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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen

s werden nun bald zwanzig Jahre verflossen sein, seitdem im
Reichslande die deutsche Herrschaft eingerichtet ist. Da erscheint
gewiß auch weitern Kreisen im deutschen Reiche eine Prüfung
der Frage wünschenswert, wie weit bis jetzt das Werk gediehe"
ist, die eingeborene Bevölkerung für das neue Vaterland zu
gewinnen. Die rechtlichen Ausnahmezustände, wie sie sich besonders in dem
bei Einführung einer geregelten Verwaltung im Jahre 1871 erlassenen soge¬
nannten Diktaturparagraphen, in der Aufrechterhaltung einer Reihe meist aus
der französischen Zeit übernommener Polizeigesetze und zuletzt in den Pa߬
vorschriften hinsichtlich des Personenverkehrs mit Frankreich offenbaren, sind
bisher in den Kampf der politischen Parteien noch nicht hineingezogen worden,
und es ist anzunehmen, daß auch in absehbarer Zeit, trotz der Anregungen im
Reichstag über die Aufhebung des Paßzwnnges, eine eigne Behandlung der
elsaß-lothringischen Verhältnisse fortbestehen wird, wie es zum Vorteile des
Reiches geboten ist. Gewisse staatsrechtliche Schwierigkeiten lassen sich nach der
Grundlage unsrer gegenwärtigen Reichsverfassung überhaupt nicht überwinden;
sie sind dadurch gegeben, daß Elsaß-Lothringen einen Bestandteil des deutschen
Reiches bildet, ohne doch einem einzelnen Bnndesstacit anzugehören oder ein
selbständiges Mitglied des Bundes zu sein. Trotz verschiedner, nicht zu ver¬
meidender Mißgriffe, die namentlich bei der Auswahl der zur Leitung be¬
stimmten Personen vorgekommen sind, ist man doch sachlich auf dem richtigen
Wege zu Werke gegangen- Man übertrug nach Beseitigung der vorübergehenden
und durch die Okkupation erklärlichen Militürherrschaft zuerst die Verwaltung
einem uuter dein Reichskanzler stehenden Oberpräsidenten und teilte das
Land in Anlehnung an die französischen Departements in drei Verwaltungs¬
bezirke ein, Unterelsaß, Oberelsaß und Lothringen. Mit dem 1. Januar 1871


Grenzbote" III 1890 U'


Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen

s werden nun bald zwanzig Jahre verflossen sein, seitdem im
Reichslande die deutsche Herrschaft eingerichtet ist. Da erscheint
gewiß auch weitern Kreisen im deutschen Reiche eine Prüfung
der Frage wünschenswert, wie weit bis jetzt das Werk gediehe»
ist, die eingeborene Bevölkerung für das neue Vaterland zu
gewinnen. Die rechtlichen Ausnahmezustände, wie sie sich besonders in dem
bei Einführung einer geregelten Verwaltung im Jahre 1871 erlassenen soge¬
nannten Diktaturparagraphen, in der Aufrechterhaltung einer Reihe meist aus
der französischen Zeit übernommener Polizeigesetze und zuletzt in den Pa߬
vorschriften hinsichtlich des Personenverkehrs mit Frankreich offenbaren, sind
bisher in den Kampf der politischen Parteien noch nicht hineingezogen worden,
und es ist anzunehmen, daß auch in absehbarer Zeit, trotz der Anregungen im
Reichstag über die Aufhebung des Paßzwnnges, eine eigne Behandlung der
elsaß-lothringischen Verhältnisse fortbestehen wird, wie es zum Vorteile des
Reiches geboten ist. Gewisse staatsrechtliche Schwierigkeiten lassen sich nach der
Grundlage unsrer gegenwärtigen Reichsverfassung überhaupt nicht überwinden;
sie sind dadurch gegeben, daß Elsaß-Lothringen einen Bestandteil des deutschen
Reiches bildet, ohne doch einem einzelnen Bnndesstacit anzugehören oder ein
selbständiges Mitglied des Bundes zu sein. Trotz verschiedner, nicht zu ver¬
meidender Mißgriffe, die namentlich bei der Auswahl der zur Leitung be¬
stimmten Personen vorgekommen sind, ist man doch sachlich auf dem richtigen
Wege zu Werke gegangen- Man übertrug nach Beseitigung der vorübergehenden
und durch die Okkupation erklärlichen Militürherrschaft zuerst die Verwaltung
einem uuter dein Reichskanzler stehenden Oberpräsidenten und teilte das
Land in Anlehnung an die französischen Departements in drei Verwaltungs¬
bezirke ein, Unterelsaß, Oberelsaß und Lothringen. Mit dem 1. Januar 1871


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[0105] [Abbildung] Die Germanisirung in Elsaß-Lothringen s werden nun bald zwanzig Jahre verflossen sein, seitdem im Reichslande die deutsche Herrschaft eingerichtet ist. Da erscheint gewiß auch weitern Kreisen im deutschen Reiche eine Prüfung der Frage wünschenswert, wie weit bis jetzt das Werk gediehe» ist, die eingeborene Bevölkerung für das neue Vaterland zu gewinnen. Die rechtlichen Ausnahmezustände, wie sie sich besonders in dem bei Einführung einer geregelten Verwaltung im Jahre 1871 erlassenen soge¬ nannten Diktaturparagraphen, in der Aufrechterhaltung einer Reihe meist aus der französischen Zeit übernommener Polizeigesetze und zuletzt in den Pa߬ vorschriften hinsichtlich des Personenverkehrs mit Frankreich offenbaren, sind bisher in den Kampf der politischen Parteien noch nicht hineingezogen worden, und es ist anzunehmen, daß auch in absehbarer Zeit, trotz der Anregungen im Reichstag über die Aufhebung des Paßzwnnges, eine eigne Behandlung der elsaß-lothringischen Verhältnisse fortbestehen wird, wie es zum Vorteile des Reiches geboten ist. Gewisse staatsrechtliche Schwierigkeiten lassen sich nach der Grundlage unsrer gegenwärtigen Reichsverfassung überhaupt nicht überwinden; sie sind dadurch gegeben, daß Elsaß-Lothringen einen Bestandteil des deutschen Reiches bildet, ohne doch einem einzelnen Bnndesstacit anzugehören oder ein selbständiges Mitglied des Bundes zu sein. Trotz verschiedner, nicht zu ver¬ meidender Mißgriffe, die namentlich bei der Auswahl der zur Leitung be¬ stimmten Personen vorgekommen sind, ist man doch sachlich auf dem richtigen Wege zu Werke gegangen- Man übertrug nach Beseitigung der vorübergehenden und durch die Okkupation erklärlichen Militürherrschaft zuerst die Verwaltung einem uuter dein Reichskanzler stehenden Oberpräsidenten und teilte das Land in Anlehnung an die französischen Departements in drei Verwaltungs¬ bezirke ein, Unterelsaß, Oberelsaß und Lothringen. Mit dem 1. Januar 1871 Grenzbote» III 1890 U'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/105>, abgerufen am 28.04.2024.