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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum
von einem Deutschrusien (Schluß)

s ist wohl berechtigt, wenn die russische Presse unter Hinweis
auf die angeführten Ziffern des Landzuwachses schmunzelnd meinte,
das sei doch ein weiser Hausvater, der so auf Jahrhunderte hinaus
gesorgt habe, daß seiue Nachkommen keinen Mangel an Raum leiden
könnten. Durchaus verkehrt ist dagegen der ebenfalls oft laut
werdende Vorwurf der russischen Presse, Deutschland sei ein erobernder, ja ein
ländergieriger Staat. Während Moskau einen Weltteil an sich brachte, hat Deutsch¬
land an Gebiet verloren, erheblich verloren. Wir sind von eiuer schmählichen Be¬
scheidenheit in dieser Hinsicht gewesen in der Zeit unsrer Schwäche, und sind es noch
heute bei all unsrer Stärke. Wollten und könnten wir erobern, wie Rußland seit
Jahrhunderten ohne Unterbrechung erobert, so könnten wir im Laufe von zwei
wahren die Grenzen von Deutschland mir ein zweites Deutschland erweitern. Das
großrussische Volk, das an Zahl kaum die Bevölkerung Deutschlands übertrifft,
hat ein über vierzigmal größeres Gebiet in Besitz genommen, als Deutschland
lst, und damit sich eine unerschöpfliche Möglichkeit der politischen, nationalen und
^rtschnstlichen Entwicklung eröffnet. Es strebt unausgesetzt nach eiuer engen
Vereinigung mit Kleinrussen, Serben, Balkanslawen, Tschechen, während wir
wemals auch nur den Versuch gemacht haben, die Germanen Skandinaviens,
Dänemarks, Hollands, Englands für gemeinsame nationale Interessen zusmnmen-
Mschließm. Das Russentum hat bisher uicht die Fähigkeit gehabt, fremde
^omne vou höherer europäischer Kultur mit sich zu verschmelzen. Alle Ver-
V n Europa losgerissenen westlichen Provinzen in das russische
ollstum aufgehen zu mache", zu russisiziren, sind mißlungen. Umgekehrt
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Deutschland und das Slawentum
von einem Deutschrusien (Schluß)

s ist wohl berechtigt, wenn die russische Presse unter Hinweis
auf die angeführten Ziffern des Landzuwachses schmunzelnd meinte,
das sei doch ein weiser Hausvater, der so auf Jahrhunderte hinaus
gesorgt habe, daß seiue Nachkommen keinen Mangel an Raum leiden
könnten. Durchaus verkehrt ist dagegen der ebenfalls oft laut
werdende Vorwurf der russischen Presse, Deutschland sei ein erobernder, ja ein
ländergieriger Staat. Während Moskau einen Weltteil an sich brachte, hat Deutsch¬
land an Gebiet verloren, erheblich verloren. Wir sind von eiuer schmählichen Be¬
scheidenheit in dieser Hinsicht gewesen in der Zeit unsrer Schwäche, und sind es noch
heute bei all unsrer Stärke. Wollten und könnten wir erobern, wie Rußland seit
Jahrhunderten ohne Unterbrechung erobert, so könnten wir im Laufe von zwei
wahren die Grenzen von Deutschland mir ein zweites Deutschland erweitern. Das
großrussische Volk, das an Zahl kaum die Bevölkerung Deutschlands übertrifft,
hat ein über vierzigmal größeres Gebiet in Besitz genommen, als Deutschland
lst, und damit sich eine unerschöpfliche Möglichkeit der politischen, nationalen und
^rtschnstlichen Entwicklung eröffnet. Es strebt unausgesetzt nach eiuer engen
Vereinigung mit Kleinrussen, Serben, Balkanslawen, Tschechen, während wir
wemals auch nur den Versuch gemacht haben, die Germanen Skandinaviens,
Dänemarks, Hollands, Englands für gemeinsame nationale Interessen zusmnmen-
Mschließm. Das Russentum hat bisher uicht die Fähigkeit gehabt, fremde
^omne vou höherer europäischer Kultur mit sich zu verschmelzen. Alle Ver-
V n Europa losgerissenen westlichen Provinzen in das russische
ollstum aufgehen zu mache», zu russisiziren, sind mißlungen. Umgekehrt
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[0113] [Abbildung] Deutschland und das Slawentum von einem Deutschrusien (Schluß) s ist wohl berechtigt, wenn die russische Presse unter Hinweis auf die angeführten Ziffern des Landzuwachses schmunzelnd meinte, das sei doch ein weiser Hausvater, der so auf Jahrhunderte hinaus gesorgt habe, daß seiue Nachkommen keinen Mangel an Raum leiden könnten. Durchaus verkehrt ist dagegen der ebenfalls oft laut werdende Vorwurf der russischen Presse, Deutschland sei ein erobernder, ja ein ländergieriger Staat. Während Moskau einen Weltteil an sich brachte, hat Deutsch¬ land an Gebiet verloren, erheblich verloren. Wir sind von eiuer schmählichen Be¬ scheidenheit in dieser Hinsicht gewesen in der Zeit unsrer Schwäche, und sind es noch heute bei all unsrer Stärke. Wollten und könnten wir erobern, wie Rußland seit Jahrhunderten ohne Unterbrechung erobert, so könnten wir im Laufe von zwei wahren die Grenzen von Deutschland mir ein zweites Deutschland erweitern. Das großrussische Volk, das an Zahl kaum die Bevölkerung Deutschlands übertrifft, hat ein über vierzigmal größeres Gebiet in Besitz genommen, als Deutschland lst, und damit sich eine unerschöpfliche Möglichkeit der politischen, nationalen und ^rtschnstlichen Entwicklung eröffnet. Es strebt unausgesetzt nach eiuer engen Vereinigung mit Kleinrussen, Serben, Balkanslawen, Tschechen, während wir wemals auch nur den Versuch gemacht haben, die Germanen Skandinaviens, Dänemarks, Hollands, Englands für gemeinsame nationale Interessen zusmnmen- Mschließm. Das Russentum hat bisher uicht die Fähigkeit gehabt, fremde ^omne vou höherer europäischer Kultur mit sich zu verschmelzen. Alle Ver- V n Europa losgerissenen westlichen Provinzen in das russische ollstum aufgehen zu mache», zu russisiziren, sind mißlungen. Umgekehrt wreu zbotn, 1 1L6!> 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/113>, abgerufen am 05.05.2024.