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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Was will man denn weiter machen, wenn es die Kinder durchaus haben
wollen?

Sehen Sie mal, Herr Kollege, da hauen Sie ein Stück "Hygiene."

Ja, woher soll es denn das Volk wissen, was es zu thun und zu lassen hat,
wenn es nicht unterrichtet wird? Ich halte es durchaus für nötig, daß in der
Volksschule Gesundheitslehre eingeführt wird. Sie meinen, dazu sei keine Zeit? Für
die deutscheu Kaiser, für Abraham und die Propheten ist immer Zeit -- nicht
wahr? Ich halte die Gesundheitslehre für viel wichtiger als das alles.
'

Na, da wünsch ich Ihnen viel Glück, Herr Kollege.

^it ng,turn.in <lnlbil>!>.vit


1?.


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom falschen und vom echten Bischer.

Vor etwa zwei Monaten erschien
in Stuttgart ein Buch, das durch seineu Titel viele Käufer angelockt haben wird:
"Schillers Leben und Wirken. In zwanglos gebundener Rede dargestellt von einem
Ungenannten, aber doch Bekannten." Die geheimnisvolle Andeutung über den Ver¬
fasser klärt der ungenannte Herausgeber in der Vorrede in einer Weise auf, die
geeignet ist, den Leser gründlich irre zu führen. Nachdem er mitgeteilt hat, daß die
Dichtung bereits zum Schillerjubiläum des Jahres 185!) vollendet war, aber aus
besondern Gründen, die nach dem "unlängst erfolgten Tode des schwäbischen Un¬
genannten, aber doch Bekannten hinfällig geworden sind," nicht Veröffentlicht wurde,
fährt er fort: "Nur ein Mann von dem feine" Geist und edeln Gefühl des Ver¬
fassers durste es wagen, unsern großen Klassiker in der Gestalt eines ernstkomischen
Heldengedichtes zu besingen. Nicht nur daß er unsre Empfindung für das Geweihte
und Hohe nicht im mindesten verletzt, gelang es ihm, vielmehr den didaktischen
Inhalt derart hervortreten zu lassen, daß Verständnis und Liebe für Schiller nur
gewinnen können." Was Wunder, daß die meisten Leser nach einem solchen Finger¬
zeig hinter dem schwäbischen Ungenannten, aber doch Bekannten keinen geringeren als
den berühmten Aesthetiker Fr. Th. Bischer, den Verfasser des famosen: "Auch Einer",
suchen zu müssen glaubten, der ja unlängst verstorben ist und seiner Zeit unter dem
Pseudonym des seligen Schartenmayers die Ereignisse des Krieges von 1870 und 71
in einem auf den ersten Blick sehr ähnlich gearteten Heldengedichte besungen hat.
Die ^Vermutung von Wischers Autorschaft lag so nahe, daß 'sie auch in Anzeigen
des Buches öffentlich ausgesprochen wurde. So lesen wir z. B. in Seemanns
Litterarischen Jahresbericht (1888. S. 65): "Es war eine wunderliche Idee, das
Leben Schillers in Knittelreime nach Art der Jobsiade zu gießen! Sie konnte
nur aus einem so wunderlichen Kopfe und Wesen entspringen, wie dein des
Verfassers -- dem, der Verfasser ist offenbar kein andrer, als der "alte Scharten-


Was will man denn weiter machen, wenn es die Kinder durchaus haben
wollen?

Sehen Sie mal, Herr Kollege, da hauen Sie ein Stück „Hygiene."

Ja, woher soll es denn das Volk wissen, was es zu thun und zu lassen hat,
wenn es nicht unterrichtet wird? Ich halte es durchaus für nötig, daß in der
Volksschule Gesundheitslehre eingeführt wird. Sie meinen, dazu sei keine Zeit? Für
die deutscheu Kaiser, für Abraham und die Propheten ist immer Zeit — nicht
wahr? Ich halte die Gesundheitslehre für viel wichtiger als das alles.
'

Na, da wünsch ich Ihnen viel Glück, Herr Kollege.

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1?.


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Vom falschen und vom echten Bischer.

Vor etwa zwei Monaten erschien
in Stuttgart ein Buch, das durch seineu Titel viele Käufer angelockt haben wird:
„Schillers Leben und Wirken. In zwanglos gebundener Rede dargestellt von einem
Ungenannten, aber doch Bekannten." Die geheimnisvolle Andeutung über den Ver¬
fasser klärt der ungenannte Herausgeber in der Vorrede in einer Weise auf, die
geeignet ist, den Leser gründlich irre zu führen. Nachdem er mitgeteilt hat, daß die
Dichtung bereits zum Schillerjubiläum des Jahres 185!) vollendet war, aber aus
besondern Gründen, die nach dem „unlängst erfolgten Tode des schwäbischen Un¬
genannten, aber doch Bekannten hinfällig geworden sind," nicht Veröffentlicht wurde,
fährt er fort: „Nur ein Mann von dem feine« Geist und edeln Gefühl des Ver¬
fassers durste es wagen, unsern großen Klassiker in der Gestalt eines ernstkomischen
Heldengedichtes zu besingen. Nicht nur daß er unsre Empfindung für das Geweihte
und Hohe nicht im mindesten verletzt, gelang es ihm, vielmehr den didaktischen
Inhalt derart hervortreten zu lassen, daß Verständnis und Liebe für Schiller nur
gewinnen können." Was Wunder, daß die meisten Leser nach einem solchen Finger¬
zeig hinter dem schwäbischen Ungenannten, aber doch Bekannten keinen geringeren als
den berühmten Aesthetiker Fr. Th. Bischer, den Verfasser des famosen: „Auch Einer",
suchen zu müssen glaubten, der ja unlängst verstorben ist und seiner Zeit unter dem
Pseudonym des seligen Schartenmayers die Ereignisse des Krieges von 1870 und 71
in einem auf den ersten Blick sehr ähnlich gearteten Heldengedichte besungen hat.
Die ^Vermutung von Wischers Autorschaft lag so nahe, daß 'sie auch in Anzeigen
des Buches öffentlich ausgesprochen wurde. So lesen wir z. B. in Seemanns
Litterarischen Jahresbericht (1888. S. 65): „Es war eine wunderliche Idee, das
Leben Schillers in Knittelreime nach Art der Jobsiade zu gießen! Sie konnte
nur aus einem so wunderlichen Kopfe und Wesen entspringen, wie dein des
Verfassers — dem, der Verfasser ist offenbar kein andrer, als der „alte Scharten-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/52>, abgerufen am 05.05.2024.