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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmcißaebliches

der einen Menschen erst hinaustreibt und dann seine Entfernung bedauert,
unverständlich die Unfähigkeit, ein geschehenes Unrecht um jeden Preis wieder
gut zu macheu, wäre der Preis selbst die harte Ausgabe, einmal schamlos die
Wahrheit zu sagen, unverständlich eigentlich an allem, was nach der Verlobung
geschah, die Art, wie sie es gethan oder gesagt hat. Ich habe an ihr die
Erfahrung gemacht, daß es eine ganze Klasse von Wesen giebt, mit der ich
nicht verkehren kann, weil sie von allem, was mir natürlich und griffgerecht
ist, durch eine dicke Mauer anerzogener Konventionen getrennt sind. Ich habe
keine Lust, die Erfahrung zum zweitenmal zu machen.

Damit ging er. Jetzt ist auch er gestorben, und Tausende klagten ihm
nach. Er hat, soviel mir bekannt, nie wieder einen Menschen in seine Tiefe
blicken lassen. Aber eins konnte ich seit jener Zeit an ihm bemerken: er war
duldsamer gegen Vorurteil und Zimperlichkeit geworden, wo sie ihm in seinem
Berufe begegneten. Früher setzte er die Leute, die ihn mit solchen Eigen¬
schaften aufhalten wollten, kurz und hohuvoll vor die Thüre; jetzt war er
milder und ließ sich herbei, ihnen mancherlei auszureden. Das verdanken sie
ihr, von der sie nichts wußten.")




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Polnischer Karneval.

Nach dem Jahre 1848 wurde oft von einem Wede-
l""f der festländischen Regierungen gesprochen, deren jede es allen andern in der
Wiederherstellung abgelebter Einrichtungen zuvorzuthun suchte. Heute scheint zwischen
den Völkern ein ähnlicher Wetteifer entbrannt zu sein. Fast überall ist die Haupt¬
sorge des Tages, am handgreiflichsten und unwiderleglichsten darzuthun, daß unser
Geschlecht die Politische Freiheit nicht vertragen könne. Noch behaupten die Franzosen
einen Vorsprung; angeborne Gaben und durch Tradition vererbte Geschicklichkeit,
dazu der Segen des unverfälschten Parlamentarismus begünstigen sie entschieden.
Aber sie haben allerorten gelehrige Schüler, die sich entschlossen zeigen, den Meistern
den Ruhm der Führerschaft streitig zu machen. Das jetzt wieder in Paris vor¬
geführte Kunststück, der Negierung alle irgend erdenklichen Verlegenheiten zu be¬
reiten, sie der Tyrannei und des Verrates anzuklagen, wenn sie sich wehrt, und der



*) Berichtigung. In der ersten Hälfte der vorstehenden Erzählung sind durch ein Ver-
sehen einige' Druckfehler stehen geblieben, S. 430, Z- 14 v. u. lies "sie" statt "S,e",
S. 431, Z. 12 v. u. "Ruf" statt "Beruf".
Grenzboten I 188g ^
Maßgebliches und Unmcißaebliches

der einen Menschen erst hinaustreibt und dann seine Entfernung bedauert,
unverständlich die Unfähigkeit, ein geschehenes Unrecht um jeden Preis wieder
gut zu macheu, wäre der Preis selbst die harte Ausgabe, einmal schamlos die
Wahrheit zu sagen, unverständlich eigentlich an allem, was nach der Verlobung
geschah, die Art, wie sie es gethan oder gesagt hat. Ich habe an ihr die
Erfahrung gemacht, daß es eine ganze Klasse von Wesen giebt, mit der ich
nicht verkehren kann, weil sie von allem, was mir natürlich und griffgerecht
ist, durch eine dicke Mauer anerzogener Konventionen getrennt sind. Ich habe
keine Lust, die Erfahrung zum zweitenmal zu machen.

Damit ging er. Jetzt ist auch er gestorben, und Tausende klagten ihm
nach. Er hat, soviel mir bekannt, nie wieder einen Menschen in seine Tiefe
blicken lassen. Aber eins konnte ich seit jener Zeit an ihm bemerken: er war
duldsamer gegen Vorurteil und Zimperlichkeit geworden, wo sie ihm in seinem
Berufe begegneten. Früher setzte er die Leute, die ihn mit solchen Eigen¬
schaften aufhalten wollten, kurz und hohuvoll vor die Thüre; jetzt war er
milder und ließ sich herbei, ihnen mancherlei auszureden. Das verdanken sie
ihr, von der sie nichts wußten.")




