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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

heit, oder er ergeht sich in schwungvollen nichtssagenden Redensarten. Also bleibt
nichts übrig, als das Ding selbst zu machen, wenn man etwas ordentliches haben
will. So zog denn am andern Morgen der Klassenerste mit dem "Material" zur
Kritik, das Leixner schon im voraus zusammengestellt hatte, zur Expedition. Rösing
hatte uur noch Kopf und Schwanz daran zu machen, und am Abend stand eine
lange Rezension im Jntelligenzblatte.

Sie ging von der in vorwurfsvollem Tone vorgetragnen Bemerkung aus,
daß man unsterbliche Meisterwerke wie Heydns "Schöpfung" viel zu selten zu Ge¬
hör bekomme. Man sei der Opferfreudigkeit des Gesangvereins und seines be¬
währten Dirigenten zu großem Danke verpflichtet, daß unsrer Stadt der Genuß,
die Schöpfung" zu hören, nicht länger vorenthalten geblieben sei. Dann folgte
aus Riemanns Musiklexikon ein Absatz über das Oratorium im allgemeinen, über
Haydn im besondern und Haydns "Schöpfung" im allerbesondcrsten. Die Auffüh¬
rung war natürlich über alles Lob erhaben gewesen, die Chöre sicher eingeübt,
und mit "dynamischen Feinheiten" ausgestattet, die Leitung durch "unsern wohl¬
bewährten Leixner musterhaft," der Gesamteindruck "ein gewaltiger." Auch das
Orchester unter der Leitung "unsers Tanneboom" war "recht brav" gewesen. Die
fremden Sängerinnen kriegten in etwas geheimnisvoller Form ihren Klaps. Etwas
muß man doch in einer Rezension auch tadeln, und bei einer fremden Sängerin
kann das keine Übeln Folgen haben.

Man las die Rezension mit vieler Andacht. Nun erfuhr man doch auch,
was man gehört hatte. Auch Leixner konnte es nicht lassen, sie mit liebevollem
Verweilen seiner Gedanken ein halbes Dutzend mal zu lesen. Das war sein Lohn
für die viele Arbeit.

selbigen Abends ward in verschiednen Gasthäusern barbarisch auf Leixner
geschimpft. Wir müssen leider sagen, daß die Herren Kollegen die schlimmsten
waren. Was dieser Leixner sich einbildet, hieß es, der denkt, weil seine Frau
eine geborne Häseler ist -- was dem seine Frau ist, das ist meine Frau allemal. --
Und mit der Musik ist es auch nicht so weit her bei ihm, wie er sich einbildet. --
Und die Rezension hat er doch selber geschrieben. -- Kinder, laßt ihn, er hat sein
musikalisches Einmaleins hergesagt und sich zum Lohne einen raufgesetzt.

Musikalisch sind wir in Scharzberg, das muß man uns lassen. Aber wo bleibt
die Singakademie? Die kommt das nächstemal dran.


F A
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein neuer Ballhorn.

Die deutsche Schule begeht in diesen Tagen
(26. März) den hundertjährigen Geburtstag eines Dichters, der mit seinen Liedern
und Fabeln in den Kinderstuben und in den Unterklassen der Volksschulen zum
unbestrittenen Liebling der Jugend geworden ist, den Geburtstag Wilhelm Heys.

Da trifft es sich denn seltsam, daß just zu derselben Zeit ein deutscher Lehrer
sich aufs gröblichste an den. Dichter versündigt, den andre deutsche Lehrer mit


Maßgebliches und Unmaßgebliches

heit, oder er ergeht sich in schwungvollen nichtssagenden Redensarten. Also bleibt
nichts übrig, als das Ding selbst zu machen, wenn man etwas ordentliches haben
will. So zog denn am andern Morgen der Klassenerste mit dem „Material" zur
Kritik, das Leixner schon im voraus zusammengestellt hatte, zur Expedition. Rösing
hatte uur noch Kopf und Schwanz daran zu machen, und am Abend stand eine
lange Rezension im Jntelligenzblatte.

Sie ging von der in vorwurfsvollem Tone vorgetragnen Bemerkung aus,
daß man unsterbliche Meisterwerke wie Heydns „Schöpfung" viel zu selten zu Ge¬
hör bekomme. Man sei der Opferfreudigkeit des Gesangvereins und seines be¬
währten Dirigenten zu großem Danke verpflichtet, daß unsrer Stadt der Genuß,
die Schöpfung" zu hören, nicht länger vorenthalten geblieben sei. Dann folgte
aus Riemanns Musiklexikon ein Absatz über das Oratorium im allgemeinen, über
Haydn im besondern und Haydns „Schöpfung" im allerbesondcrsten. Die Auffüh¬
rung war natürlich über alles Lob erhaben gewesen, die Chöre sicher eingeübt,
und mit „dynamischen Feinheiten" ausgestattet, die Leitung durch „unsern wohl¬
bewährten Leixner musterhaft," der Gesamteindruck „ein gewaltiger." Auch das
Orchester unter der Leitung „unsers Tanneboom" war „recht brav" gewesen. Die
fremden Sängerinnen kriegten in etwas geheimnisvoller Form ihren Klaps. Etwas
muß man doch in einer Rezension auch tadeln, und bei einer fremden Sängerin
kann das keine Übeln Folgen haben.

