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Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr.

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Die neuen Gewerbegerichte
<Z). Bähr von

n der jüngsten Session des Reichstages ist ein schon seit Jahren
in Aussicht genommenes Gesetz über Gelverbegerichte zu stände
gekommen. Wir können nicht umhin, an dieses Gesetz, dessen
Bedeutung weit über seinen unmittelbaren Gegenstand hinaus-
reicht, einige Betrachtungen zu knüpfen.

Gewerbegerichte sind französische" Ursprunges. Schon vor der Revolution
gab es in einigen Städten Frankreichs solche Einrichtungen. Durch ein kaiser¬
liches Gesetz vom 1". März 1"0<i wurde dann angeordnet, daß in Fabrik-
städten, wo die Regierung es für angemessen erachte, ein Rat der Gewerb-
verstäudigeu errichtet werden könne. Hiernach wurden schon zu französischer
Zeit in mehreren Städten der Rheinprovinz Gewerbegerichte (oder, wie man
früher sagte, Fabrikgerichte) geschaffen. Die preußische Regierung folgte auf
Grundlage des französischen Gesetzes mit Schaffung solcher Gerichte in einer
Anzahl weiterer Städte. Diese Gerichte waren zuständig als Zivilgerichte für
Streitigkeiten der bei dem Gewerbebetrieb Beteiligten und zugleich als Straf¬
gerichte für Übertretungen in Gewerbesachen. Als Zivilgerichte erkannten sie
in Sachen bis zu hundert Franks als einzige Instanz. In Sachen von höheren
Werte fand eine Berufung an das Handelsgericht oder in Ermangelung eines
solchen an das Landgericht statt. Das Verfahren war beinahe ganz das näm¬
liche wie bei den Friedensgerichten.

Diese Gewerbegerichte, die bis zur Stunde in den Rheinlanden bestehen,
darf mau sich aber nicht als eine arbeiterfreundliche Einrichtung denken. Die
Richter werden nämlich von den Fabrikanten, Werkmeistern und Handwerks-
'M'istern ans ihrer Mitte auf drei Jahre gewählt, und zwar so, daß die


GreuzbiNen 11t 1L90 2b


Die neuen Gewerbegerichte
<Z). Bähr von

n der jüngsten Session des Reichstages ist ein schon seit Jahren
in Aussicht genommenes Gesetz über Gelverbegerichte zu stände
gekommen. Wir können nicht umhin, an dieses Gesetz, dessen
Bedeutung weit über seinen unmittelbaren Gegenstand hinaus-
reicht, einige Betrachtungen zu knüpfen.

Gewerbegerichte sind französische» Ursprunges. Schon vor der Revolution
gab es in einigen Städten Frankreichs solche Einrichtungen. Durch ein kaiser¬
liches Gesetz vom 1». März 1«0<i wurde dann angeordnet, daß in Fabrik-
städten, wo die Regierung es für angemessen erachte, ein Rat der Gewerb-
verstäudigeu errichtet werden könne. Hiernach wurden schon zu französischer
Zeit in mehreren Städten der Rheinprovinz Gewerbegerichte (oder, wie man
früher sagte, Fabrikgerichte) geschaffen. Die preußische Regierung folgte auf
Grundlage des französischen Gesetzes mit Schaffung solcher Gerichte in einer
Anzahl weiterer Städte. Diese Gerichte waren zuständig als Zivilgerichte für
Streitigkeiten der bei dem Gewerbebetrieb Beteiligten und zugleich als Straf¬
gerichte für Übertretungen in Gewerbesachen. Als Zivilgerichte erkannten sie
in Sachen bis zu hundert Franks als einzige Instanz. In Sachen von höheren
Werte fand eine Berufung an das Handelsgericht oder in Ermangelung eines
solchen an das Landgericht statt. Das Verfahren war beinahe ganz das näm¬
liche wie bei den Friedensgerichten.

Diese Gewerbegerichte, die bis zur Stunde in den Rheinlanden bestehen,
darf mau sich aber nicht als eine arbeiterfreundliche Einrichtung denken. Die
Richter werden nämlich von den Fabrikanten, Werkmeistern und Handwerks-
'M'istern ans ihrer Mitte auf drei Jahre gewählt, und zwar so, daß die


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[0201] [Abbildung] Die neuen Gewerbegerichte <Z). Bähr von n der jüngsten Session des Reichstages ist ein schon seit Jahren in Aussicht genommenes Gesetz über Gelverbegerichte zu stände gekommen. Wir können nicht umhin, an dieses Gesetz, dessen Bedeutung weit über seinen unmittelbaren Gegenstand hinaus- reicht, einige Betrachtungen zu knüpfen. Gewerbegerichte sind französische» Ursprunges. Schon vor der Revolution gab es in einigen Städten Frankreichs solche Einrichtungen. Durch ein kaiser¬ liches Gesetz vom 1». März 1«0<i wurde dann angeordnet, daß in Fabrik- städten, wo die Regierung es für angemessen erachte, ein Rat der Gewerb- verstäudigeu errichtet werden könne. Hiernach wurden schon zu französischer Zeit in mehreren Städten der Rheinprovinz Gewerbegerichte (oder, wie man früher sagte, Fabrikgerichte) geschaffen. Die preußische Regierung folgte auf Grundlage des französischen Gesetzes mit Schaffung solcher Gerichte in einer Anzahl weiterer Städte. Diese Gerichte waren zuständig als Zivilgerichte für Streitigkeiten der bei dem Gewerbebetrieb Beteiligten und zugleich als Straf¬ gerichte für Übertretungen in Gewerbesachen. Als Zivilgerichte erkannten sie in Sachen bis zu hundert Franks als einzige Instanz. In Sachen von höheren Werte fand eine Berufung an das Handelsgericht oder in Ermangelung eines solchen an das Landgericht statt. Das Verfahren war beinahe ganz das näm¬ liche wie bei den Friedensgerichten. Diese Gewerbegerichte, die bis zur Stunde in den Rheinlanden bestehen, darf mau sich aber nicht als eine arbeiterfreundliche Einrichtung denken. Die Richter werden nämlich von den Fabrikanten, Werkmeistern und Handwerks- 'M'istern ans ihrer Mitte auf drei Jahre gewählt, und zwar so, daß die GreuzbiNen 11t 1L90 2b

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 49, 1890, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341851_207936/201>, abgerufen am 28.04.2024.