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Polnischer Karneval.

Nach dem Jahre 1848 wurde oft von einem Wede-
l""f der festländischen Regierungen gesprochen, deren jede es allen andern in der
Wiederherstellung abgelebter Einrichtungen zuvorzuthun suchte. Heute scheint zwischen
den Völkern ein ähnlicher Wetteifer entbrannt zu sein. Fast überall ist die Haupt¬
sorge des Tages, am handgreiflichsten und unwiderleglichsten darzuthun, daß unser
Geschlecht die Politische Freiheit nicht vertragen könne. Noch behaupten die Franzosen
einen Vorsprung; angeborne Gaben und durch Tradition vererbte Geschicklichkeit,
dazu der Segen des unverfälschten Parlamentarismus begünstigen sie entschieden.
Aber sie haben allerorten gelehrige Schüler, die sich entschlossen zeigen, den Meistern
den Ruhm der Führerschaft streitig zu machen. Das jetzt wieder in Paris vor¬
geführte Kunststück, der Negierung alle irgend erdenklichen Verlegenheiten zu be¬
reiten, sie der Tyrannei und des Verrates anzuklagen, wenn sie sich wehrt, und der



*) Berichtigung. In der ersten Hälfte der vorstehenden Erzählung sind durch ein Ver-
sehen einige' Druckfehler stehen geblieben, S. 430, Z- 14 v. u. lies „sie" statt „S,e",
S. 431, Z. 12 v. u. „Ruf" statt „Beruf".
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[0489] Maßgebliches und Unmcißaebliches der einen Menschen erst hinaustreibt und dann seine Entfernung bedauert, unverständlich die Unfähigkeit, ein geschehenes Unrecht um jeden Preis wieder gut zu macheu, wäre der Preis selbst die harte Ausgabe, einmal schamlos die Wahrheit zu sagen, unverständlich eigentlich an allem, was nach der Verlobung geschah, die Art, wie sie es gethan oder gesagt hat. Ich habe an ihr die Erfahrung gemacht, daß es eine ganze Klasse von Wesen giebt, mit der ich nicht verkehren kann, weil sie von allem, was mir natürlich und griffgerecht ist, durch eine dicke Mauer anerzogener Konventionen getrennt sind. Ich habe keine Lust, die Erfahrung zum zweitenmal zu machen. Damit ging er. Jetzt ist auch er gestorben, und Tausende klagten ihm nach. Er hat, soviel mir bekannt, nie wieder einen Menschen in seine Tiefe blicken lassen. Aber eins konnte ich seit jener Zeit an ihm bemerken: er war duldsamer gegen Vorurteil und Zimperlichkeit geworden, wo sie ihm in seinem Berufe begegneten. Früher setzte er die Leute, die ihn mit solchen Eigen¬ schaften aufhalten wollten, kurz und hohuvoll vor die Thüre; jetzt war er milder und ließ sich herbei, ihnen mancherlei auszureden. Das verdanken sie ihr, von der sie nichts wußten.") Maßgebliches und Unmaßgebliches Polnischer Karneval. Nach dem Jahre 1848 wurde oft von einem Wede- l""f der festländischen Regierungen gesprochen, deren jede es allen andern in der Wiederherstellung abgelebter Einrichtungen zuvorzuthun suchte. Heute scheint zwischen den Völkern ein ähnlicher Wetteifer entbrannt zu sein. Fast überall ist die Haupt¬ sorge des Tages, am handgreiflichsten und unwiderleglichsten darzuthun, daß unser Geschlecht die Politische Freiheit nicht vertragen könne. Noch behaupten die Franzosen einen Vorsprung; angeborne Gaben und durch Tradition vererbte Geschicklichkeit, dazu der Segen des unverfälschten Parlamentarismus begünstigen sie entschieden. Aber sie haben allerorten gelehrige Schüler, die sich entschlossen zeigen, den Meistern den Ruhm der Führerschaft streitig zu machen. Das jetzt wieder in Paris vor¬ geführte Kunststück, der Negierung alle irgend erdenklichen Verlegenheiten zu be¬ reiten, sie der Tyrannei und des Verrates anzuklagen, wenn sie sich wehrt, und der *) Berichtigung. In der ersten Hälfte der vorstehenden Erzählung sind durch ein Ver- sehen einige' Druckfehler stehen geblieben, S. 430, Z- 14 v. u. lies „sie" statt „S,e", S. 431, Z. 12 v. u. „Ruf" statt „Beruf". Grenzboten I 188g ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/489>, abgerufen am 05.05.2024.