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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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^.rs illiliwlls -- ^Vis triumplisus?

sich nichts nehmen, dein sich nichts zusetzen läßt. Der äußerlich zufällige Akt¬
schluß ist zu einem innerlich begründeten, notwendigen geworden. Soll aber
der Schluß auch zugleich überleiten zu dem neuen Teil der Handlung, so greift
Schiller nicht mehr zu dem Mittel, durch die Entfernung der Personen und
ihre Begründung die neue Handlung einzusetzen, sondern er läßt durch bedeut¬
same, gewichtige Worte den weitern Verlauf mehr ahnen als erkennen.

Dieser große Gegensatz zwischen Lessing und Schiller prägt sich auch in
dem Dramenschlusfe beider aus. Lessings Abneigung gegen den epigrammtischen
Schluß "mit der Spitze des Dolches oder dem letzten Seufzer des Helden"
verlangt ein allmähliches Ausklingen, ein Abschwächen des Schlusses, eine
Beruhigung der aufgeregten Leidenschaften durch die Hinzufügung einer uns
nicht streng notwendig, manchmal sogar episodisch erscheinenden Handlung,
die er zur völligen Rundung des Stückes für unentbehrlich hielt. Wie ganz
anders Schiller! Selbst in den letzten Worten seiner Dramen zeigt sich der
große, der Wirkung kundige Dramatiker. Nur drei oder vier Worte am Schluß,
wie: "Ich gehe zum Andreas" -- "Dem Fürsten Piccolomini" -- "Jetzt euer
Gefangner" -- "Der Übel größtes ist die Schuld" -- aber welch eine gewaltige
Wirkung in diesen Worten! Sie zaubern uoch einmal das Bild der ganzen
Handlung vor unsre Augen und eröffnen zugleich eine weitere Perspektive, sie
lassen uns etwas Neues ahnen, das unsern Verstand und unsre Phantasie
"och lauge beschäftigt.




^.rs mi1it^Q3 --^.rs triump1^^n8?

le Kirchenväter unterscheiden bekanntlich eine streitende und eine
triumphirende Kirche. Die jüngste Ästhetik will es ihnen nach-
thun und verkündet, daß der "streitenden" Kunst unsrer Tage
die "triumphirende" Kunst nicht nnr auf dem Fuße folgen, sondern
-- "recht, als ein Palmbaum hoch über sich steigt, hat ihn erst
>^'gen und Sturmwind gebeugt" --, wie schon ein paarmal zuvor, aus der
leitende" Kunst selbst hervorwachsen werde. Die Philister, die sich alles
Alfreden lassen, was mit einer gewissen kecken Sicherheit <und vielleicht auch
"us Überzeugung) behauptet wird, leben denn auch bereits der frohen Hoff-
^Uig, daß die brutalste Darstellung widriger Entartungen unsers modernen
eus, ausschließliche Vorführung von schwindelnden Größenwahn und
frischer Gemeinheit unter demselben Schädeldach, von Säuferwahnsinn und
^asterblödsinu, von Trunk und Blutschande, von harter Arbeit ohne Frucht


^.rs illiliwlls — ^Vis triumplisus?

sich nichts nehmen, dein sich nichts zusetzen läßt. Der äußerlich zufällige Akt¬
schluß ist zu einem innerlich begründeten, notwendigen geworden. Soll aber
der Schluß auch zugleich überleiten zu dem neuen Teil der Handlung, so greift
Schiller nicht mehr zu dem Mittel, durch die Entfernung der Personen und
ihre Begründung die neue Handlung einzusetzen, sondern er läßt durch bedeut¬
same, gewichtige Worte den weitern Verlauf mehr ahnen als erkennen.

Dieser große Gegensatz zwischen Lessing und Schiller prägt sich auch in
dem Dramenschlusfe beider aus. Lessings Abneigung gegen den epigrammtischen
Schluß „mit der Spitze des Dolches oder dem letzten Seufzer des Helden"
verlangt ein allmähliches Ausklingen, ein Abschwächen des Schlusses, eine
Beruhigung der aufgeregten Leidenschaften durch die Hinzufügung einer uns
nicht streng notwendig, manchmal sogar episodisch erscheinenden Handlung,
die er zur völligen Rundung des Stückes für unentbehrlich hielt. Wie ganz
anders Schiller! Selbst in den letzten Worten seiner Dramen zeigt sich der
große, der Wirkung kundige Dramatiker. Nur drei oder vier Worte am Schluß,
wie: „Ich gehe zum Andreas" — „Dem Fürsten Piccolomini" — „Jetzt euer
Gefangner" — „Der Übel größtes ist die Schuld" — aber welch eine gewaltige
Wirkung in diesen Worten! Sie zaubern uoch einmal das Bild der ganzen
Handlung vor unsre Augen und eröffnen zugleich eine weitere Perspektive, sie
lassen uns etwas Neues ahnen, das unsern Verstand und unsre Phantasie
»och lauge beschäftigt.




^.rs mi1it^Q3 —^.rs triump1^^n8?

le Kirchenväter unterscheiden bekanntlich eine streitende und eine
triumphirende Kirche. Die jüngste Ästhetik will es ihnen nach-
thun und verkündet, daß der „streitenden" Kunst unsrer Tage
die „triumphirende" Kunst nicht nnr auf dem Fuße folgen, sondern
— „recht, als ein Palmbaum hoch über sich steigt, hat ihn erst
>^'gen und Sturmwind gebeugt" —, wie schon ein paarmal zuvor, aus der
leitende» Kunst selbst hervorwachsen werde. Die Philister, die sich alles
Alfreden lassen, was mit einer gewissen kecken Sicherheit <und vielleicht auch
"us Überzeugung) behauptet wird, leben denn auch bereits der frohen Hoff-
^Uig, daß die brutalste Darstellung widriger Entartungen unsers modernen
eus, ausschließliche Vorführung von schwindelnden Größenwahn und
frischer Gemeinheit unter demselben Schädeldach, von Säuferwahnsinn und
^asterblödsinu, von Trunk und Blutschande, von harter Arbeit ohne Frucht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/535>, abgerufen am 05.05.2024.