Man las die Rezension mit vieler Andacht. Nun erfuhr man doch auch,
was man gehört hatte. Auch Leixner konnte es nicht lassen, sie mit liebevollem
Verweilen seiner Gedanken ein halbes Dutzend mal zu lesen. Das war sein Lohn
für die viele Arbeit.

selbigen Abends ward in verschiednen Gasthäusern barbarisch auf Leixner
geschimpft. Wir müssen leider sagen, daß die Herren Kollegen die schlimmsten
waren. Was dieser Leixner sich einbildet, hieß es, der denkt, weil seine Frau
eine geborne Häseler ist — was dem seine Frau ist, das ist meine Frau allemal. —
Und mit der Musik ist es auch nicht so weit her bei ihm, wie er sich einbildet. —
Und die Rezension hat er doch selber geschrieben. — Kinder, laßt ihn, er hat sein
musikalisches Einmaleins hergesagt und sich zum Lohne einen raufgesetzt.

Musikalisch sind wir in Scharzberg, das muß man uns lassen. Aber wo bleibt
die Singakademie? Die kommt das nächstemal dran.


F A
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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Ein neuer Ballhorn.

Die deutsche Schule begeht in diesen Tagen
(26. März) den hundertjährigen Geburtstag eines Dichters, der mit seinen Liedern
und Fabeln in den Kinderstuben und in den Unterklassen der Volksschulen zum
unbestrittenen Liebling der Jugend geworden ist, den Geburtstag Wilhelm Heys.

Da trifft es sich denn seltsam, daß just zu derselben Zeit ein deutscher Lehrer
sich aufs gröblichste an den. Dichter versündigt, den andre deutsche Lehrer mit


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[0626] Maßgebliches und Unmaßgebliches heit, oder er ergeht sich in schwungvollen nichtssagenden Redensarten. Also bleibt nichts übrig, als das Ding selbst zu machen, wenn man etwas ordentliches haben will. So zog denn am andern Morgen der Klassenerste mit dem „Material" zur Kritik, das Leixner schon im voraus zusammengestellt hatte, zur Expedition. Rösing hatte uur noch Kopf und Schwanz daran zu machen, und am Abend stand eine lange Rezension im Jntelligenzblatte. Sie ging von der in vorwurfsvollem Tone vorgetragnen Bemerkung aus, daß man unsterbliche Meisterwerke wie Heydns „Schöpfung" viel zu selten zu Ge¬ hör bekomme. Man sei der Opferfreudigkeit des Gesangvereins und seines be¬ währten Dirigenten zu großem Danke verpflichtet, daß unsrer Stadt der Genuß, die Schöpfung" zu hören, nicht länger vorenthalten geblieben sei. Dann folgte aus Riemanns Musiklexikon ein Absatz über das Oratorium im allgemeinen, über Haydn im besondern und Haydns „Schöpfung" im allerbesondcrsten. Die Auffüh¬ rung war natürlich über alles Lob erhaben gewesen, die Chöre sicher eingeübt, und mit „dynamischen Feinheiten" ausgestattet, die Leitung durch „unsern wohl¬ bewährten Leixner musterhaft," der Gesamteindruck „ein gewaltiger." Auch das Orchester unter der Leitung „unsers Tanneboom" war „recht brav" gewesen. Die fremden Sängerinnen kriegten in etwas geheimnisvoller Form ihren Klaps. Etwas muß man doch in einer Rezension auch tadeln, und bei einer fremden Sängerin kann das keine Übeln Folgen haben. Man las die Rezension mit vieler Andacht. Nun erfuhr man doch auch, was man gehört hatte. Auch Leixner konnte es nicht lassen, sie mit liebevollem Verweilen seiner Gedanken ein halbes Dutzend mal zu lesen. Das war sein Lohn für die viele Arbeit. selbigen Abends ward in verschiednen Gasthäusern barbarisch auf Leixner geschimpft. Wir müssen leider sagen, daß die Herren Kollegen die schlimmsten waren. Was dieser Leixner sich einbildet, hieß es, der denkt, weil seine Frau eine geborne Häseler ist — was dem seine Frau ist, das ist meine Frau allemal. — Und mit der Musik ist es auch nicht so weit her bei ihm, wie er sich einbildet. — Und die Rezension hat er doch selber geschrieben. — Kinder, laßt ihn, er hat sein musikalisches Einmaleins hergesagt und sich zum Lohne einen raufgesetzt. Musikalisch sind wir in Scharzberg, das muß man uns lassen. Aber wo bleibt die Singakademie? Die kommt das nächstemal dran. F A Ä(1 n»>durs,tu clslinskvit Maßgebliches und Unmaßgebliches Ein neuer Ballhorn. Die deutsche Schule begeht in diesen Tagen (26. März) den hundertjährigen Geburtstag eines Dichters, der mit seinen Liedern und Fabeln in den Kinderstuben und in den Unterklassen der Volksschulen zum unbestrittenen Liebling der Jugend geworden ist, den Geburtstag Wilhelm Heys. Da trifft es sich denn seltsam, daß just zu derselben Zeit ein deutscher Lehrer sich aufs gröblichste an den. Dichter versündigt, den andre deutsche Lehrer mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/626>, abgerufen am 05.05.2024.