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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr.

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In "ach größerer Vollendung und Meisterschaft erscheint die Technik Schillers
in dem gleich im Anfange dieser Betrachtung erwähnten Schlüsse des zweiten
Aufzuges von Kabale und Liebe, jenem Schlüsse, der noch jedes Publikum
zu begeistertem Beifall hingerissen hat. Hier tritt der Unterschied zwischen
dem bühncukundigen, auf die Wirkung sich verstehenden Dramatiker und dem
ängstlich erwägenden, den Effekt vermeidenden Theoretiker klar vor Augen.
Der Schluß des nächsten Aktes hat anscheinend Ähnlichkeit mit der Art Lessings.
Es wird etwas Neues, kurz bevor der Vorhang fällt, eingeleitet, die Personen
verlassen die Bühne, um das Erwähnte zu thun, aber das geschieht nicht,
um für den Zwischenakt zu sorgen -- der nächste Akt knüpft durchaus nicht
an diese Handlung an --, sondern der Schwur wird nur aus äußern Gründen
nicht auf der Bühne geleistet; daß er wirklich geleistet werden wird, beweisen
die letzten Worte. Der Akt, der die Ausführung des zweiten Planes der
Kabale gegen die Liebe zum Inhalt hat, schließt mit dem Siege der Kabale.
Auch der vierte Akt läßt am Schluß eine leere Bühne. Es ist aber auch hier
bezeichnend, wie verschieden eine Milfvrd und eine Orsina die Bühne verlassen.
Die Lady schließt ihr bisheriges Leben und zugleich ihre Rolle im Stück, ihre
Pläne auf deu Besitz des Majors mit den volltönenden, wirkungsvollen Worten:
"Ich werde im Tagelohn arbeiten, um mich zu reinigen von dem Schimpf,
ihn >bete FürstenI beherrscht zu haben." Orsina verläßt die Bühne, weil sie
nach der Stadt zurückfahren will und die Claudia mitnehmen soll, von Odoardv
zum Wagen geleitet. Schiller hätte die Orsina nach den "wie in der Ent¬
zückung gesprochenen," sehr wirkungsvollen Worten des vorletzten Auftritts ab¬
gehen lasse,?. Bei Lessing muß sie dableiben, weil er sie für die Entfernung
Clandias und Odoardos braucht.

Es würde den Leser ermüden, wollten Nur sämtliche Dramen und sämtliche
Aktschlüsse Schillers hier vorführen. Daß er häufig eine besondre Wirkung
durch Gruppenbildung der Personen und Fallenlassen des Vorhangs mitten
in eiuer bewegten Situation erzielt, wer hätte ihn deshalb nicht schon
bewundert? Die Thatsache, daß viele seiner Schlußworte geflügelte Worte
geworden sind, beweist zur Genüge, daß seine Absicht erreicht worden ist.
"Arm in Arm mit dir u. s. w." -- "Der Ritter wird künftig nngemcldet
vorgelassen" -- "Lassen Sie in allen Kirchen ein Tedeum tönen" -- "Ver¬
wünscht, dreimal verwünscht sei diese Reise" -- "Ist es denn wahr? ich habe
keinen Sohn mehr?" -- "Er weint, er ist bezwungen, er ist unser" -- "Laßt
es mit meinem Leben hinströmen" -- alle diese Schlußworte führen mit epi¬
grammatischer Schärfe den Inhalt des Aktes noch einmal dem Hörer vor und
befestigen durch die harmonisch ausklingenden, in der Seele des Zuschauers
uoch lauge nachhallenden Worte das Bild der in dem Auszüge erlebten Handlung-
Sie schließen in ergreifender, oft packender Weise den vorgeführten Teil der
Hnndlnng, machen den Teil zu einem in sich abgeschlossenen Ganzen, von dem


In »ach größerer Vollendung und Meisterschaft erscheint die Technik Schillers
in dem gleich im Anfange dieser Betrachtung erwähnten Schlüsse des zweiten
Aufzuges von Kabale und Liebe, jenem Schlüsse, der noch jedes Publikum
zu begeistertem Beifall hingerissen hat. Hier tritt der Unterschied zwischen
dem bühncukundigen, auf die Wirkung sich verstehenden Dramatiker und dem
ängstlich erwägenden, den Effekt vermeidenden Theoretiker klar vor Augen.
Der Schluß des nächsten Aktes hat anscheinend Ähnlichkeit mit der Art Lessings.
Es wird etwas Neues, kurz bevor der Vorhang fällt, eingeleitet, die Personen
verlassen die Bühne, um das Erwähnte zu thun, aber das geschieht nicht,
um für den Zwischenakt zu sorgen — der nächste Akt knüpft durchaus nicht
an diese Handlung an —, sondern der Schwur wird nur aus äußern Gründen
nicht auf der Bühne geleistet; daß er wirklich geleistet werden wird, beweisen
die letzten Worte. Der Akt, der die Ausführung des zweiten Planes der
Kabale gegen die Liebe zum Inhalt hat, schließt mit dem Siege der Kabale.
Auch der vierte Akt läßt am Schluß eine leere Bühne. Es ist aber auch hier
bezeichnend, wie verschieden eine Milfvrd und eine Orsina die Bühne verlassen.
Die Lady schließt ihr bisheriges Leben und zugleich ihre Rolle im Stück, ihre
Pläne auf deu Besitz des Majors mit den volltönenden, wirkungsvollen Worten:
„Ich werde im Tagelohn arbeiten, um mich zu reinigen von dem Schimpf,
ihn >bete FürstenI beherrscht zu haben." Orsina verläßt die Bühne, weil sie
nach der Stadt zurückfahren will und die Claudia mitnehmen soll, von Odoardv
zum Wagen geleitet. Schiller hätte die Orsina nach den „wie in der Ent¬
zückung gesprochenen," sehr wirkungsvollen Worten des vorletzten Auftritts ab¬
gehen lasse,?. Bei Lessing muß sie dableiben, weil er sie für die Entfernung
Clandias und Odoardos braucht.

Es würde den Leser ermüden, wollten Nur sämtliche Dramen und sämtliche
Aktschlüsse Schillers hier vorführen. Daß er häufig eine besondre Wirkung
durch Gruppenbildung der Personen und Fallenlassen des Vorhangs mitten
in eiuer bewegten Situation erzielt, wer hätte ihn deshalb nicht schon
bewundert? Die Thatsache, daß viele seiner Schlußworte geflügelte Worte
geworden sind, beweist zur Genüge, daß seine Absicht erreicht worden ist.
„Arm in Arm mit dir u. s. w." — „Der Ritter wird künftig nngemcldet
vorgelassen" — „Lassen Sie in allen Kirchen ein Tedeum tönen" — „Ver¬
wünscht, dreimal verwünscht sei diese Reise" — „Ist es denn wahr? ich habe
keinen Sohn mehr?" — „Er weint, er ist bezwungen, er ist unser" — „Laßt
es mit meinem Leben hinströmen" — alle diese Schlußworte führen mit epi¬
grammatischer Schärfe den Inhalt des Aktes noch einmal dem Hörer vor und
befestigen durch die harmonisch ausklingenden, in der Seele des Zuschauers
uoch lauge nachhallenden Worte das Bild der in dem Auszüge erlebten Handlung-
Sie schließen in ergreifender, oft packender Weise den vorgeführten Teil der
Hnndlnng, machen den Teil zu einem in sich abgeschlossenen Ganzen, von dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_206644/534>, abgerufen am 18.05.2024.