen Sie sich
nicht allzu fest gerade an diese Richtung der Gegenwart an. Als Dichter haben
Sie ja so viele andre Interessen.

Ich verstehe Sie nicht; ich kann doch nicht mit mir Verfahren wie mit einem
Leierkasten, ein weniger populäres Stück herausnehmen und ein andres dafür
einsetzen, welches alle Welt auf den Gassen singt und pfeift!


Grenzboten III. 1888. 12
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[0097] [Abbildung] Ricks Lyhne. I. P. Jacobsen. Roman von Ans dem Dänischen übersetzt von Mathilde Mann. (Fortsetzung.) ir sind heute doch ziemlich obdachlos, meinte Ricks, als sie sich abermals auf der Straße befanden. Ja, das ist ganz in der Ordnung, erwiederte Hjcrrild etwas pathetisch. Sie begannen ein Gespräch über das Christentum, das Thema lag ja gleichsam in der Luft. Ricks sprach heftig, aber in ziemlich allgemeinen Redensarten gegen das Christentum. Hjerrild hatte es satt, die Erörterungen, die für ihn etwas altes waren, von neuem aufzunehmen, deswegen sagte er plötzlich ohne all zu viel Zusammen¬ hang mit dem Vorausgegangenen: Nehmen Sie sich in Acht, Herr Lyhne; das Christentum besitzt Macht. Es ist dumm, es mit der regierenden Wahrheit zu verderben, indem man für die Thrvnfolgcrwahrheit agitirt. Dumm oder nicht dumm, solche Rücksichten müssen hier schweigen. Sagen Sie das nicht so leichtsinnig; es war nicht meine Absicht, Ihnen die Trivialität zu sagen, daß es in materieller Hinsicht dumm sei, in ideeller Hinsicht ist es dumm und mehr als das. Nehmen Sie sich in Acht; wenn es nicht unumgänglich notwendig für Ihre Persönlichkeit ist, so schließen Sie sich nicht allzu fest gerade an diese Richtung der Gegenwart an. Als Dichter haben Sie ja so viele andre Interessen. Ich verstehe Sie nicht; ich kann doch nicht mit mir Verfahren wie mit einem Leierkasten, ein weniger populäres Stück herausnehmen und ein andres dafür einsetzen, welches alle Welt auf den Gassen singt und pfeift! Grenzboten III. 1888. 12

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_289122/97>, abgerufen am 05.05.2024.