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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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zu nutze. Im Zuge am sogenannten Nvsenmontag befand sich ein Wagen, auf dein
eine Hutfabrik eingerichtet war. Zahllose helle Zylinderhüte wurden da angefertigt
und unentgeltlich um jeden Liebhaber verabfolgt, doch unter der einen Bedingung,
daß er den Wagen besteigen und fich die berühmte Kopfbedeckung von den Fabri¬
kanten mußte aufsetzen lassen. Natürlich wurde ihm dann der Hut sofort einge-
trieben, und zwar derart, daß er geunu so saß. wie er am 22. Juli 1865 dem
Bürgermeister Elch gesessen hatte.

Meine Mitteilungen haben nur den Zweck, auf jenes welterschütterude Trauer¬
spiel eiuen Strahl der Heiterkeit zu werfen, und in dieser löblichen Absicht möge
Meine Entschuldigung gefunden werden.


Theodor Fontäne

hat vor kurzem seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert und
zugleich eine dritte, vermehrt" Auflage seiner "Gedichte" (Berlin, Wilhelm
Hertz) herausgegeben. Die alten prächtigen Balladen: "Schloß Eger," "Der
Tag von Hemmingstedt," "Archibald Douglas," "Das Trauerspiel in Afghanistan,"
die preußischen Männer und Helden, die Lieder von der schönen Rosamunde.
die Lieder und Balladen nach dem Englischen, die Gedichte zum dreimaligen
Siegeseinzug des preußischen Heeres in Berlin (18L4, 13L6, 1871), das
reizende "Ans der Treppe von Sanssouci" (zu Adolf Menzels siebzigsten Geburts¬
tag), eine ganze Reihe andrer, die die erste und zweite Sammlung schmückte"
und die Fontane lange überleben werden, fehlen natürlich in der neuen Auslage
nicht. Aber es ist auch mauches hinzugekommen, was den Wert dieses Bandes
wesentlich erhöht und das Gefühl der Teilnahme, der Liebe und des Respekts, das
wir für deu Dichter hegen, noch verstärken hilft. Wenn er singt:


Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
Eigen war mein Weg und Ziel.
Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
Andre sind reich, ich bin arm.
Und doch wttrs in die Wahl mir gegeben.
Ich führte noch einmal dasselbe Lebe".
Und sollt ich noch einmal die Tage beginnen,
Ich würde denselben Faden spinne"

s" können nur ihm das aufs Wort glauben, tonnen eS auch mit ihm als ein Glück
empfinde", daß ein deutscher Dichter doch uoch eine Ecke hie und da findet, wo
>nein ihm seine Selbständigkeit gelten lassen muß:


Jeder Einfall, statt ihn zu loben,
Wird einem andern zugeschoben.
Ein Glück, so hab ich oft gedacht.
Daß Zoln keine Balladen gemacht.

Aber tragisch zu nehmen brauchen wir diese Empfindung nicht, gegenüber der köst¬
lichen und liebenswürdigen Ironie, mit der Fontane in den Genrebildern "Aus
der Gesellschaft" ein ganzes Stück moderner Welt spiegelt und epigrammatisch be¬
leuchtet. "Hoffest," "Der Sommer- und Wintergehcimrat"Auf dem Matthäi-
k'nhhof," "Wie mans machen muß" und "Erfolganbeter" sind in ihrer Art un-
übertrefflich. Die Erfvlgaubeter mögen in ihrer knappen und schlagenden Kurze
gleich hier stehen:


zu nutze. Im Zuge am sogenannten Nvsenmontag befand sich ein Wagen, auf dein
eine Hutfabrik eingerichtet war. Zahllose helle Zylinderhüte wurden da angefertigt
und unentgeltlich um jeden Liebhaber verabfolgt, doch unter der einen Bedingung,
daß er den Wagen besteigen und fich die berühmte Kopfbedeckung von den Fabri¬
kanten mußte aufsetzen lassen. Natürlich wurde ihm dann der Hut sofort einge-
trieben, und zwar derart, daß er geunu so saß. wie er am 22. Juli 1865 dem
Bürgermeister Elch gesessen hatte.

Meine Mitteilungen haben nur den Zweck, auf jenes welterschütterude Trauer¬
spiel eiuen Strahl der Heiterkeit zu werfen, und in dieser löblichen Absicht möge
Meine Entschuldigung gefunden werden.


Theodor Fontäne

hat vor kurzem seinen siebzigsten Geburtstag gefeiert und
zugleich eine dritte, vermehrt« Auflage seiner „Gedichte" (Berlin, Wilhelm
Hertz) herausgegeben. Die alten prächtigen Balladen: „Schloß Eger," „Der
Tag von Hemmingstedt," „Archibald Douglas," „Das Trauerspiel in Afghanistan,"
die preußischen Männer und Helden, die Lieder von der schönen Rosamunde.
die Lieder und Balladen nach dem Englischen, die Gedichte zum dreimaligen
Siegeseinzug des preußischen Heeres in Berlin (18L4, 13L6, 1871), das
reizende „Ans der Treppe von Sanssouci" (zu Adolf Menzels siebzigsten Geburts¬
tag), eine ganze Reihe andrer, die die erste und zweite Sammlung schmückte»
und die Fontane lange überleben werden, fehlen natürlich in der neuen Auslage
nicht. Aber es ist auch mauches hinzugekommen, was den Wert dieses Bandes
wesentlich erhöht und das Gefühl der Teilnahme, der Liebe und des Respekts, das
wir für deu Dichter hegen, noch verstärken hilft. Wenn er singt:


Die Menschen kümmerten mich nicht viel,
Eigen war mein Weg und Ziel.
Ich mied den Markt, ich mied den Schwarm,
Andre sind reich, ich bin arm.
Und doch wttrs in die Wahl mir gegeben.
Ich führte noch einmal dasselbe Lebe».
Und sollt ich noch einmal die Tage beginnen,
Ich würde denselben Faden spinne»

s" können nur ihm das aufs Wort glauben, tonnen eS auch mit ihm als ein Glück
empfinde», daß ein deutscher Dichter doch uoch eine Ecke hie und da findet, wo
>nein ihm seine Selbständigkeit gelten lassen muß:


Jeder Einfall, statt ihn zu loben,
Wird einem andern zugeschoben.
Ein Glück, so hab ich oft gedacht.
Daß Zoln keine Balladen gemacht.

Aber tragisch zu nehmen brauchen wir diese Empfindung nicht, gegenüber der köst¬
lichen und liebenswürdigen Ironie, mit der Fontane in den Genrebildern „Aus
der Gesellschaft" ein ganzes Stück moderner Welt spiegelt und epigrammatisch be¬
leuchtet. „Hoffest," „Der Sommer- und Wintergehcimrat„Auf dem Matthäi-
k'nhhof," „Wie mans machen muß" und „Erfolganbeter" sind in ihrer Art un-
übertrefflich. Die Erfvlgaubeter mögen in ihrer knappen und schlagenden Kurze
gleich hier stehen:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/151>, abgerufen am 06.05.2024.